Mehr Drache als Lampe

Erstmals ans Licht der Öffentlichkeit kam das wertvolle Stück bei einer Versteigerung im Jahr 2010, das bis dahin unbekannte Aquamanile wurde dabei noch als „osmanische Öl-lampe“ des 19. Jahrhunderts bezeichnet. Erst danach wurde das knapp 20 cm hohe Gefäß von ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet der mittelalterlichen Bronzen den deutschen Aquamanilen des 12. Jahrhunderts zugeschrieben. Das bis dato weder in der einschlägigen Literatur zur islamischen noch zur romanischen Bronzekunst bekannte Gießgefäß gesellt sich damit zu dem exquisitem Kreis der weltweit neun erhaltenen hochrangigen Metallarbeiten in Drachen- oder Greifenform des 12. Jahrhunderts in öffentlichen Sammlungen (u. a. in Wien, London, Paris, München und Stuttgart). Die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Stiftung Niedersachsen und die Klosterkammer Hannover unterstützen die 2014 auf einer Londoner Auktion gelungene Erwerbung. Bis in den Oktober zeigt nun eine Kabinettausstellung im Dommuseum neben dem neuen Drachen-Gefäß zahlreiche bedeutende Bronzen der Hildesheimer Sammlung.

Die ersten bekannten Aquamanilen als krug- oder kannenförmige Wassergefäße in Tierform zum Händewaschen gelangten wohl über die Verbindungen des Sassanidenreichs und des abbasidischen Kalifats zum Byzantinischen Reich nach Europa. Dort wurde sowohl die Funktion der Gefäße für die Handwaschung als auch ihr Formenrepertoire von den lokalen Handwerkern adaptiert; weitere Inspirationen empfingen die Werkstätten aus importierten Textilien, in denen ebenfalls Fabelwesen wie der hier als Pate zu vermutende mythische Vogel Simurgh (mittelpersisch: Senmurv, der sog. Pfauendrache) als Dekorationselemente verwendet wurden. Das europäische Mittelalter überführte die Funktion der Aquamanilen in den liturgischen Gebrauch; viele der heute bekannten Stücke gehörten ursprünglich in Kirchenschätze. Anklänge der Formensprache islamischer Kunst sind in den – bis in die Renaissance in Europa gefertigten – zoomorphen Aquamanilen wahrnehmbar. Dies erklärt auch die falsche Zuschreibung in der Auktion von 2010.

Doch wie konnte das singuläre Werk so lange unbekannt bleiben? Im Zuge der Säkularisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelangten wohl die noch erhaltenen Aquamanilen aus den Kirchenschätzen in private Hände. Dieser Transfer ging nicht selten Hand in Hand mit einem Verlust an Wissen um die Herkunft, das Alter, die Bedeutung und Funktion der Objekte. Erst das antiquarische Interesse des späten 19. Jahrhunderts führte zu einer Wiederentdeckung und neuen Wertschätzung durch institutionelle und private Sammler. Umfangreiche Recherchen im Auftrag der Kulturstiftung der Länder unterstützen die Annahme des Dommuseums, dass das Aquamanile vermutlich über einen langen Zeitraum unerkannt in einer privaten Umgebung aufbewahrt und daher nie publiziert oder ausgestellt wurde.

Mittelalterliche Bronzen bilden einen Schwerpunkt der aus dem Domschatz erwachsenen Sammlung des Hildesheimer Dommuseums. Sie bezeugen die Bedeutung der Stadt als eines der wichtigsten Zentren mittelalterlicher Metallkunst in Europa, ermöglicht durch die frühe Montanindustrie im nahen Goslar. Dieser singuläre Bestand wird nun mit dem Ankauf des bronzenen Drachen-Aquamaniles um ein weiteres einzigartiges Objekt bereichert.