Vom Bus aus
Robert Frank, 1924 in der Schweiz geboren, übersiedelte 1947 in die USA und lebt seither in New York City. Die Sommerzeit verbringt er seit 1970 in Kanada in einem Haus mit Blick in eine weite Landschaft und auf das Meer. In dieser einzigartigen Umgebung war meine Frage an ihn: „Warum ist New York weiterhin wichtig für Dich?“ Seine Antwort benennt den ihm wichtigen Kontrast, der sein Leben und seine Arbeit bestimmt hat. „In New York musst du wirklich alles hingeben, um etwas zu erringen, dich verteidigen. Hier würde ich einschlafen. Und New York zwingt mich dann hier aufs Land zu gehen und etwas zu machen, denn in New York habe ich nicht genügend Frieden, es ist zu laut, zu anstrengend, um dort zu arbeiten. Aber es ist immer noch mein Platz für das Sehen und das Denken. Ich sehe das Neue, ich empfinde das Neue – ich denke darüber nach.“
Frank lebt im Süden Manhattans, in einem Umfeld gesammelter Erinnerungen, vielfältiger Objekte und liebt es bis heute, Trödelläden zu besuchen. Diese Vorliebe des Sammelns und Aufhebens sieht er rückblickend in seiner Schweizer Herkunft begründet. „Es ist Sentimentalität, dass du dich an dem festhältst – die Erinnerung hilft dir – so wie Steine am Fluss, die helfen ans Ufer zu kommen.“ Als Sohn des deutschen Innenarchitekten Hermann Frank und der Schweizerin Rosa Zucker in Zürich geboren, verbrachte er dort seine Jugend und erhielt eine fotografische Ausbildung. Der Vater, jüdischer Abkunft, verlor infolge des Reichsbürgergesetzes (1935) seine deutschen Bürgerrechte und beantragte deshalb 1941 für seine Söhne die Schweizer Staatsbürgerschaft, die Robert Frank schließlich 1945 zuerkannt wurde. Zwei Jahre später übersiedelte er dann in die Vereinigten Staaten von Amerika. Als erster Europäer erhält er 1955 ein einjähriges Stipendium der John Simon Guggenheim Memorial Foundation für die Idee: „To photograph freely throughout the United States, using the miniature camera exclusively. The making of a broad, voluminous picture record of things. America past and present, this project is essentially the visual study of a civilisation and will include caption notes; but it is only partly documentary in nature: one of its aims is more artistic than the word documentary implies“, schreibt Frank in seiner Bewerbung an die Stiftung 1954. Das aus dem Projekt resultierende Buch wurde 1958 zuerst in Frankreich publiziert und erschien ein Jahr später mit einem Vorwort von Jack Kerouac in den USA. „The Americans“ wurde ein großer, nachhaltiger Erfolg und gilt bis heute als das einflussreichste Fotobuch. Aus der Verbindung von sozial-dokumentarischem Interesse und subjektiver Wahrnehmung entwickelte Frank einen auf das Einzelbild gerichteten eigenständigen Ausdruck der Beobachtung.
Weder die vorerst harsche Kritik, die der Europäer für das entworfene Bild der amerikanischen Gesellschaft in der Fachpresse erhielt, noch der sich anschließende extreme Erfolg kann klar als richtungweisend für Franks weitere Arbeit gedeutet werden. Frank ist ein äußerst skeptischer und widerständiger Künstler, was ihn Ende der 1950er Jahre davon abhielt, das Erzielte fortzuführen. 1958 entschied er sich für ein Projekt in New York City – für die Serie „From the Bus“. Diese zwölf Fotografien umfassende Arbeit ist rückblickend ein Schlüsselwerk im Schaffen des Künstlers. In seinem Buch „The Lines of my Hand“ beschreibt er diese aus einem fahrenden Bus aufgenommene Bildserie als sein letztes Fotoprojekt, als eine Abkehr vom statischen Einzelbild. Nicht nur ihr Sequenzcharakter, sondern die zufällige Komposition dieser Bilder kündet bereits das nachfolgende filmkünstlerische Werk an. Im Unterschied zu seiner vorangegangenen Arbeitsweise sind es nicht mehr die zu konzentrierenden Bilder aus einer subjektiven Wahrnehmung, sondern erfasst werden „vielmehr die Bilder, die sich ihren Fotografen suchen. Und doch steht hinter all diesen beiläufigen Blicken aus dem Busfenster ein kritisches Auge und eine ordnende Hand“ (Steffen Siegel, Kunstwissenschaftler). Rückblickend auf diese Serie schreibt Robert Frank in einem Brief an Philip Brookmann: „It had to do with desperation and endurance – I have always felt that about New York. Compression and probably some understanding for New York’s concrete and its people, walking … waiting … standing up … holding hands … the summer of 1958.“ Die Bildserie ist nicht nur einzigartig im Sinne des visualisierten Übergangs vom fotografischen, statischen Bild zur filmischen Arbeit, sondern sie war wegweisend für eine Generation von Fotografen und Fotografinnen, die dem uns umgebenden Alltagsgeschehen, unseren unbewussten Bewegungen und sich wiederholenden täglichen Ritualen eine zeitgenössische Bedeutung gaben.
Das Museum Folkwang hat dem Werk des Fotografen Robert Frank seit 1987 drei große Ausstellungen gewidmet. Die vorerst letzte Ausstellung („Paris“) fand 2008 statt – eine Gegenüberstellung mit dem Werk Otto Steinerts („Pariser Formen“), beide hatten sich in den 1950er Jahren intensiv mit der Stadt Paris als Terrain ihrer foto-bildnerischen Arbeit auseinandergesetzt. In der Fotografischen Sammlung des Museums ist Robert Frank mit 31 Arbeiten vertreten. Der Bestand umfasste bislang Fotografien aus der frühen New Yorker Zeit (späte 1940er Jahre), aus der Phase seines beständigen Wechsels zwischen den Kontinenten (Anfang der 1950er Jahre) und aus dem Projekt „The Americans“ (1955–57). Darüber hinaus erwarb das Museum Beispiele seiner Collagen und Foto-Montagen aus den 1990er Jahren.
Auf Empfehlung des Fotografen wurde dem Museum Folkwang 2009 das einzige noch verfügbare Exemplar der Serie „From the Bus“ zum Kauf angeboten; ein zweites Exemplar befindet sich als Bestandteil der Robert Frank Collection in der National Gallery of Art in Washington. Die zwölf Fotografien wurden 1962, d. h. zeitnah zum Aufnahmedatum, von Robert Frank selbst auf Barytpapier vergrößert. Nun konnte das Werk für die Fotografische Sammlung des Museums erworben werden. Damit wurde der Bestand auf einzigartige Weise bereichert und zu einem Werkkomplex von herausragender Qualität erweitert, der das vielfältige fotografische Schaffen Robert Franks sinnfällig veranschaulicht.