Wider den zwanghaften Ernst
In dem berühmten Interviewband „B – Gespräche“ erklärt Martin Kippenberger im Jahr 1990 jeweils einen Künstler und sein Werk als paradigmatisch für ein Jahrzehnt: Joseph Beuys für die sechziger Jahre, Sigmar Polke für die siebziger Jahre und – keine überraschende Genealogie – sich selbst, Martin Kippenberger, für die künstlerische Produktion der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Dieser geschickt inszenierte Größenwahn hat sich nach seinem frühen Tod 1997 bewahrheitet; spätestens seit den Retrospektiven von Düsseldorf und London (2006), New York und Los Angeles (2009) sowie Berlin (2013) gilt Kippenberger zusammen mit dem vor einem Jahr verstorbenen Mike Kelley als einflussreichster Künstler seiner Generation. Eines der zentralen Gemälde dieser von Kippenberger für sich selbst reklamierten Dekade stellt das Ölgemälde „Sympathische Kommunistin“ aus dem Jahr 1983 dar.
Von der 180 × 150 Zentimeter großen Leinwand blickt die Betrachter eine junge, attraktive Frau in Uniform und mit Mütze entgegen, dabei fällt besonders der rote Stern auf der Budjonovka – so der Name dieser typischen Kopfbedeckung der sowjetischen Revolutionäre – ins Auge. Die Arbeit lässt sich in eine Reihe mit anderen Gemälden zu verwandten Themen einordnen: „Badende Russen nach gelungener Flucht“ (1984), „Zwei proletarische Erfinderinnen auf dem Weg zum Erfinderkongress“ (1984) oder „Kulturbäuerin bei der Reparatur eines Traktors“ (1985). Die Titel verweisen deutlich auf die (meist abseitigen) Regionen, in die sich der Künstler begibt. Bei dieser Werkgruppe ist es die traurige Realität der kommunistischen Utopie. Allerdings malt hier jemand freiwillig Propagandamotive während des Kalten Krieges in realistischer Manier, der Künstler muss keiner ästhetischen Doktrin folgen, sondern benutzt vielmehr den Sozialistischen Realismus, um seine absolute Freiheit zu demonstrieren.
SozArt als freiheitlich-demokratischer Verfremdungseffekt! Das plakative Porträt der jungen Kommunistin ist aber auch eine Wunschprojektion aus der westlichen Sphäre. Interessanterweise öffnet diese Sicht auf die Revolutionärin ein weites Feld von Referenzen und Problemen, mit denen sich der Künstler in seinem gesamten Œuvre beschäftigte: das Scheitern von (privaten) Hoffnungen und (gesellschaftlichen) Utopien, die Unmöglichkeit von Authentizität und Originalität oder das Malen nach dem Ende der Malerei. Dadurch kommt dem Gemälde ein zentraler Stellenwert im Werk von Martin Kippenberger zu. Das Gemälde steht auch exemplarisch für die Auseinandersetzung Martin Kippenbergers mit figürlicher Malerei, insbesondere mit der kunsthistorischen Kategorie des Realismus – durchaus in systematischer wie historischer Perspektive. Mit der „Sympathischen Kommunistin“ wird allerdings nur vordergründig auf das Provokationspotential eines damals wie heute diskreditierten Unrechtsregimes von DDR und Sowjetunion und seiner ästhetischen Darstellungskonventionen gesetzt. Das Gemälde stellt viel allgemeinere Fragen, insbesondere heute – mehr als zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten: Ist eine figurative Malerei der sogenannten Wirklichkeit verpflichtet oder ist sie – nach dem Ende der Moderne – ein Stil wie jeder andere auch? Mit dieser Frage widmet sich Kippenberger – ob gewollt oder ungewollt – den verschiedenen Realismusdebatten in der modernen Malerei, etwa denen von Gustave Courbet, Ford Madox Brown oder Rosa Bonheur.
Entscheidender aber für den Entstehungszeitraum und den gesellschaftlichen wie ästhetischen Kontext sind jedoch die Auseinandersetzungen im deutschsprachigen Raum des vergangenen Jahrhunderts. Vor allem wären der Materialismusstreit der 1930er Jahre und daran anknüpfend die Formalismusdebatte der 1950er Jahre in Ost und West zu nennen. So wurde in der DDR die ästhetische Verpflichtung auf eine „wahrheitsgetreue und historisch konkrete künstlerische Darstellung“ sogar in die Statuten der Künstlerverbände aufgenommen. Diese Hoffnung und Überforderung des Realismus steht im Zentrum des Gemäldes „Sympathische Kommunistin“. Mit seiner Strategie der mehrfach gebrochenen Ironie bezieht Martin Kippenberger 1983 (ein Jahr nach der geistig-moralischen Wende durch Helmut Kohl) auch deutlich Stellung gegen das idealistische Pathos der 68er Generation und den zwanghaften Ernst der neuen Historienmalerei von Jörg Immendorf, Georg Baselitz und vor allem Anselm Kiefer.
Mit seinem Bad Painting – insbesondere der Fadheit des sprachlichen wie bildlichen Witzes und der daraus abgeleiteten konservativen Ästhetik – eröffnet Kippenberger eine völlig neue Haltung für die Kunst, und hierfür steht die „Sympathische Kommunistin“ exemplarisch, hierin nur noch vergleichbar mit dem berühmt-berüchtigten Gemälde „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“ von 1984, heute in der Schweizer Flick Collection. Beide Bilder sind noch bis zum 18. August 2013 in der Martin Kippenberger-Ausstellung des Hamburger Bahnhofs in Berlin zu sehen. Das Spiel mit den verschiedenen Ismen und den unterschiedlichen Perspektiven ist auch bei der „Sympathischen Kommunistin“ nicht unschuldig, ja Kippenberger verstrickt sich wie so oft ganz bewusst in den Niederungen der Debatten und Haltungen. Denn „Realismus“ ist in erster Linie ein „moralischer Begriff“, so Roland Barthes, der „genau das als Wirklichkeit darstellt, was die bürgerliche Gesellschaft sich bemüht zu verbergen“. Das heißt für Kippenberger und seine Auseinandersetzung mit der verdrängten Malerei hinter dem Eisernen Vorhang, dass dem Realismus als Strategie künstlerischer Wirklichkeitsaneignung von der Kunstgeschichte und -theorie eine kritische Dimension zugewiesen wird und wurde, ob gegen eine idealistische Kunstdoktrin oder gegen soziale Verhältnisse und Normen gerichtet.
1983 ist aber nicht nur die Zeit des endgültigen Abschieds von den Idealen der sechziger Jahre. Es ist auch die Zeit der „Sympathisanten“ der RAF und der systematischen (Raster-)Fahndung nach ihnen. Kippenberger bringt die westdeutsche Sicht auf den real existierenden Kommunismus mit einem solch naiv-kitschigen Motiv vergleichbar kleinbürgerlichen „Zigeunerbildern“ vor, dass diese doppelte Affirmation in Kritik umschlägt. Dabei wird auch deutlich, wie unbequem Martin Kippenberger seine beiden großen Vorbilder Francis Picabia und Sigmar Polke kombiniert und weiterführt. Den kitschigen Realismus der Mützenträgerin setzt Kippenberger vor einem elaborierten Hintergrund in Szene. In den ungegenständlichen Farbwolken, die an den Abstrakten Expressionismus von Sam Francis oder Helen Frankenthaler erinnern, scheint eine Strategie auf, die Polke in den sechziger Jahren auf die abstrakte Malerei der Moderne angewandt hat. Kippenberger sampelt die beiden Stile der Freiheit – die Abstraktion im Westen und den Realismus im Osten – und versucht eine Annäherung über subjektive Gefühle. Und dies in einer Zeit, als im Westen verstärkt um die Kunst der DDR und ihren Ort in der Kunst gestritten wurde.
Und in diesem neo-konservativen Kontext entwickelt Kippenberger mit Strategien der Popkultur einen zeitgemäßen, post-modernen Realismusbegriff, jenseits der simplifizierenden Antinomie von ‚gegenständlicher‘ und ‚abstrakter‘ Kunst. Darin scheint eine kritische Dimension auf, die gegen eine idealistische Kunstdoktrin sowie gegen politische oder soziale Verhältnisse und Normen in Stellung gebracht wird. Zugleich ist das Gemälde „Sympathische Kommunistin“ aber auch eine wunderbar spielerische Rechtfertigung des Niederen und Prosaischen als Gegenstand der Kunst. In seinem doppelten Ikonoklasmus schließt das Gemälde die Dialektik der Moderne einfach kurz und versucht vertraute Zeichen und Mittel unbrauchbar zu machen. Kurz, hier will einer mehr als zitieren oder seine Reverenz erweisen, und dafür werden Grenzen überschritten. Doch ist dies nicht der kapitalistische Realismus von Sigmar Polke und Gerhard Richter der sechziger Jahre, in den Gemälden von Kippenberger agieren ganz offensiv die coolen, campen und glamourösen Kulturen des Pop. Denn seit dem Aufkommen der Logiken des Populären „ist nicht mehr klar“ – wie es Umberto Eco formulierte – ,„ob wir eine Kritik an der Sprache der Konsumgesellschaft hören, ob wir die Sprache der Konsumgesellschaft konsumieren, oder ob wir die Sprache der Kritik als Sprache der Konsumgesellschaft konsumieren“. Und dies ist der Grund, warum Martin Kippenberger und seine Malerei in den achtziger Jahren und darüber hinaus so einflussreich waren (und sind): Hier arbeitete jemand konzeptuell, ohne im Konzeptuellen aufzugehen, handelte subjektiv, ohne in Expressionismus zu verfallen, agierte politisch jenseits der Kader und Parteien – und hatte auch noch Spaß dabei.
Die für die „Sympathische Kommunistin“ beschriebenen Attacken zielten nicht auf einen Konsens, vielmehr wollten sie gesellschaftliche Übereinkünfte mit einer radikalen und verletzenden Geste auf die Probe stellen. So kann das Bild auch als zentrales Beispiel einer Geschichte des Verhältnisses von Konformität und Non-Konformität in der Kunst des 20. Jahrhunderts diskutiert werden. Das Museum Ludwig, wohin die „Sympathische Kommunistin“ nun gelangte und wo sie auf die einzigartige Sammlung zur Pop Art trifft, ist der ideale Ort, um diese Debatten in Zukunft in Auseinandersetzung mit dem Gemälde in einem öffentlichen Museum zu führen.