Der letzte Kaiser
Legendär sein schlechter Ruf, der bis heute – durch Skandalgeschichten tief eingeprägt – im Klang seines Namens mitschwingt: Kaiser Caligula (12–41 n. Chr.). Der Urenkel von Kaiser Augustus übernahm im Jahr 37 n. Chr. den Lorbeerkranz nach dem Tod des Kaisers Tiberius. Doch Caligula, den die einflussreichen römischen Kreise als vermeintlich leicht steuerbare Marionette eingesetzt hatten, entpuppte sich alsbald als machthungriger und verschwörungsängstlicher Meister auf der Klaviatur des Schreckens. Nach einer vergleichsweise friedlichen Anfangszeit mit Steuersenkungen, einer Abkehr von der Verfolgung politisch Andersdenkender und mit kostspieligen Spektakeln fürs Volk, wandelte sich Caligulas Regentschaft zum Cäsarenwahn: Die antiken Quellen beschreiben zahlreiche brutale Facetten des Tyrannen – grausame Hinrichtungen von Gegnern und Unliebsamen, Folterungen, Verbannungen, dazu eine verschwenderische Bautätigkeit. Und auch im Privaten ging es ruppig zu: Als eine von dem Kaiser begehrte römische Patrizierin gerade ihr Hochzeitsfest mit einem Anderen feierte, annullierte Caligula noch während der Zeremonie die gerade geschlossene Ehe, um die Zwangsgeschiedene umgehend selbst zu heiraten; einige Tage später folgte schon wieder die Scheidung. Nur vier Jahre währte Caligulas Amtszeit, dann ereilte den Kaiser die brutale Ermordung, angezettelt durch Senat und Prätorianergarde. Der zu Amtsantritt noch mit dem Ehrentitel „Vater des Vaterlandes“ ausgezeichnete Regent wurde umgehend mit der „Damnatio memoriae“ belegt, einer Verdammung, die posthume Verehrung verbot und zur Vernichtung vieler Bildnisse des Kaisers führte. Die zeitgenössischen Berichte von Caligulas Exzessen erscheinen heute eingefärbt von einer propagandistischen Antihaltung des römischen Senats gegenüber dem ermordeten Kaiser. In letzter Zeit versucht die Forschung, etwas Licht in das durch tendenziöse Schilderungen verdunkelte Bild zu bringen.
Fernab seines römischen Herrschaftszentrums, im spanischen Cordoba, erhält sich trotz des verordneten Vergessens ein Marmorporträt, das qualitativ mit den besten Stücken aus den renommierten Werkstätten Roms mithalten kann: In den 1930er Jahren holten Bautätigkeiten das kostbare, seltene Werk zurück ans Tageslicht. Effektvoll erzeugt der fein ausgearbeitete Eichenkranz der „Bürgerkrone“ raffinierte Licht-Schatten-Effekte, der jugendliche Kaiser präsentiert sich mit schmalen Lippen, dem charakteristischen Grübchen am Kinn und leichten Segelohren. Der Bildhauerstil lässt die Entstehung des Bildnisses in einem der hochrangigen Ateliers in den römischen Machtzentren des Westens wie dem spanischen Merida vermuten.
Über Generationen hinweg blieb der Kopf in spanischem Privatbesitz, nun konnte das Porträt mit einer Exportlizenz des spanischen Staats ausreisen: Die Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek München erkannten die Chance, ihre weltbekannte Kaisergalerie zu ergänzen und vor allem die Reihe der Herrscher des julisch-claudischen Hauses mit einem Protagonisten zu komplettieren. Aus dem spanischen Kunsthandel gelang mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und des Vereins der Freunde und Förderer der Glyptothek und der Antikensammlungen München e.V. die Erfüllung des langgehegten Wunsches, dem Publikum auch Gaius Caesar Augustus Germanicus, posthum genannt Caligula, leibhaftig präsentieren zu können. Ab dem 12. Juli ist der Neuzugang in der Sonderausstellung „Charakterköpfe. Griechen und Römer im Porträt“ zu bewundern.