Erste Vorstellungen der Bundesregierung –
Hans-Dietrich Genscher
In einer Deutschen Nationalstiftung könnte das lebendige Erbe ostdeutscher Kultur eine Heimat finden, fand Willy Brandt. Mit einer solchen Stiftung könnte die durch steigende Kosten in ihrer Tätigkeit gefährdete Stiftung Preußischer Kulturbesitz geistig und materiell auf einen breiteren Boden gestellt werden, so die Vision von Richard von Weizsäcker. Die Diskussion ist eröffnet, Wünsche werden angemeldet. Die erste Hälfte des Jahres 1973 ist der Auftakt einer breiten und vor allem langjährigen Diskussion und Deutung, wie der Begriff „Deutsche Nationalstiftung“ mit Inhalt zu füllen sei.
Keine drei Monate nachdem Bundeskanzler Willy Brandt die Vision einer Deutschen Nationalstiftung zur Diskussion gestellt hat, fragt der Berliner SPD-Abgeordnete Ulrich Dübber in einer mündlichen Frage die Bundesregierung, ob die Stiftung als Käufer auftreten könne angesichts des Verkaufs deutscher Kunstwerke durch die DDR. In seiner schriftlichen Frage, die am 6. April der parlamentarische Staatssekretär Karl Herold ebenfalls schriftlich beantwortet, findet sich schon die Idee der Sicherung von Kulturgut nationalen Ranges, eine der heutigen Aufgaben der Kulturstiftung der Länder:
„Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, dem nach Pressemeldungen beabsichtigten Verkauf von Kunstwerken durch die DDR entgegenzuwirken oder diese Kulturgüter wenigstens dadurch dem deutschen Volke zu erhalten, daß die geplante ‚Deutsche Nationalstiftung‘ als Käufer auftritt und sie die benötigten 60 Millionen DM dafür kurzfristig auf dem Kapitalmarkt besorgt?“
In der Antwort von Staatssekretär Herold klingt bereits die Formulierung „nationaler Rang“ an, die sich später in der Satzung der Kulturstiftung der Länder findet.
Die Bundesregierung hat von dem angeblich beabsichtigten Verkauf von Kunstgut durch die Regierung der DDR nur aus Pressemeldungen Kenntnis erhalten, und nach Pressemeldungen soll diese Absicht wieder aufgegeben worden sein. Die Bundesregierung bezweifelt, daß in der DDR erwogen wurde oder erwogen wird, Kunstgut von wirklichem Rang, also Meisterwerke der bildenden Kunst oder Gegenstände des Kunstgewerbes von erlesenem Wert, zu veräußern. Welche Einwirkungsmöglichkeiten auf die DDR in einem solchen Falle nach Inkrafttreten des Grundlagenvertrages im Wege der vereinbarten kulturellen Zusammenarbeit gegeben sein werden, ist heute noch nicht zu beurteilen.
Nochmal sechs Wochen später, am 24. Mai, will die CDU/CSU-Opposition in einer kleinen Anfrage wissen, ob und inwieweit das Germanische Nationalmuseum in die Überlegungen einer Deutschen Nationalstiftung einzubeziehen ist: „Nach dem Wortverständnis und im Hinblick auf vergleichbare Einrichtungen und Anstalten im In- und Ausland muß es Aufgabe einer Nationalstiftung sein, nationale Kunst aller Deutschen und Zeugnisse nationaler Kultur und Geistesgeschichte exemplarisch darzustellen. Eine Nationalstiftung muß also weitaus mehr sein als eine Kunst- oder Gemäldesammlung.“ Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg sei eine Einrichtung, die bisher schon dazu bestimmt gewesen sei, das nationale Kulturanliegen aller Deutschen zu pflegen, so heißt es in der schriftlichen Anfrage der Opposition. Es läge also nahe, darüber nachzudenken, welche der Aufgaben diese Einrichtung bereits übernehme oder übernehmen könne, bzw. wie sie eingebunden werden könne. Darüber hinaus will die Opposition wissen, ob im Zusammenhang mit den Stiftungsplänen ein „nationales Forschungs- und Lehrzentrum für die Geschichte und Kultur des gesamten deutschen Volkes“ verbunden sei, und ob es zu ihren Aufgaben gehören solle, „politische Zeit- und Gegenwartsfragen in gesamtdeutscher Sicht zu erörtern?“
Die schriftliche Antwort der Bundesregierung erfolgt wenige Wochen später am 7. Juni. Darin erklärt Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, dass im Verlauf der weiteren Vorarbeiten für die Errichtung einer Deutschen Nationalstiftung ein enger Kontakt mit dem Germanischen Nationalmuseum vorgesehen sei. Seine darüberhinausgehenden Ausführungen können als eine erste grob skizzierte Vorstellung der Bundesregierung über eine bundesweit tätige Kulturstiftung gelten. Einige Auszüge:
„Bei der Erarbeitung einer Konzeption für die Deutsche Nationalstiftung geht die Bundesregierung davon aus, daß Kunst und Kulturpflege in ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung bisher unterbewertet wurden, die nationale Verantwortung für die Wahrung, Förderung und Darstellung der deutschen Kultur – im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit – verstärkt wahrgenommen werden muss.“
„Die Förderung von Maßnahmen und Institutionen, denen nationale kulturelle Bedeutung zuzuerkennen ist, steht dabei ebenso zur Erörterung wie die Erhaltung und Pflege unseres nationalen kulturellen Erbes, zu dem auch, wie das schon in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 hervorgehoben wurde, die Bewahrung des ostdeutschen Kulturgutes gehört.“
„Die mit der Errichtung einer Deutschen Nationalstiftung verbundenen Fragen – insbesondere hinsichtlich Aufgabe und Rechtsnatur der Stiftung, hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Ländern und zu schon vorhandenen Einrichtungen im Bereich von Kunst und Kultur, hinsichtlich der Finanzierung – werden zur Zeit von der Bundesregierung geprüft. Sie sind außerordentlich zahlreich und bedürfen noch sorgfältiger Abstimmung mit den Beteiligten.“
„Wie in der Vorbemerkung angesprochen, wird die Deutsche Nationalstiftung eine Mehrzahl wichtiger Aufgaben zu erfüllen haben. Die Erhaltung und Pflege unseres nationalen kulturellen Erbes erscheint dabei der Bundesregierung als ein sinnvolles Mittel, die geschichtliche Kontinuität unserer Nation zu wahren.“
„Nach § 1 der Satzung verfolgt das Germanische Nationalmuseum den Zweck, ,,die Kenntnis der deutschen Vorzeit zu erhalten und zu mehren, namentlich die bedeutsamen Denkmäler der deutschen Geschichte, Kunst und Literatur vor der Vergessenheit zu bewahren und ihr Verständnis auf alle Weise zu fördern“. Damit besteht auf Teilgebieten zweifelsfrei eine Verwandtschaft zu den Aufgaben, wie sie für die Deutsche Nationalstiftung in Erwägung gezogen sind. Die Arbeit der Deutschen Nationalstiftung soll nach dem gegenwärtigen Stand der Überlegungen jedoch über diejenige einer Einrichtung musealen Charakters – auch wenn diese, wie das Germanische Nationalmuseum, von allgemeiner und unumstritten anerkannter Bedeutung ist – hinausgehen. Zur Erörterung steht insbesondere, die Deutsche Nationalstiftung zu einem Instrument zu machen, mit dem Maßnahmen und Institutionen von nationaler kultureller Bedeutung vielfältig und mit der notwendigen Beweglichkeit gefördert werden können.“
„Inwieweit die Deutsche Nationalstiftung auch Aufgaben im Bereich von Forschung und Lehre übernehmen sollte, hängt ein mal vom endgültigen Zuschnitt des Stiftungskonzepts, nicht zuletzt aber auch von den Mitteln ab, die für die Stiftung bereitgestellt werden können. Insoweit wird es darauf ankommen, die Planungen mit den realen Möglichkeiten in Übereinstimmung zu halten. Die Deutsche Nationalstiftung sollte jedoch in jedem Falle so angelegt werden, daß sie zu gegebener Zeit fortentwickelt werden kann.“
„Wie in der Vorbemerkung dargetan, ist Ziel der Deutschen Nationalstiftung in erster Linie die verstärkte Wahrung, Förderung und Darstellung von Kunst und Kultur. Jede wesentliche Erweiterung dieser Zielsetzung muß sorgfältig geprüft werden.“
Erste Vorstellungen der Bundesregierung zum Modell einer Deutschen Nationalstiftung, formuliert von Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher. Es sind noch viele Fragen zu klären, so erklärt Genscher selber. Es sind die Fragen nach der Zuständigkeit für Kulturpolitik und der Abgrenzung zwischen Bund und Ländern oder die nach der angemessenen anteiligen Finanzierung. Einen Monat später sind sie im Zusammenhang mit der Haushaltsdebatte wieder Thema. Das ist das Thema der nächste Folge.
Alle Podcasts dieser Serie finden Sie auf der Seite Die Vorgeschichte der Kulturstiftung der Länder.