Kommodes Schreiben

Erlesene Hölzer und vergoldete Zierbeschläge mit Raffinesse veredelt zu Luxusmöbeln à la mode – die Kunstschreiner Abraham und David Roentgen fertigten in ihrer Neuwieder Manufaktur von 1750 bis 1795 Statussymbole der höfischen Welt. Ob die russische Zarin Katharina die Große, der französische König Ludwig XVI. oder Friedrich Wilhelm II. von Preußen – sie alle ließen sich mit exquisiten Sekretären, Kommoden, Verwandlungstischen sowie prachtvollen Standuhren und Schatullen der Roentgens beliefern: Die wohl berühmtesten Ebenisten ihrer Zeit machten die kleine mittelrheinische Residenzstadt Neuwied in ganz Europa zum Synonym für die hohe Kunst der Möbeltischlerei.

Abraham Roentgen (Werkstatt), Pultschreib-kommode, um 1755/60, 99 × 101,5 × 58 cm; Roentgen-Museum Neuwied
Abraham Roentgen (Werkstatt), Pultschreibkommode, um 1755/60, 99 × 101,5 × 58 cm; Roentgen-Museum Neuwied

Das Roentgen-Museum Neuwied erhält nun mit einer um 1755–60 geschreinerten Pultschreibkommode ein bisher noch unbekanntes Frühwerk des Werkstattgründers Abraham Roentgen (1711–93). Das Schreibmöbel erwarb der Förderkreis der Abraham und David Roentgen Stiftung aus dem deutschen Kunsthandel mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur, der Kulturstiftung der Sparkasse Neuwied, der Sparkasse Neuwied, der Volks- und Raiffeisenbank Neuwied-Linz eG und des Landkreises Neuwied für das Museum. Der rund ein Meter hohe wie breite Pultsekretär vereint in sich all jene Elemente, die zuerst an den Fürstenhäusern an Rhein und Main, bald aber schon europaweit für Furore sorgten: Das Furnier aus exotischem Mahagoni entfaltet im Zusammenspiel mit edlem Kirschholz und dem reichen Dekor aus vergoldetem Bronzeblattwerk warme rötlich-gelbe Farbakkorde; das Innenleben besticht durch raffiniert verborgene Geheimfächer, während die dynamische Linie der geschweiften Beine den kubischen Korpus zum Schwingen bringt – Rokoko auf dem Weg zum Klassizismus. Die damals hochmoderne Formgebung des Möbels ist eine eigenständige Variation der Arbeiten von Abraham Roentgens berühmtem Londoner Zeitgenossen Thomas Chippendale (1718–79), dessen Entwürfe Roentgen während seiner Lehrjahre in England studierte. Dass die Schreibkommode ganz dem englischem Geschmack entsprach, verrät ein kleiner Aufkleber im Inneren mit der Aufschrift „Emmy from Mama – Novr 2nd 1841“.

Nach einem Vierteljahrtausend in verschiedenen englischen Privatsammlungen kehrt nun der kostbare Sekretär als exquisites Exponat an seinen Entstehungsort Neuwied zurück. Das Roentgen-Museum – das unter anderem die Manufakturgeschichte der Roentgen-Familie dokumentiert – ergänzt mit dem Sekretär seine umfangreiche Kollektion in Neuwied geschaffener Zeugnisse einer untergegangenen Wohn- und Schreibmöbelkultur.