Von wieder tickenden Standuhren und „falschen“ Stühlen

Unser Spendenaufruf „Beinbruch und Stillstand“ für die Restaurierung des Salonmobiliars aus Schloss Langenstein im Gleimhaus in Arsprototo 3-2016 hat lebhafte Resonanz gefunden. Nicht nur konnten wir uns über ein beträchtliches Spendenaufkommen freuen, für das wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, verbindlichst danken, sondern auch über viele Sympathiebekundungen für unser Haus sowie außerdem über Meldungen von Kollegen aus anderen Sammlungen über identische Ensembles von Sitz­möbeln. Letztere allerdings haben uns aufhorchen lassen und nun zu einer Korrektur unserer Annahme zur Geschichte der Möbel und auch unseres Restaurierungsvorhabens geführt.

Sollte die Ikonographie der Sitzmöbel, die Beineinlagen mit Darstellungen männlicher Helden und weiblicher Schönheiten, doch nicht als dezidierter Bezug auf die Konstellation der Schlossherrin von Langenstein und ihres Geliebten, die legendäre Genueser Schönheit Maria Antonia von Branconi und Prinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel, zu verstehen sein? Überhaupt schien ja eine serielle Produktion schlecht zum 18. Jahrhundert zu passen. Tatsächlich ist das entsprechende Ensemble in der Sammlung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg als Arbeit des 19. Jahr­hun­derts inventarisiert. Barock oder historistisch? – stand nun in Frage.

Im Haus Johann Wilhelm Ludwig Gleims ist entsprechend der drei Sammlungsbereiche des Dichters literatur- und kunsthistorische sowie bibliothekarische, nicht aber möbelkundliche Expertise angesiedelt. Externe Einschätzungen, die bereits im Zuge von Restitutions- und Ankaufsverhandlungen eingeholt wurden, hatten die Datierung der Möbel in das 18. Jahrhundert stets bestätigt. Und auch die Meinungen der Möbelkun­digen, die unter der jetzigen kritischen Fragestellung befragt wurden, widersprachen sich zunächst. Ein entscheidendes Indiz für die Datierung in das 19. Jahrhundert war schließlich die filigrane Fadeneinlage, mit denen die Intarsien des Mittelbretts der Rückenlehne konturiert sind. Auch hat sich gezeigt, dass barocke Stühle nicht über figürliche Beineinlagen verfügen, sondern dass hier eine Übertragung von Braunschweiger Dielenschränken vorgenommen wurde, wo die Darstellungen männlicher Helden und weiblicher Schönheiten insofern auf die Funktion Bezug nahmen, als der Schrank die Garderobe der Dame beziehungsweise des Herrn des Hauses barg (wenngleich nicht durchweg von Helden und Schönheiten).

Es war festzustellen, dass das Mobiliar für den Bedarf der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts an ‚Braunschweiger Möbeln‘ im Sinne des ‚heimatstaatlichen Selbstverständnisses‘ (Till Dreier, Borgsdorf bei Berlin) produziert wurde. Bei der ursprünglichen Einordnung war man gewissermaßen einem ‚psychologischen Faktor‘ aufgesessen, nämlich der Neigung, historisches Erbe auf Berühmtheiten aus der Geschichte zurückzuführen. In diesem Falle stammen die Möbel allerdings nicht von der berühmten Erbauerin des Schlosses Langenstein in der Nachbarschaft von Halberstadt, sondern von dessen Zwischenbesitzern. So hat der Spendenaufruf einen Erkenntnisgewinn gebracht: Wir wissen nun, dass die Stühle leider nicht halten können, was wir uns von ihnen versprochen haben – womit eine Restaurierung, um deren Unterstützung wir Sie gebeten hatten, keine Priorität mehr darstellt.

Die vornehme Standuhr englischen Fabrikats, für deren Restaurierung rund die Hälfte Ihrer Spenden aufgewendet wurde, tickt inzwischen wieder, schlägt eine Brücke von der Vergangenheit in unsere Gegenwart und macht somit gleichsam die Aufklärung als heranreichende Vergangenheit sinnfällig. Um den Dichtern und Denkern der Aufklärung an dem großen ovalen Tisch in Gleims Freundschaftstempel virtuell wieder Platz zu bieten, wäre allerdings die Anschaffung authentischer Stühle aus dem 18. Jahrhundert mehr als wünschenswert.

Wir möchten deshalb um Ihr Einverständnis bitten, liebe Spenderinnen und Spender, für die Umwidmung des restlichen Teils Ihrer Spenden zur Erwerbung von Rokoko-Stühlen. Sollte dies nicht in Ihrem Sinne sein, so bitten wir um eine entsprechende Mitteilung an die Redaktion von Arsprototo bis zum 31. August.