„An Bildern schleppt ihr hin und her…“

Vor einigen Monaten ging in Paris ein Ereignis zu Ende, das die Kunstwelt magnetisierte und in der Presse weltweit als Auktion des Jahrhunderts bezeichnet wurde: Die sagenumwobene Kunstsammlung des Modeschöpfers Yves Saint Laurent und seines Lebensgefährten Pierre Bergé wurde in einer spektakulär inszenierten Schau zum ersten Mal öffent­lich gezeigt und gleichzeitig durch das Auktions­haus Christie’s in alle Winde verstreut. Alles, was in der Welt der Sammler Rang und Namen hat, kam nach Paris, um das Ereignis zu verfolgen. Das Pariser Publikum strömte drei Tage lang bis tief in die Nacht in den gläsernen Palast. In diesem Märchen von Geld und Glamour sorgte allerdings eine Meldung für Polemik: Die Volksrepublik China (gleichsam als böse Fee in diesem Märchen auftretend) forderte die Rückgabe zweier Bronzeköpfe aus dem 18. Jahrhundert (eine Maus und ein Kaninchen darstellend), die im Jahre 1860 im Zuge der Plünderung des Sommerpalastes in Peking durch die französische und die britische Armee aus China verschwunden waren. Der Sammler Pierre Bergé verweigerte die Rückgabe, er verlangte als Preis für die Tierköpfe die „Freiheit Tibets“. 149 Jahre nach den Ereignissen entfachte diese – zugegebenermaßen nicht sehr geschickte, bzw. sehr französische Antwort (universaler Anspruch auf Kunst und Freiheit) – einen Sturm des Zornes und der Empörung in der chinesischen Presse. Dies ist ein sehr aktuelles Beispiel für das Langzeitgedächtnis der Opfer von Kunstraub und für die nicht heilen wollende Wunde des Verlustes. Ein Motiv, das uns schon aus der Antike überliefert ist. Es geht im Folgenden nicht darum, den Raub und die Restitution von Kunstwerken als anthropologische Konstante seit der Antike zu schildern – dafür ist das Thema viel zu komplex und viel zu interessant. Es geht vielmehr darum, einige immer wiederkehrende Motive in den Debatten um Raub und Restitutionen zu skizzieren.

Recht und Rache: die lange Dauer des Verlustes

Irgendwann im 18. oder 19. Jahrhundert v. Chr. entführte der elamitische Herrscher Kuter-Nahhunte I. eine babylonische Statue der Fruchtbarkeits- und Siegesgöttin Nanaja in seine Hauptstadt. Und irgendwann, nach vielen Jahrhunderten und einer großen militärischen Aktion, kam die Statue in ihre Heimat zurück. Das wissen wir vom Assyrerkönig Assurbanipal, der im 7. Jh. v. Chr. die Statue zurückholte und der auf einer uns überlieferten Inschrift mitteilte:

„Nanaja, die 1635 Jahre gezürnt hatte, Nanaja, die fortgezogen war und sich in Elam, einer ihr unwürdigen Stätte, niedergelassen hatte, betraute mich mit ihrer Heimführung.“

Zwischen der Wegnahme der Statue und ihrer Rückkehr nach Babylon waren nicht weniger als 1300 Jahre vergangen. Ein unerhört eindrucksvolles Beispiel für das Langzeitgedächtnis der Opfer von Kunstraub und für die nicht heilen wollende Wunde des Verlustes. Heute, vierundsechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, meinen einige (vielleicht zu Recht), dass man über die Scheußlichkeit mancher Ereignisse Gras wachsen lassen könnte. In Sachen Beutekunst reichen aber sechs Jahrzehnte offensichtlich nicht. Hier scheinen die Wunden nicht heilen zu wollen. Die in Deutschland seit fünfzehn Jahren auf die russische Beutekunst des Zweiten Weltkriegs leuchtenden Scheinwerfer der Öffentlichkeit, die immer wiederkehrenden Kontroversen um die Rückgabe unrechtmäßig erworbener Museumsstücke aus jüdischem Besitz, die regelmäßigen Gefechte um die Rückführung von Buchbeständen aus Polen, Fernsehsendungen mit Publikumsbeteiligung etc. zeugen davon: Kriegs- oder verfolgungsbedingt abhanden gekommene Kulturgüter lösen kollektive Emotionen aus, die sich mit der Zeit so gut wie nicht besänftigen lassen. Im Gegenteil. Statt Linderung scheint die historische Distanz Verhärtung zu bringen, statt Annäherung Verbissenheit und Misstrauen. Die Beutekunst der Vergangenheit – nicht nur die des Zweiten Weltkriegs – ist sicherlich die große kulturpolitische Herausforderung der Zukunft, zumindest des 21. Jahrhunderts. Um so verwunderlicher ist es, dass es dem Thema nach wie vor an historischer Tiefe fehlt, auch wenn in den letzten fünf Jahren neue Veröffentlichungen, vor allem aber auch eine Reihe historischer Ausstellungen, weltweit neue Erkenntnisse gebracht haben.

Dass in der Antike der Raub von Kult- und Kunstobjekten Gang und Gäbe war, ist bekannt. Dass die zum Teil brutale, massive und nicht rückgängig gemachte Aneignung von Kulturgütern fremder Völker auch zu eindrucksvollen kulturhistorischen Befruchtungen führte (nicht zuletzt im alten Rom), sitzt im allgemeinen Bewusstsein fest. Dass aber schon in der Antike sowohl das Motiv der Vergeltung von Kunstraub als auch das der Rückgabe, der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, eine Schlüsselrolle spielten, verdient sicherlich einige Aufmerksamkeit. In Agamemnon zum Beispiel, dem ersten Stück der Orestie von Aischylos aus dem 5 Jahrhundert v. Chr., wird ganz allgemein auf die Gefahren hingewiesen, der Räuber von Kultgegenständen und fremden Reichtümern sich aussetzen. Zu Beginn des Stückes warnt Klytämnestra vor den verhängnisvollen Folgen einer Beraubung der Schätze von Troja durch den Sieger. Die Botschaft ist klar: Wenn der Sieger die Tempel der Besiegten nicht respektiert und es trotz des Sieges auch noch zu Beutezügen kommt, werden sich die Götter an den Siegern rächen. Hier steht der Kultwert der begehrten Gegenstände im Mittelpunkt. Die entführten, personifizierten Götter sorgen selber für Rache oder sie beauftragen einen mächtigen Sterblichen mit ihrer Rückführung. Dabei spielt die Zeit der Menschen keine Rolle, sondern die ewige Zeit der Götter – deswegen wird die Erinnerung an die sakrilege Wegnahme durch Feindeshand von Generation zu Generation gepflegt und weitergetragen.

Bildpropaganda und Erinnerungen

Was aber, so fragt man sich zu Recht, haben solche Ereignisse aus der Antike, die ja den Kultwert der entführten Gegenstände im Mittelpunkt hatten, mit dem modernen Raub an Werken, die wegen ihres Kunstwerts, ihres ästhetischen – und sicherlich auch ökonomischen – Gewichts, von einer besiegten Hauptstadt zu der Hauptstadt eines Siegers verschleppt wurden? Die Verwandtschaft dieser Formen von Raub, die man aus historischer Rücksicht zunächst lieber nicht in Verbindung setzen möchte, stellt sich heraus, wenn man sich die bildliche Form ihrer Überlieferung betrachtet. Erinnerungsgeschichte und Emotionen hängen sehr mit visuellen Affekten, mit dem symbolischen Gehalt von Bildern zusammen – in vielen Fällen mehr als mit Rechtfertigungsprosa. Eine der frühesten, sichtbarsten und eindrucksvollsten ikonographischen Fixierungen der antiken Kunstraubpraxis und der Legitimation von Kunstraub stellt sicherlich das sogenannte Beuterelief im Durchgang des Titusbogens in Rom dar. Das monumentale Bildwerk entstand Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Erinnerung an die Eroberung Jerusalems durch den Kaiser Titus. Es zeigt eine Gruppe von lebensgroßen Soldaten, die mit prächtigen Beutestücken durch ein Bogenmonument ziehen. Die im Triumph mitgeführten Geräte waren zuvor im Tempel von Jerusalem aufgestellt: Kultgegenstände also, darunter der siebenarmige Leuchter, die Menorah. Das Relief liest sich wie eine Parole: Beute und Bogenmonument charakterisieren den Triumph des Kaisers Titus.

Etwa achtzehn Jahrhunderte später, im Jahre 1813, erinnerte man sich im napoleonischen Frankreich an den Titusbogen. Eine großartige Prunkvase aus Sèvres-Porzellan wurde von „Napoleons Auge“, Dominique-Vivant Denon, in Auftrag gegeben. Sie veranschaulicht die Permanenz des Kunstraubmotivs deutlich. Diese Vase erinnert an die Ankunft der 1796 von Frankreich in Rom eroberten Kunstgegenstände: Die Laokoongruppe, der Apoll vom Belvedere, die Venus Medici, diese Ikonen der Antikenrezeption um 1800, ziehen auf offenen Wagen an bürgerlich gekleideten Zuschauern vorbei. Zwischen den Wagen tragen verschiedene Männergruppen weitere Beutestücke auf Tragbahren – die auffälligsten unter ihnen auf der Schulter. Die bildliche Anlehnung an das Beuterelief des Titusbogens ist unverkennbar. Bis auf ein wesentliches Detail: Während der antike Beutezug durch einen von Pferden bekrönten Triumphbogen geführt wurde, durchschreiten die modernen Kunstentführer ein mit folgenden Inschriften gekennzeichnetes Tor. Links: » Musée Napoléon «. Rechts: » Musée «. Deutlicher lässt sich der Sieg der musealen Institution nicht schildern. Die translatio imperii ist zugunsten der allgemeinen bürgerlichen Öffentlichkeit erfolgt. Es ist der Sieg des Museums.

War hier auf visueller und symbolischer Ebene in das kollektive Bewusstsein eindrang, war das Motiv des Triumphes und der damit zusammenhängenden Demütigung des Beraubten. Ob diese Beraubten (in der Antike) in ihrer religiösen Identität oder (um 1800) in ihrer Identität als Menschen der Aufklärung, die in der Kunst ein Mittel der Erziehung und des Fortschrittes sahen, verletzt waren, spielt hier keine wesentliche Rolle. Kunst war seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ohnehin Gegenstand einer säkularisierten Religion geworden: die Kunstreligion, deren Tempel die Museen waren. In Sachen Kunstraub macht seit der Antike mehr der Ewigkeitswert der geraubten Kunstwerke, ihre generationsübergreifende Lebensdauer, ihre identitätsstiftende Rolle aus – mehr als der Kultwert oder der Bildungswert. Das erklärt die Langwierigkeit der Emotionen, die mit dem Verlust ausgelöst wurden. Mit dem Raub von Kunstwerken und Bibliotheken wird nämlich nicht nur das Recht verletzt, sondern auch eine emotionale Wunde geschlagen, die sich schwer oder gar nicht schließen lässt. Das formulierten schon Beobachter des napoleonischen Kunstraubs hundert Jahre vor der Haager Konvention in zahlreichen Aufsätzen und Journalen: Wenn der Sieger einem „überwundenen Volke Werke der Litteratur und Kunst“ entreiße, schrieb zum Beispiel Karl Heinrich Heydenreich, ordentlicher Professor der Philosophie zu Leipzig, im Jahre 1798, kündige er dem Besiegten „die Verewigung seines Hasses und seiner Rache an; denn solange die besiegte Nation dauert, wird auch ihre Kränkung über jenen Verlust dauern, der alle Jahrhunderte hindurch nicht ersetzt werden kann“.

Es ist vor diesem Hintergrund bezeichnend, dass man schon seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. von spektakulären Restitutionen von Kunstgegenständen hört, die von ihrem angestammten Platz entführt worden waren und die nach vielen Jahrzehnten, ja manchmal Jahrhunderten, restituiert oder wieder zurückgewonnen wurden. Diese Art politisch motivierter Restitutionen oder Rücknahme von geraubten Kulturgegenständen gehört zu den stärksten Konstanten in der Geschichte des Kunstraubes, von der Antike über die napoleonische Zeit bis hin zum 20. Jahrhundert. Davon zeugen zahlreiche, nicht zuletzt bildliche Quellen. So zum Beispiel die Darstellung der Rückkehr der vier Pferde von San Marco aus Venedig, die Frankreich 1798 nach Paris verbracht hatte und die 1815 von Österreich an Venedig zurückgegeben wurden. Oder auch eine Fotografie aus dem Sommer 1945, die die feierliche Rückkehr von ausgelagerten Kunstwerken nach Florenz dokumentiert: Ein Konvoi amerikanischer Lastkraftwagen trifft in der Stadt ein. Eine italienische und eine amerikanische Flagge schmücken das erste Fahrzeug, in dem sich Kunstwerke befinden, die einige Monate zuvor vom so genannten Kunstschutz der deutschen Wehrmacht – mit welcher Absicht auch immer – von der Toskana nach Südtirol abtransportiert worden waren, darüber hinaus eine deutlich sichtbare Aufschrift: »Le opere d’arte fiorentine tornano dall’Alto Adige alla loro sede« [Die Florentiner Kunstwerke kehren von Alto Adige zurück in ihre Heimat]. Ein abgelehnter Beschriftungsvorschlag soll gelautet haben: »Die Florentiner Schätze, die durch die Deutschen gestohlen wurden, werden durch die Amerikaner zurückgestellt.« Hier, wie auch im Falle der Pferde von Venedig, wird in aller Deutlichkeit die Rolle des Erretters mit dem Motiv des Restitution in Verbindung gebracht – gleichzeitig aber auch die Grauzone zwischen Raub und Rettung, verantwortungsvoller Bergung und feindlicher Aneignung von Kunstschätzen in Kriegszeiten beleuchtet.

Veränderte Kunstgeographie und das Projekt der europäischen Zivilisation

Als Napoleon 1815 aus Europa verbannt wurde, gab die Frage nach der Rückholung der von ihm in Paris angehäuften Kunstwerke Anlass zu einer hitzigen Diskussion in Deutschland. Es ging um die angebrachte Form der Neukonfiguration der kulturellen Geographie Europas nach dem napoleonischen Experiment der maximalen Zentralisation des europäischen Kulturerbes in Paris. Im Auftrag von Preußens Regierung wurde 1814 kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe gebeten, sich über die Neuverteilung der an Preußen restituierten Kunstwerke zu äußern. Warum Goethe? Für Goethe und die aufgeklärten Kreise des 18. Jahrhunderts war die Kunst ein Allgemeingut der Menschheit. Dieses kosmopolitische Ideal des 18. Jahrhunderts wurde um 1800 von der Aneignungspraxis der Franzosen in Frage gestellt. Um die Beschlagnahmungen im Ausland zu rechtfertigen, hatten die Franzosen die Kunst ja nicht mehr als ein Eigentum der Menschheit, sondern als ein Produkt der Freiheit dargestellt. Und damit theoretisch das „befreite“ Frankreich zum erbberechtigten Land der gesamten abendländischen Kultur gemacht. Also (aus deutscher Sicht) zum Generalpächter der Zivilisation. Da trat scheinbar eine absolute Antinomie zutage, ein Widerstreit der Gesetze, zwischen Kosmopolitismus und Nationalismus. Der Barbar war in den Augen der Deutschen derjenige, der das kosmopolitische Kunstdenken Europas, das bis dahin als Ideal der Zivilisation gegolten hatte, durch ein neues Zivilisationsmuster, nämlich ein Nationales, ersetzte. Nun sollte Goethe seine Meinung äußern über die Frage, ob Kunstwerke an einem einzigen Ort konzentriert oder über das gesamte Territorium zerstreut werden sollten. Seine Antwort war klar, er plädierte dafür, „dass die Kunstwerke und Altertümer vielverbreitet, jede Stadt die ihrigen behalte und bekomme, nur dass dabei geltend gemacht und ein Mittelpunkt gegeben würde, wovon aus über das Ganze gewacht würde“. Mit dieser Position stand Goethe – und er war um 1815 nicht der einzige, der für „Zerstreuung“ plädierte – gegen den Geist des 19. Jahrhunderts, der die Zentralisierung des nun als „national“ empfundenen Kulturerbes in einigen wenigen monumentalen Hauptstadtmuseen vorantreiben sollte – eine Diskussion, die heute angesichts der deutschen Beutekunstbestände in den entlegenen Provinzmuseen der ehemaligen Sowjetunion noch höchst aktuell erscheint. Und die der patriotische „Rheinische Merkur“ schon im August 1815 auf den Punkt gebracht hatte: „In der Kunst ist gerade die Zerstreuung, wo die Werke wie in einen Sternenhimmel verbreitet sind, das wahrhaft Belebende und Erquickliche, während jede Anhäufung nur zu Üppigkeit und ästhetischem Luxus leitet.“

Dass der Zweite Weltkrieg die Kunstgeographie in Europa veränderte, ist bekannt. Dass vor Hitler und Stalin auch Napoleon Tausende von Kunstwerken und Büchern durch Europa verschleppen lies, sitzt im kollektiven Gedächtnis fest. Dass aber der Erste Weltkrieg auch ein Krieg um Kunst und Kulturgüter gewesen ist, wissen nach wie vor nur wenige Eingeweihte. Dabei hätte ein siegreiches Kriegsende zugunsten Deutschlands möglicherweise eine bedeutende Verschiebung des öffentlichen Kunstbesitzes in Europa in Gang gesetzt. Ein Kriegsziel war die Rückforderung der vor und unter Napoleon aus Deutschland geraubten und nicht vollständig zurückgelangten Kulturgüter in künftigen Friedensversträgen. Als Mittel zum Zweck empfahlen hochkarätige Museumsleute und Bibliothekare die Beschlagnahme von Kulturgütern in den besetzten Gebieten und ihren Abtransport ins Deutsche Reich.

Als Fritz Milkau, damals Direktor der Universitätsbibliothek in Breslau, im Jahre 1915 von den deutschen Rücknahmeplänen von Handschriften in Frankreich und Belgien erfuhr, schrieb er an den Generaldirektor der Berliner Staatsbibliothek diese nüchternen Worte: „Ich komme nicht über die Überlegung hinweg, dass nach dem Krieg auch wieder Frieden kommt, und dass die Wiederherstellung des internationalen Verkehrs von Bibliothek zu Bibliothek wichtiger ist als eine, im ganzen betrachtet, doch unwesentliche Verschiebung des Handschriftenbesitzes.“

Diese im nationalistisch-propagandistisch erhitzten Kontext des Ersten Weltkrieges mutig bezogene Position wirkt wie ein Echo auf den berühmten Vierzeiler „Museen“, den Goethe 1816 mitten in der deutschen Restitutionsdebatte der Jahre nach dem Wiener Kongress verfasste:

„An Bildern schleppt ihr hin und her
Verlornes und Erworbnes
Und bei dem Senden kreuz und quer
Was bleibt uns denn? Verdorbnes!“

Und reagierte nicht Victor Hugo 1861 mit folgenden Worten auf die Plünderung des Sommerpalastes in Peking:

„Eines Tages sind zwei Banditen in den Sommerpalast eingedrungen. Der eine plünderte, der andere legte Feuer. Manchmal ist der Sieg ein Dieb, wie es scheint. Die Zerstörung des Sommerpalastes im großen Stile ging zu gleichen Teilen auf das Konto beider Sieger. […] Große Tat, fette Beute. Der eine der beiden Sieger stopfte sich die Taschen voll; als der andere dies sah, füllte er sich die Truhen. Und lachend, Arm in Arm, kehrten sie nach Europa zurück. Dies ist die Geschichte der zwei Banditen. Wir Europäer sind die Zivilisierten, und für uns sind die Chinesen die Barbaren. Hier sieht man nun, was die Zivilisation der Barbarei angetan hat. […] Ich hoffe, dass der Tag kommen wird, wo das befreite und gereinigte Frankreich dem beraubten China die Beute zurückgeben wird.“

Wir merken: Ob um 1816 poetisch, 1861 polemisch oder 1915 verwaltungstechnisch formuliert: Die Sorgen unserer Vorfahren sind auch unsere Sorgen. Eine zivilisatorische Sorge und Verantwortung.