Raubkunst und Restitution
Was verbindet Werke verschiedener Epochen von so unterschiedlichen Künstlern wie Leopold Graf Kalckreuth, Hans Thoma, Franz Schider, Jan Brueghel d. Ä., Cristoforo de’ Moretti, Wilhelm Thöny, Narcisso Virgilio Díaz de la Peña und Max Pechstein mit einem Stillleben des niederländischen Malers Willem Kalf? Sie alle waren Gegenstand der Provenienzforschung an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und wurden in den vergangenen Jahren teils restituiert, teils angekauft oder verbleiben als Ergebnis einer gütlichen Einigung als Dauerleihgaben in München. Es sind also nicht nur die wenigen ganz prominenten Namen der Kunstgeschichte oder die Werke jener Künstler, die momentan regional oder international Höchstpreise auf dem Kunstmarkt erbringen, die Gegenstand von Forschung und – geglückten – Restitutionen und Rückerwerbungen sind. Die Forschung nach NS-Raubgut betrifft buchstäblich die ganze Breite und Tiefe der Kunst- und Kulturgeschichte bis in das erste Drittel des 20. Jahrhunderts.
Eine Erbschaft führte dazu, dass das 1653 datierte „Stillleben mit Porzellankanne“ von Willem Kalf mit anderen Werken Alter Meister aus der Sammlung des Leipziger Juristen Berthold Richter zum Eigentum seines Neffen, des Malers Josef Block (1863–1943) wurde. Josef Block, Schüler der Breslauer und Münchner Akademien und Gründungsmitglied des „Vereins der bildenden Künstler Münchens“, der späteren Sezession, lebte seit 1896 in Berlin, wo er in der Großen Berliner Kunstausstellung seine Werke zeigte und Mitbegründer der Berliner Secession wurde. Nach 1933 als Jude verfolgt, musste Block das Gemälde unter Zwang verkaufen. Es gelangte in die Hände des NS-Kunstagenten Walter Andreas Hofer und wurde 1940 Teil eines – durchaus üblichen – Tauschgeschäftes mit dem damaligen Generaldirektor der Staatsgemäldesammlungen, Ernst Buchner. Erst die Provenienzrecherche machte den Zusammenhang zwischen dem Erwerb und dem Verfolgungsschicksal des Eigentümers wieder sichtbar; auf die Restitution des Gemäldes folgte der Wiederankauf des Stilllebens vom Enkel Josef Blocks mit Hilfe des Pinakotheks-Vereins.
Die deutschen Museen erforschen ihre Sammlungen – und erfüllen damit Schritt für Schritt die selbst verpflichtenden Prinzipien und Grundsätze der Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998 und der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999. Danach sind die öffentlichen Sammlungen – Museen, Bibliotheken und Archive – aufgefordert, ihre Bestände nach NS-Raubkunst zu durchsuchen und während der NS-Zeit unrechtmäßig entzogene Kunst- und Kulturgüter an die Erben der Vorbesitzer zurückzugeben. Wie diese Forschung aussehen kann, zu welchen Resultaten sie führt und wie die Beschäftigung mit den Sammlungen notwendig auch die Geschichte der Institution erhellt, lässt sich am Beispiel der Münchner Pinakotheken zeigen – pars pro toto, denn auch von vielen anderen Museen, Bibliotheken und Archiven in Deutschland ließen sich parallele Geschichten erzählen, auch dort gibt es seit Jahren Anstrengungen, mögliches Raubgut zu identifizieren, die Erben der ehemaligen Eigentümer zu ermitteln und faire und gerechte Lösungen zu finden oder die Werke zu restituieren.
Seit 2008 unterstützt die von Bund und Ländern eingerichtete Arbeitsstelle für Provenienzforschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Forschung an den Museen; die Kulturstiftung der Länder ist im Fachbeirat vertreten. Die vom Bund zur Verfügung gestellten Fördermittel von jetzt zwei Millionen Euro jährlich werden hier zweimal im Jahr an die erfolgreichen Antragsteller vergeben – bis 2012 wurden 145 Förderungen vergeben. Auch die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen begannen 2009 mit einem von der Arbeitsstelle unterstützten Projekt zur Erforschung der Bestände – und verfügen heute über ein eigenes Referat für Provenienzforschung, das von der Kunsthistorikerin Andrea Christine Bambi geleitet wird. Denn allein im Bestand der Pinakotheken sind es etwa 4.400 Gemälde und 770 Skulpturen, mit deren Herkunft sich Bambi noch Jahre beschäftigen wird.
Nachdem 2004 ein erster Katalog zur Kunstsammlung Hermann Göring erschien, widmet man sich nun für zwei Jahre der Herkunft von Kunstwerken aus dem Besitz führender Nationalsozialisten, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Staatsüberweisung in die Sammlung kamen. Abgeschlossen sind zwei großangelegte Kooperationsprojekte zur Erforschung der Geschichte jüdischer Kunsthändler und -sammler.
So beschäftigten sich die staatlichen und städtischen Museen in München mit der Aufarbeitung eines besonderen Archivfundes: 2007 wurden im Münchner Stadtmuseum die Beschlagnahmelisten der im Winter 1938/39 durch die Geheime Staatspolizei durchgeführten sogenannten Judenaktion entdeckt. Bei dieser selbst im NS-Staat einmaligen Aktion wurden systematisch Kunstwerke aus etwa 70 Privatsammlungen und von 30 Kunsthändlern beschlagnahmt. Im kommenden Jahr sollen die Forschungsergebnisse als Buch erscheinen.
Seit Oktober 2013 ist zudem die Webseite www.alfredflechtheim.com freigeschaltet. 15 Museen von Hamburg über Bremen, Düsseldorf, Leipzig bis Stuttgart, München und Zürich haben ihre einstmals vom Galeristen und Kunsthändler Alfred Flechtheim (1878–1937) gehandelten Kunstwerke erforscht. Die Ergebnisse stehen nun der Öffentlichkeit – neben der Dokumentation auf der Webseite auch mit temporären Werkpräsentationen und Ausstellungen – zur Verfügung: Die Museen reagieren mit diesem – medial durchaus auch kritisch begleiteten – Projekt auf die Auskunftsersuchen der Erben und ihrer Vertreter und wollen einen Beitrag zur Transparenz leisten, die ein wichtiger Bestandteil der Washingtoner Prinzipien wie der „Gemeinsamen Erklärung“ ist. Die Arbeit geht weiter: Anfang November 2013 wurde bekannt, dass im Zuge einer Steuerfahndung die Staatsanwaltschaft Augsburg in München den bisher umfangreichsten Bestand an Kunstwerken mit ungeklärter Provenienz aus Privatbesitz beschlagnahmt hatte – den Medienberichten zufolge handelt es sich um ca. 1.400 Kunstwerke, die aus dem Nachlass des in den NS-Kunstraub sowie den Verkauf von Werken der „entarteten Kunst“ verstrickten Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt stammen sollen – ein Fall für die Provenienzforschung! Und ein Appell an die Museen, auch bei Neuerwerbungen die Herkunft der Werke genau zu prüfen.
Angesichts des enormen quantitativen Umfangs des NS-Kunstraubs nicht nur im damaligen Deutschen Reich, sondern auch im besetzten Europa, stehen die öffentlichen Einrichtungen weiterhin vor der Aufgabe, ihre Bestände auf Raubgut aus ehemaligen jüdischen Privatsammlungen zu untersuchen und mit den Nachkommen der ehemaligen Eigentümer zu für beide Seiten zufriedenstellenden Lösungen zu kommen. Neben der Finanzierung der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin agiert die Kulturstiftung der Länder als Ansprechpartnerin für beide Seiten und kann im Rahmen ihrer Satzung öffentliche Einrichtungen beim Erwerb restituierter Objekte unterstützen.