Von Hand zu Hand

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Briefe gehören unter die wichtigsten Denkmäler, die der einzelne Mensch hinterlassen kann“, schreibt Johann Wolfgang von Goethe, denn jeder Brief sei „eine Art Selbstgespräch“. Und doch fand schon Montaigne: „Die Briefe, die mir am meisten Mühe machen, taugen am wenigsten.“ In der Tat sind es oft die kurzen, unmittelbaren Mitteilungen – nicht die großen literarischen Bekenntnisse –, die uns die tiefsten Einblicke in das Denken und das Wesen ihres Schreibers geben können. So manche Postkarte, schnell dahingeschrieben, zeigt uns das ungefiltert Echte mehr als mancher wohldurchdachte Brief.

So auch bei Heinrich und Thomas Mann, die nun mit 81 raren Postkarten des Jüngeren an den Älteren das Buddenbrookhaus in Lübeck erfreuen und bereichern. Wie wohl kein zweites Brüderpaar der deutschen Literatur konkurrierten sie um Erfolg und Anerkennung. Schon als Kinder sollen die beiden über Monate nicht miteinander gesprochen haben, „weil ihnen eine bis heute unbekannte Laus über die Brüderlebern gelaufen war“, wie Michael Maar, Heinrich-Mann-Preisträger, unlängst in der Wochenzeitung „Die Zeit“ bemerkte. Die Konflikte aber wuchsen stetig, und spätestens seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs – und auch durch unterschiedliche Ansichten zu diesem – war das Verhältnis so zerrüttet, dass man über Jahre nicht mehr miteinander sprechen wollte. In ausgesuchter Kälte brachte Heinrich seine brüderlichen (Nicht-)Gefühle zu Papier: „Du störst mich nicht“ – und schickte den Brief dann doch nicht ab. Erst spät gelang eine Versöhnung – Liebe und Hass sind auch bei Brüdern oft Geschwister.

Ganz anders bei Rilke und Lou Andreas-Salomé. Hals über Kopf hatte sich der junge Dichter in eine – durchaus einseitige – Anbetung für die Petersburger Intellektuelle hineingesteigert, die schon einen Heiratsantrag Nietzsches abgelehnt hatte. Wie so manches Mal im Leben aber setzten auch bei Rilke unerwiderte Gefühle große Dichtkunst frei. Kein Wunder also, dass sich das Deutsche Literaturarchiv in Marbach glücklich schätzt, ein umfangreiches Konvolut an Briefen Rilkes an seine „liebe Lou“ erworben zu haben. Die Geschichte der Sammlung Goldschmidt schließlich erinnert uns an die am wenigsten glückliche Seite des Buch- und Autographenhandels: den Zwangsverkauf einer jüdischen Sammlung im Dritten Reich. Und doch konnte diese Geschichte, die wir im dritten Artikel unseres Schwerpunktthemas „Auf Papier“ erzählen möchten, ein gutes Ende nehmen. Denn die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar hat die bedeutende Almanachsammlung von Arthur Goldschmidt nach erfolgter Restitution von den Erben des Sammlers erwerben können.

Ihnen und Ihren Familien wünsche ich einen schönen Frühlingsanfang und empfehle Ihnen ganz besonders Uta Baiers Artikel über Karl Hagemeister. Wie kein zweiter hat dieser Maler das Laub der Wälder, das Licht der Seen um seine Geburtsstadt Werder an der Havel eingefangen – ein würdiger Vertreter der Kunst des Landes Brandenburg, dem wir die erste Ausgabe von Arsprototo im neuen Jahr 2013 widmen möchten.

Ihre Isabel Pfeiffer-Poensgen