Worte tanzen

Semra Yildirim, Illustration zu ihrem Gedicht „Fremde Welt“, 2012
Semra Yildirim, Illustration zu ihrem Gedicht „Fremde Welt“, 2012

„Schlichtweg fantastisch, wie kraftstrotzend, lebendig und doch exakt die jungen Tänzer in anspruchsvollen Gruppenchoreografien über die Bühne wirbeln und dabei unterschiedliche Breakdance-Elemente zu einem pulsierenden Bewegungsteppich weben: Mal leichtfüßig und verspielt wie Flummis, mal als stampfende, kriegerische Einheit, dann wieder weich und nach Innen gekehrt. Immer aber als bestens aufeinander eingespieltes Ganzes. Doppelt beeindruckend: Alle sind mit Leib und Seele dabei, jeder gibt sein Bestes“, schrieb die Badische Zeitung dieses Jahr über das Tanzprojekt „Weit vom Auge – weit vom Herz“ der Freiburger Hebelschule, das im Freiburger Theater auf der großen Bühne umjubelt wurde. Es sind getanzte Gedichte, denn am Anfang des Projekts stand eine Schreibwerkstatt der Sozialpädagogin Barbara Davids für Schüler mit Migrationshintergrund aus Hauptschulen: Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren schrieben ein Jahr lang Texte über ihre eigene Herkunft, über ihre Geschichte als Flüchtlinge oder als Kinder von Flüchtlingen. Am Ende entstanden daraus persönliche Gedichte und – zusammen mit der Künstlerin Hilde Bauer und dem Musiker und Videokünstler Matthias Baumann – eine CD. Schließlich gewann das Projekt 2012 den 1. Preis in der Kategorie Literatur beim Kinder-zum-Olymp!-Wettbewerb der Bildungsinitiative der Kulturstiftung der Länder, der seit 2004 von der Deutsche Bank Stiftung unterstützt wird. Die Geschichte ging aber eben weiter: Die bekannte Hip Hop-Company -„Juvenile Maze“ choreografierte die Gedichte und so tanzten bald die Worte.

Fremde Welt
von Semra Yildirim

Hicbirsey eskisi gibi deyil simdi herzaman olmak istedigim gibiyim.

Willst Respekt, Vater, aber gibst du auch Liebe?
Hast Geld, Vater, und auch was zu sagen!
Hast ein Herz, Vater, aber du zeigst es nie.
Willst alles geben, Vater, aber ich brauch doch nur deine Liebe.

Die anderen hatten Puppen zum Spielen, ich hatte Puppen zum Anschauen.
Mein fremder Vater, den ich noch nie gesehen habe,
hat sie geschickt aus einem fremden Land, das ich noch nie gesehen habe.

Herkes Oyuncaklariyla oynarken, ben sadece bakmakla yetindim.
Cünkü hic görmedigim Babam ve hic görmedigim ülkedendi gelen oyuncaklar.

Ich bin der Liebling, Heimat, spielte zwischen Blumen.
Ich, Mutter, Bruder, Heimat, Vater warte, wir kommen.
Familie ohne Beschützer, Heimat, Mutter mit Angst
Fliegen, dunkles, kaltes, fremdes Land, Heimat, Vater, siehst du uns?
Alleine ohne Freunde, Heimat, ich verstehe euch nicht.

Alles neu – ich will vieles sagen, aber die Sprache, die ich spreche, ist Türkisch.
Vater, du erzählst von vielen Menschen, die deine Freunde sind,
aber wir, wir sind alleine und schauen aus dem Fenster.

Cogu kisinin ismini duyduk ama tanisamadik.
Söyleyecek cok sey varken Konusamadik.

Kein Kind mehr – jetzt weiß, wo ich bin.
Jedes Wort in zwei Sprachen – jetzt neu geboren!
Lachen, Freunde – jetzt Menschen um mich aus der ganzen Welt.
Jeder Tag anders – jetzt springen und weinen.
Wunderbare Dinge – jetzt ein Vater, der stolz auf mich ist.
Nichts ist wie früher – bin jetzt der Mensch, der ich immer sein wollte.

Welt, du musst mit mir rechnen.

Hicbirsey eskisi gibi deyil simdi herzaman olmak istedigim gibiyim.

Welt, du musst mit mir rechnen.