Avantgardistische Attraktion

Oskar Kokoschka, Gitta Wallerstein, 1921, 85 x 60 cm, Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Foto: Elke Estel/ Hans-Peter Klut © Fondation Oskar Kokoschka / VG-Bildkunst 2014
Oskar Kokoschka, Gitta Wallerstein, 1921, 85 x 60 cm, Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Foto: Elke Estel/ Hans-Peter Klut © Fondation Oskar Kokoschka / VG-Bildkunst 2014

Sanft spiegelt sich das leuchtende Blau von Himmel und Elbe in den großen Kinderaugen – in einem Meer aus Ultramarin fing Oskar Kokoschka 1921 das Antlitz der zehnjährigen Gitta Wallerstein ein. Das ausdrucksstarke Porträt – das der österreichische Maler und Graphiker in Dresden auf dem Gipfel seines künstlerischen Schaffens fertigte – erwarben die Staatlichen Kunst-sammlungen Dresden (SKD) aus der Privatsammlung von Dr. Peter Hahn: Damit besitzt die Galerie Neue Meister nach 77 Jahren wieder ein kostbares Hauptwerk des Expressionisten. Mit dem Ankauf des seit 2005 als Leihgabe im Albertinum gezeigten Porträts schenkt der Sammler dem Dresdner Kupferstich-Kabinett die renommierte Kokoschka-Sammlung seines Vaters Willy Hahn mit 80 Zeichnungen und Aquarellen – insbesondere der künstlerisch herausragenden Dresdner Jahre. Zusam-men mit der avantgardistischen Attraktion „Gitta Wallerstein“ gewinnt Dresden damit ein einzigartiges Kokoschka-Konvolut mit internationaler Strahlkraft. Das mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und des Freistaates Sachsen erworbene Bildnis Gitta Wallersteins besticht mit den für Kokoschkas Dresdner Phase typischen farbintensiven Blau-Akkorden: Mit breitem Pinsel modellierte der Künstler die Tochter des jüdischen Kunsthändlers Victor Wallerstein aus zäher, großflächig vermalter Ölpaste, ließ dabei leuchtende Töne kontrastreich auf der 85 x 60 cm großen Leinwand aufeinanderprallen. Das Mädchenporträt, das sich bis 1953 im Besitz der Wallersteins befand, lässt die Ungezwungenheit und Frische des Malprozesses spürbar aufleben: Auch die übereigneten graphischen Glanzlichter – blitzartig getuschte Skizzen, Selbstbildnisse, Wachskreide-porträts und rasche Aquarelle – atmen jenen spontanen Geist, mit dem Kokoschka international für Furore sorgte.

Als Höhepunkte der Moderne pries die Kritik schon zu Lebzeiten die Werke Oskar Kokoschkas (1886–1980), der von 1916 bis 1923 in Dresden lebte und ab 1919 als  bis dato jüngster Professor der Dresdner Kunstakademie einflussreich auf eine junge Künstlergeneration wirkte. Sechs Gemälde des als „Oberwildling“ gefeierten Künstlers bildeten ehemals das Herzstück der Dresdner Modernen Galerie: Die Bilder des von den Nationalsozialisten als „Entartetsten unter den Entarteten“ diffamierten Kokoschka wurden 1937 beschlagnahmt; sie sind heute in musealen Sammlungen rund um den Globus verstreut. Die SKD schließen mit dem Erwerb des Bildnisses und der Schenkung diese schmerzhafte Sammlungslücke und bauen ihren Ruf als ein zentrales Forschungszentrum zum Werk Kokoschkas weiter aus.