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AUS DEN FACHBEREICHEN

Von Dehumanisierung zu Re-Humanisierung

Wie der ethische Umgang mit menschlichen Gebeinen in Samm­lungen zur Wiederherstellung der Menschenwürde beitragen kann / María Leonor Pérez Ramírez

Was ist Leugnung der Menschenwürde? Wole Soyinka stellt diese Frage in „The Burden of Memory, the Muse of Forgiveness“ und beleuchtet gleichzeitig das kollektive Trauma, das der Sklavenhandel für den afrikanischen Kontinent darstellte. Die Dokumentation, Erhaltung und Zugänglichmachung von Denkmälern im Zusammenhang mit den Sklavenrouten stellt laut Soyinka einen Akt der Wiedergutmachung dar, da diese Erinnerungsorte Teil des kollektiven Traumas Afrikas sind. Jedes Denkmal ist daher ein Zeugnis der Geschichte, und jedes Fort und jedes Sklavenhaus – von Goree über die Sklavenfestungen Ghanas bis nach Sansibar –, das heute Museum geworden ist, ist voller düsterer Erinnerungen an diesen schrecklichen Abschnitt der Geschichte. Laut Soyinka bieten diese Museen und Erinnerungsorte den Menschen einen Wert, der zur Erlösung und sozialen Erneuerung führen kann.1

Das Regime, das mit dem Sklavenhandel begann, setzte sich fort und blühte in der Kolonialzeit auf, wo die Beziehungen auf Eigentum und Profit beruhten. Aber Eigentum und Profit waren nicht ausschließlich auf die Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen beschränkt. Dazu gehörten auch die gewaltsame Aneignung religiöser, sakraler und kultureller Gegenstände sowie menschlicher Gebeine lokaler und indigener Gemeinschaften in kolonisierten Regionen. Dass die Vorfahren von Menschen in ehemaligen kolonisierten Gebieten sich heute in europäischen und deutschen Museen und Sammlungen befinden, ist ein Kennzeichen für eine Zeit, in der die Wissenschaft zur Dehumanisierung von Menschen beitrug. Museen und Sammlungen mit menschlichen Gebeinen sind daher auch Erinnerungsorte und Zeugen des kollektiven Traumas kolonisierter Menschen, denen die Menschenwürde verwehrt wurde. Als Aufbewahrungsorte dieses komplexen Erbes können sie auch zu wertvollen Räumen der Reflexion und der sozialen Erneuerung werden.

Der Umgang mit diesem komplexen Erbe in einem Kontext, in dem öffentliche Debatten zu Themen wie Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen der Diskriminierung sowie neokolonialem Verhalten immer dringlicher und relevanter werden, prägt die Arbeit und den Auftrag von Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen mit Sammlungen aus ko­lonialen Kontexten. Kultur- und Wis­senschaftsein­richtungen sind daher aufgefordert, Verantwortung für ihre Rolle bei der gewaltsamen Aneignung von Kulturgütern und menschlichen Gebeinen sowie der Ausbreitung von rassistischer Diskriminierung zu übernehmen. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu verstehen, wie die Geschichte europäischer ethnologischer und ethnografischer Sammlungen mit der Geschichte und Ausbreitung des Rassismus verknüpft ist. Als der europäische Einfluss auf und die Kontrolle über die Welt während der Kolonialzeit sich ausdehnten, verbreiteten sich ­insbesondere im 18. Jahrhundert auch Theorien und Diskurse, die den Menschen nach seiner Natur, seinen äußerlichen Merkmalen und seinen Eigenschaften klassifizierten. Diese Klassifikation und die damit einhergehende hierarchische Abstufung führte zu Etablierung einer Art von Menschenhierarchie, die die weißen Europäerinnen und Europäer und ihre zivilisatorische Mission bevorzugte und eine gemeinsame weiße (christliche) Norm(alität) in das Zentrum der Welt stellte.2 Durch den Prozess, den Anderen minderwertig, böse, exotisch und wertlos zu machen, waren Sklavenhandel, Kolonisierung sowie die menschenverachtende Aneignung von menschlichen Gebeinen möglich.

Während im 18. Jahrhundert monumentale Friedhöfe in den wichtigsten ­europäischen Städten entstanden, die ­sowohl als Stadtparks als auch als Begräbnisplätze für die Toten dienten, wurden gleichzeitig die Gebeine von Menschen in kolonisierten Regionen gewaltsam in europäische Sammlungen und wissenschaftliche Einrichtungen verbracht. Während die Pietät und der Respekt gegenüber Verstorbenen zu einer Vergrößerung der Fläche von Friedhöfen in Europas Städten führten – ein Prozess, der zur Etablierung einer sogenannten bürgerlichen Sepulkralästhetik führte –, nutzten wissenschaftliche Einrichtungen auf demselben Kontinent die menschlichen Gebeine oder Teile der Körper von Menschen in Ozeanien, Afrika und Südamerika, um Rassenhierarchien zu begründen und das koloniale Unternehmen zu rechtfertigen.3

Laut Grada Kilomba zeichnet sich Rassismus zunächst durch die Konstruktion von Differenz aus. Dabei wird ein Mensch oder eine Gemeinschaft aufgrund äußerlicher Merkmale oder von ­Religionszugehörigkeit als „anders“ betrachtet, während das weiße Subjekt sich selbst als die Norm definiert. Diese konstruierten Unterschiede sind untrennbar mit hierarchischen Werten verbunden, die eine bestimmte Gruppe von Menschen stigmatisieren und minderwertig machen, was gleichzeitig Vorurteile konstruiert. Es ist ein Prozess der Fixierung historischer, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Macht zugunsten der weißen Vorherrschaft.4 Während die Plantagen und die Kolonialsysteme laut Achille Mbembe die Fabriken par excellence des Rassismus waren, sind seine neuen Produktionszentren die aktuellen Systeme der Privilegien und der Machtasymmetrien, die weiterhin Kriege und Konflikte, globale Ungleichheiten, Armut sowie die gut dokumentierte Plünderung der natürlichen Ressourcen Afrikas und Südamerikas unterstützen oder passiv beobachten.5 Darüber hinaus haben Schwarze Menschen, People of Color sowie Menschen mit Migrationsgeschichte in Europa und in Deutschland bis heute häufig mit Formen des strukturell oder institutionell etablierten Rassismus sowie mit Alltagsrassismus und rassistisch verursachten Mikroaggressionen zu tun.6 Diese strukturellen Ungleichheiten und soziale Benachteiligung von Menschen, die unsere Gesellschaft nach wie vor prägen, zeigen sich auch in der Tatsache, dass circa 90 bis 95 Prozent des afrikanischen materiellen Kulturerbes außerhalb des afrikanischen Kontinents aufbewahrt wird und diese Sammlungen für Vertreterinnen und Vertreter sogenannter Herkunftsgesellschaften nicht leicht zugänglich sind.7 Darüber hinaus befindet sich in europäischen Museen und Sammlungen noch eine erhebliche Anzahl an menschlichen Gebeinen.

Diese Zahlen vermitteln einen Eindruck davon, wie groß der Aufarbeitungs- und Forschungsbedarf in diesem Bereich sein wird und wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich den daraus entstehenden Forschungsaufgaben in Zukunft widmen müssen. In diesem Zusammenhang wäre es auch interessant zu wissen, wie viele Expertinnen und ­Experten sowie Vertreterinnen und Vertreter aus den sogenannten Herkunftsgesellschaften an der dauerhaften Erforschung ihrer Objekte in europäischen und deutschen Sammlungen beteiligt sind.

Um Personen und Institutionen der Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften, auch hinsichtlich möglicher Rückführungen und Kooperationen, zu beraten, Zugang zu Informationen über Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland zu ermöglichen, Vernetzungen aufzubauen und voranzubringen sowie relevante Daten und Informationen zu sammeln, zu strukturieren, zu dokumentieren und zu veröffentlichen, wurde die Einrichtung einer Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten gemeinsam von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Staatsministerin im ­Auswärtigen Amt für internationale Kulturpolitik, den Kulturministerinnen und Kulturministern der Länder sowie den kommunalen Spitzenverbänden am 16. Oktober 2019 beschlossen. Durch die Etablierung der Kontaktstelle konnte ein wichtiges Ziel der „Ersten Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ umgesetzt werden. Die Kontaktstelle, die bei der Kulturstiftung der Länder angesiedelt ist, konnte seit August 2020 Vertreterinnen und Vertreter von Herkunftsgesellschaften aus Afrika, Südamerika und Ozeanien bei der Suche nach Objekten sowie menschlichen Gebeinen in deutschen Sammlungen unterstützen und daher einen Beitrag zur Schaffung von Transparenz in diesem Zusammenhang leisten. Am 11. Juni 2021 wurde die Kontaktstelle im Rahmen der 9. Bund-Länder-AG „Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ damit beauftragt, ein Konzept für eine deutschlandweite Umfrage zu unbearbeiteten menschlichen Gebeinen aus kolonialen Kontexten zu erarbeiten. Ziel der Umfrage sollte sein, erstmals detaillierte Informationen über die Anzahl, die Art, die Herkunft sowie den Stand des Umgangs mit menschlichen Gebeinen aus kolonialen Kontexten in deutschen Museen und Sammlungen zu erhalten, um sinnvolle Maßnahmen für deren Aufarbeitung und zukünftige Rückführung in die Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften entwickeln und umsetzen zu können.

Die „Umfrage zu menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten in Museums- und Universitätssammlungen in Deutschland“ wurde im Zeitraum von April bis Oktober 2022 von der Kontaktstelle durchgeführt und anschließend ausgewertet. An der Umfrage haben 33 Einrichtungen teilgenommen, darunter anthropologische, anatomische, medizinhistorische, ethnologische und paläontologische Sammlungen, insbesondere solche, die ab circa 1750 entstanden sind. Primäres Auswahlkriterium der teilnehmenden Einrichtungen war das Vorhandensein substantieller einschlägiger Sammlungsbestände. Gemäß des Umfrageberichtes sind circa 46 Prozent der durch die Umfrage erfassten unbear­beiteten menschlichen Gebeine aus ko­lonialen Kontexten nicht geografisch zuordenbar. Die meisten unbearbeiteten menschlichen Gebeine, die zugeordnet werden konnten, stammen aus den Weltregionen Afrika und Ozeanien; es befinden sich jedoch unbearbeitete menschliche Gebeine von allen Kontinenten in den befragten Einrichtungen. Des Weiteren beziehen sich circa 38 Prozent der von den beteiligten Einrichtungen übermittelten Zahlen auf durch Annäherungszahlen ausgedrückte summarische Angaben. In 68 Prozent der Einrichtungen sind unbearbeitete menschliche Gebeine inventarisiert und 48 Prozent digital erfasst. Mit Rückführungsanfragen waren bereits 22 Einrichtungen befasst; in 20 ­Einrichtungen gab es bereits Rückgaben. Die genaue Anzahl der unbearbeiteten menschlichen Gebeine aus kolonialen Kontexten kann über den angegebenen Schätzungen liegen.

Die Ergebnisse der Umfrage, die am 29. Dezember 2023 auf der Webseite der Kontaktstelle in Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch veröffentlicht wurden, leisten nicht nur einen Beitrag zur Transparenz in diesem Zusammenhang, um u. a. die Rückgabe menschlicher Gebeine in Abstimmung mit den Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften zu ermöglichen. Sie eröffnen auch die Möglichkeit, über dieses dunkle Kapitel der deutschen Wissenschafts- und Institutionengeschichte zu reflektieren und gemeinsam Maßnahmen für die Aufarbeitung zu vereinbaren. Sie machen darüber hinaus deutlich, dass der aktuelle Informations- und Aufarbeitungsstand im Hinblick auf die Herkunft der menschlichen Gebeine die Einrichtungen und ihre Träger vor große Herausforderungen stellt, die erhebliche personelle wie auch finanzielle Ressourcen in Anspruch nehmen werden. Eine Voraussetzung für die Entwicklung und Umsetzung notwendiger Maßnahmen für die Aufarbeitung der menschlichen Gebeine in deutschen Museen und Sammlungen ist die Etablierung eines kontinuierlichen Austausches mit Vertreterinnen und Vertretern aus den betroffenen Herkunftsgesellschaften, um die Ergebnisse der Umfrage und die sich daraus ergebenden Konsequenzen insbesondere aus der Perspektive der Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften zu bewerten und darüber zu beraten.

Um diesen Prozess unterstützen und begleiten zu können, wird bei der Kontaktstelle eine Plattform für den Austausch und die Beratung zum weiteren Umgang mit menschlichen Gebeinen aus kolonialem Kontext etabliert. Die Schaffung von Transparenz wird ein wesentlicher Aspekt dieses Austausches sein. Mit Vertreterinnen und Vertretern der Herkunftsländer und -gesellschaften soll darüber beraten werden, welche Informationen zu menschlichen Gebeinen, auf welche Weise, für wen und zu welchem Zweck, unter Berücksichtigung der gebotenen ethischen Standards, zur Verfügung gestellt werden können, um Transparenz und Zugang zu schaffen. Sich darum zu bemühen, Menschen in den Herkunftsländern und -gesellschaften transparent darüber zu informieren, wo sich ihre Vorfahren befinden, gehört zur Achtung ihrer Menschenwürde.

Zur Achtung der Menschenwürde gehört auch die Re-Humanisierung oder die vollständige und konsequente Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei menschlichen Gebeinen um Menschen und nicht um Objekte oder Sammlungsgüter handelt.8 Bestandteil dieses Prozesses ist die biografische Forschung, um nach Möglichkeit die Familien oder die lokalen Gemeinschaften zu identifizieren, in denen diese Menschen lebten. Laut Nankela und Silvester rekonstruiert die „Erstellung von Biografien nicht nur die individuelle Identität und ermöglicht eine Wiedervereinigung mit Familien und Gemeinschaften, sondern gibt denjenigen, die als ‚Exemplare‘ behandelt wurden, auch ihre Menschlichkeit wieder“.9 Zur Re-Humanisierung gehört auch eine angemessene Aufbewahrung der menschlichen Gebeine in den Sammlungen und Magazinen. Dies soll unter Berücksichtigung ethischer Aspekte in Abstimmung mit Vertreterinnen und Vertretern von Herkunftsgesellschaften, z. B. durch die Einrichtung von separaten Räumen, um eine räumlich getrennte Aufbewahrung menschlicher Gebeine von anderem Sammlungsgut zu gewährleisten.

In denjenigen Fällen, in denen die Herkunft menschlicher Gebeine mit heutigen Methoden der Forschung nicht vollständig geklärt werden kann oder eine zeitnahe Repatriierung nicht möglich ist, muss ebenfalls eine Entscheidung über einen angemessenen Umgang mit diesen menschlichen Gebeinen getroffen werden. Dies kann z. B. zur Entwicklung kulturell angemessener Praktiken wie der Einrichtung von Besuchsräumen oder „Keeping Places“ für die respektvolle Unterbringung von menschlichen Gebeinen führen.10 Wenn die Herkunft menschlicher Gebeine geklärt werden kann, sind gemäß der „Ersten Eckpunkte“ diese zurückzuführen. Für Herkunftsgesellschaften und indigene Gemeinschaften bedeutet die Rückführung menschlicher Gebeine einen wichtigen Schritt, um das während der Zeit des Kolonialismus geschehene Unrecht zu beenden. Rückführung ist auch eine Möglichkeit, um Wunden zu heilen und den Weg der Kooperation und der ­Versöhnung gemeinsam voranzutreiben.11 Die Entscheidung über eine Repatriierung kann aber nicht auf aktuellen westlichen Museumsstandards basieren oder einseitig getroffen werden. Sie soll vielmehr den Ansprüchen und den ethischen Erwägungen der betroffenen Gemeinschaften entsprechen.12 Aus diesem Grund soll im Rahmen dieser Plattform mit Vertreterinnen und Vertretern aus Herkunftsgesellschaften und Herkunftsstaaten u. a. erörtert werden, wie in denjenigen Fällen verfahren werden kann, in denen die Herkunft menschlicher Gebeine mit heutigen Mitteln nicht vollständig geklärt werden kann und welche ethischen Standards bei einer Repatriierung von menschlichen Gebeinen berücksichtigt werden sollten.

Die Repatriierung von menschlichen Gebeinen ist jedoch nur möglich, wenn das Wissen über ihre Herkunft und/oder ihre Provenienz vorliegt. Laut Winkelmann et al. hat hier Provenienzforschung das Ziel, „eine plausible geografische und ethnische beziehungsweise soziale Herkunftsangabe“ zu erarbeiten. „Durch die Rekonstruktion einer Objekt- oder Subjektgeschichte werden, wenn möglich, die Identität der verstorbenen Person, ihre Lebens- und Todesumstände, die Umstände des Aufsammelns und die daran beteiligten Akteur:innen, ihre Verbringung nach Deutschland sowie die Verwendung und der Verbleib in der Sammlung geklärt.“ Dies bedeutet, dass in denjenigen Fällen, in denen die individuelle Identität nicht geklärt werden kann – wie es für menschliche Gebeine aus kolonialen Kontexten sehr häufig anzunehmen ist –, die Provenienzforschung versucht, durch bekannte kulturelle Zugehörigkeiten oder auf Grundlage von vorliegenden Informationen die kulturelle Identität sowie den Herkunftsstaat zu klären. Auf diese Weise sollen Dialog und Verhandlungen über den weiteren Verbleib sowie den Umgang mit menschlichen Gebeinen mit einer Herkunftsgesellschaft oder mit zuständigen Repräsentantinnen und Repräsentanten eines Herkunftsstaates ermöglicht werden.13

Wenn die Herkunft oder die kulturelle Zugehörigkeit der menschlichen Gebeine durch Provenienzforschung allein nicht nachvollziehbar ist, muss in Abstimmung mit den betroffenen Herkunftsgesellschaften geprüft werden, welche naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden ethisch und wissenschaftlich geeignet wären, um diese zu bestimmen. Daher soll im Rahmen der Plattform mit Vertreterinnen und Vertretern der Herkunftsgesellschaften und Herkunftsstaaten u. a. erörtert werden, welche ethischen Standards für die Herkunfts- und Identitätsbestimmung berücksichtigt werden sollten und wie Prozesse zur kollaborativen Erarbeitung solcher Standards gestaltet sein sollten. Darüber hinaus soll erörtert werden, welche naturwissenschaftlichen Methoden geeignet sind, um die Identität oder die Herkunft der menschlichen Gebeine nach heutigen ethischen Standards zu ­bestimmen, welche Möglichkeiten und Grenzen die bestehenden Analysemethoden bieten und welche Schwierigkeiten sich in der Praxis zeigen.

Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Diskussionen innerhalb dieser Plattform auch eine Reflexion auf die Gräueltaten und das Unrecht der Vergangenheit umfassen werden, ist das Hauptanliegen des nun beginnenden Prozesses, gemeinsam Maßnahmen zum Umgang mit menschlichen Gebeinen in deutschen Sammlungen zu entwickeln und für die bestehenden Herausforderungen angemessene Lösungen zu finden, die zur ­Versöhnung beitragen. Daher wird die Zusammenarbeit in diesem Rahmen kulturell sensibel und vertrauensbasiert ­gestaltet werden. Der Ansatz ist dabei in erster Linie prozessorientiert. Insbesondere Akteurinnen und Akteure aus den Herkunftsländern und -gesellschaften soll die Möglichkeit eröffnet werden, ihre Sichtweisen und Anliegen in den Diskurs um den Umgang mit menschlichen Gebeinen aus kolonialen Kontexten in deutschen Museen und Sammlungen einzubringen. Dies soll sicherstellen, dass Handlungsoptionen für den weiteren Umgang mit menschlichen Gebeinen im Einvernehmen mit den betroffenen Gesellschaften entwickelt werden.

[1] Soyinka, Wole (1999): The Burden of Memory. The Muse of Forgiveness, Orford University Press, Oxford. S. 58–60

[2] Arndt, Susan (2021): Rassismus begreifen, Verlag C.H. Beck oHG, München. S. 19

[3] Ariès, Philippe (1974): Western Attitudes toward Death. From the Middle Ages to the Present, Marion Boyards, London. S. 73–74

[4] Kilomba, Grada (2021): Mémoires de la plantation, épisodes de racisme ordinaire, Anacaona Éditions, Paris. S. 71

[5] Mbembe, Achille (2017): Critique of Black Reason, Duke University Press, Durham; S. 36

[6] Arndt, Susan: Rassismus begreifen. S.365–388

[7] Sarr, Felwine – Savoy, Bénédicte (2019): Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter, Matthes & Seitz, Berlin. S. 16

[8] Tarle, Lia – Nicholas, George – Cardoso, Hugo F.V. (2022): What next? Changing ethical protocols for human remains in museums, in: Meloche, Chelsea H – Spake, Laure – Nichols, Katherine L (Hrsg.): Working with and for ancestors. Collaboration in the care and study of ancestral remains, Routledge Taylor & Francis Group, London and New York. S. 219–232

[9] Nankela, Alma – Silvester, Jeremy (2021): Ein Erfahrungsbericht aus Namibia: die Kontroverse um Rückführung menschlicher Überreste und heiliger Gegenstände, in: Deutscher Museumsbund (Hrsg.): Leitfaden – Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, Berlin. S. 141–149

[10] Colwell, Chip – Nash, Stephen E. (2022): Why We Repatriate: On the Long Arc Toward Justice at the Denver Museum of Nature & Science, in: Meloche, Chelsea H – Spake, Laure – Nichols, Katherine L (Hrsg.): Working with and for ancestors. Collaboration in the care and study of ancestral remains, Routledge Taylor & Francis Group, London and New York. S. 79

[11] Batt, Fiona (2022): Ancient Indigenous Human Remains and the Law. Routledge Taylor & Francis Group: London, New York. S. 3

[12] Colwell, Chip – Nash, Stephen E: Why We Repatriate. S. 85

[13] Winkelmann, Andreas – Stoecker, Holger – Fründt, Sarah – Förster, Larissa (2022): Interdisziplinäre Provenienzforschung zu menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten. Eine methodische Arbeitshilfe des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité und von ICOM Deutschland. S. 12

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