Verlust und Rückgabe

Deutschland und Russland verhandeln seit Jahren über Kunst- und Kulturgüter aus Deutschland, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der Roten Armee in die damalige Sowjetunion verbracht worden sind. Während in den späten 1950er Jahren seitens der Sowjetunion in bedeutendem Umfang Kunstwerke an die ehemalige Regierung der DDR zurückgegeben wurden, stehen die Verhandlungen auf politischer Ebene besonders seit der Verabschiedung des so genannten Beutekunst- oder auch »DUMA«-Gesetzes aus dem Jahr 1998, durch das die kriegs-bedingt verbrachten Kunst- und Kulturgüter aus deutschen öffentlichen Einrichtungen zu russischem Staatseigentum erklärt wurden, still.

Hermann Parzinger (Mitte), Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Sprecher des Deutsch-Russischen Museumsdialogs, mit Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker und Nina Falin, Gattin des Botschafters a.D. Valentin Falin, auf dem Festakt „Verlust + Rückgabe“ am 30. Oktober 2008 im Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel.
Hermann Parzinger (Mitte), Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Sprecher des Deutsch-Russischen Museumsdialogs, mit Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker und Nina Falin, Gattin des Botschafters a.D. Valentin Falin, auf dem Festakt „Verlust + Rückgabe“ am 30. Oktober 2008 im Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel.

Rund 80 deutsche Museen, die bis heute von Verlusten betroffen sind, haben im November 2005 in Berlin beschlossen, auf der Fachebene die Initiative »Deutsch-Russischer Museumsdialog« zu gründen, die ihre Interessen nach innen und außen fachlich vertritt. Sprecher ist der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Prof. Dr. Hermann Parzinger, die Koordination und Geschäftsführung hat Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, übernommen.

Auf Museumsebene bestehen bereits gute Kontakte und Kooperationen zwischen deutschen und russischen Einrichtungen. Ziel des Deutsch-Russischen Museumsdialogs ist es, diese in gemeinsamen wissenschaftlichen Vorhaben weiter zu intensivieren. Die Mitglieder sind davon überzeugt, hierdurch nicht nur zur Aufklärung des Verbleibs der kriegsbedingt verbrachten Kunst- und Kulturgüter beizutragen, sondern vor allem auch eine wichtige Maßnahme zur Vertrauensbildung zwischen den Fachkollegen zu schaffen.
Die »Sixtinische Madonna« bildete den Auftakt.

»Verlust + Rückgabe« war das erste gemeinsame Projekt, das auf die Initiative Deutsch-Russischer Museumsdialog zurückgeht. Anlass war der 50. Jahrestag der großen Rückgabeaktion von über 1,5 Millionen Kunstwerken aus der Sowjetunion an die Deutsche Demokratische Republik in den Jahren 1955-1958. Am 31. März 1955 hatte der Ministerrat der Sowjetunion die Rückgabe von Gemälden für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden als Freundschaftsgeste an die DDR angekündigt. Die noch im gleichen Jahr erfolgte Rückgabe mit bedeutenden Werken Dürers, Jan van Eycks oder Raffaels »Sixtinischer Madonna« bildete den Auftakt der umfangreichen Rückgabeaktion, durch die ab September 1958 rund 1,5 Millionen bedeutende Kunstschätze aus Moskau und Leningrad zurückkehrten. Ihre Rückkehr beflügelte den Wiederaufbau der kriegszerstörten Museen und ermöglichte das Wiedererstehen der ostdeutschen Museumslandschaft: Im Oktober 1959 wurden das Pergamonmuseum mit den einzigartigen Friesen des Pergamonaltars sowie nahezu das gesamte Bode-Museum neu eröffnet. Fast alle Ost-Berliner Museen fanden damit zu ihrer ursprünglichen Bedeutung zurück. Umfangreiche Wiedereröffnungen gab es auch in Dresden, wohin 600.000 Kunstwerke zurückkehrten, sowie in Dessau, Gotha, Leipzig oder in den Potsdamer Schlössern, um nur einige Orte zu nennen.

Unter Beteiligung von 28 deutschen Museen und weit über fünfhundert Gästen erinnerte nun der Deutsch-Russische Museumsdialog am 30. Oktober 2008, 50 Jahre nach der großen Kunstrückkehr aus der Sowjetunion, mit einem Festakt unter dem Titel »Verlust + Rückgabe« im Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel an dieses bedeutsame Ereignis. Eine gleichnamige Begleitpublikation gibt einen Überblick über die zurückgekehrten Kunstwerke. Zur Zeit zeigen neun der beteiligten Museen die Geschichte ihrer zunächst verlorenen und dann wiedergewonnenen Kunstwerke und würdigen damit die Rückgabe.

In seiner Eröffnungsrede zum Festakt zeigte Hermann Parzinger zunächst die historischen Zusammenhänge auf, denn erst bedingt durch den beispiellosen Kulturraub Hitlers erfolgten die Beschlagnahmungsaktionen durch die russischen Trophäenbrigaden. Dennoch sprach die sowjetische Führung den Deutschen ihr Recht auf ihr Kulturerbe nicht ab.

 

Aufklärung, Zusammenarbeit und Vertrauen

»Außenminister Molotow sprach 1955 vom ›kulturellen Erbe der DDR zur vorübergehenden Aufbewahrung in der UdSSR‹. Die Staatlichen Museen zu Berlin«, so Parzinger, »und insbesondere die Museumsinsel wären heute nicht das, was sie sind, und könnten nicht jedes Jahr Millionen von Besuchern aus aller Welt in ihren Bann ziehen, wäre es 1958 nicht zu dieser Rückführung gekommen.« Darüber nur enttäuscht zu sein, dass die russische Seite nicht weiter restituiert, hält Parzinger für zu kurz gegriffen. »Auch heute noch, über 60 Jahre nach Kriegsende, dürfen wir das von Hitler-Deutschland begangene Unrecht dabei nicht aus dem Blick verlieren. Enttäuscht mag man allenfalls über Geheimhaltung, Verschleierung und Misstrauen sein, und es muss unser gemeinsames Anliegen sein, dem Aufklärung, Zusammenarbeit und Vertrauen entgegenzusetzen. Genau diesem Ziel hat sich der Deutsch-Russische Museumsdialog verpflichtet.«  Bundespräsident a. D. Richard von Weizsäcker betonte in seiner anschließenden Ansprache, wie besonders eng die geschichtlichen und kulturellen Verbindungen zwischen Deutschen und Russen seien: »Es gehört unauslöschlich zu unserem Verhältnis, dass Johann Gottfried Herder wesentlich dazu beigetragen hat, das Bild Russlands und des Ostens für die deutsche Mentalität zu prägen. Das lebhafte Interesse der Russen für Immanuel Kant, das uns inmitten des schweren Schicksals von Kaliningrad wiederum tief berührt, zeigt sich bis heute am Dom und Grab in Kants Geburtsort. Umgekehrt ist und bleibt für uns Deutsche die Anteilnahme an den großen Werken der russischen bildenden Kunst, der Musik und zumal der russischen Literatur von prägender Bedeutung. Im 20. Jahrhundert haben wir dieses gemeinsame Erbe auf grausame Weise verraten«, sagte von Weizsäcker eingangs. »Wir Deutschen mussten bald bitter erfahren, wie Unrecht und Gewalt, die von uns ausgegangen waren, auf das eigene Volk zurückschlugen. Beide Völker hatten am Ende einander fürchterliche Wunden geschlagen.« Dennoch sieht von Weizsäcker in den Rückgaben von 1958 einen Beitrag dazu, »dass es nach dem Krieg wieder Kontakte zwischen Deutschen und Russen gab, dass man in der Sowjetunion daran dachte, im Reden und Denken einen Unterschied zu machen zwischen dem Hitlerregime und der deutschen Nation. […] Diese Entscheidung der damaligen Verantwortlichen in der Sowjetunion mag durchaus politische Motive gehabt haben. Jedenfalls aber war sie nichts weniger als selbstverständlich. Heute gedenken wir ihrer in Dankbarkeit«. Von Weizsäcker schloss in diesen Dank jedoch auch die Hoffnung ein: »Wie könnte es anders sein! Die Hoffnung nämlich, dass das, was für jene vielen Kunstwerke möglich war, auch für andere eines Tages Wirklichkeit werden könnte. Es ist gut, dass die Museumsleute aus beiden Ländern heute unvoreingenommen zusammenarbeiten. Ihnen ist die Pflege und Erhaltung, die Erforschung und Darbietung des Kulturguts anvertraut. Es ist gut, dass die Regierungen auf der Basis des Nachbarschaftsvertrages von 1991 geduldige, aber auch konsequente Gespräche darüber führen, wie es zur Rückführung kriegsbedingt verlagerten Kulturguts kommen kann. Diese Bemühungen verdienen es fortgesetzt zu werden«, betonte von Weizsäcker zum Abschluss.

 

Valentin M. Falin, sowjetischer Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland von 1971-78, zog als Zeitzeuge eine bittere und sehr berührende historische Bilanz der Gräueltaten der Nationalsozialisten. Nach seiner Auffassung ist es jedoch zu früh, den Punkt unter das Kapitel Restitution zu setzen: »Investieren wir in diesem komplizierten Prozess […] ein Maximum an Vertrauen, gegenseitiger Achtung und Aufrichtigkeit, dann bin ich davon überzeugt, dass es uns gelingt, den Stein zu bewegen, unter dem jetzt kein Wasser fließt.« Falin sieht keine gewichtigen Gründe, die gegen die Rückgabe von Archivalien und Büchern sprechen, »in die oft die Mäuse schauen und Tauben ihre Nester bauen«. Für ihn sei die Rückkehr die einzig richtige Lösung für die Rettung von Archiven und Büchern, wie damals, als die Ethnographische Sammlung gerettet wurde. »Soweit das damals von mir abhing, so unterstützte ich deren Rückkehr, denn die offensichtliche Alternative war der Verderb vieler Gegenstände angesichts des Fehlens von spezifischen Bedingungen für deren Lagerung.« Falin rief auch zu dringend notwendigen Rechercheforschungen auf. »Reif und überreif ist die Notwendigkeit der Durchführung einer Inventarisierung – die strengste und am besten qualifizierte in allen Lagerräumen sowohl in Russland als auch in Deutschland.«

Mikhail Borisovich Piotrovsky, Direktor der Staatlichen Eremitage St. Petersburg, berichtete über bereits äußerst erfolgreiche Kooperationen zwischen den großen deutschen und russischen Museen. Als Überraschungsgast trat abschließend noch Michail Schwydkoi, derzeit Berater des russischen Präsidenten und des russischen Außenministers in kulturellen Angelegenheiten, ans Rednerpult und lobte die Initiative Deutsch-Russischer Museumsdialog, die als Fachdialog ein Schritt in die richtige Richtung sei.

Ein Programm zur Auswertung von Transport- und Verteilungslisten kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter anhand von Archivmaterial in Deutschland und der Russischen Föderation mit anschließender Lokalisierung und Identifizierung in den Depots ist in Arbeit. Deutsche und russische Wissenschaftler werden in einem Kooperationsprojekt die meist noch nicht digitalisierten Archivbestände der Pack- und Transportlisten auswerten. Ein weiteres Projekt wird ein Stipendienprogramm für Nachwuchskräfte an deutschen und russischen Museen sein. Ziel ist es, gemeinsame Forschungen von jungen Museumswissenschaftlern aus Russland und Deutschland zu befördern. Die Möglichkeit des fachlichen Austauschs eröffnet die Chance, fundierte und langfristige Beziehungen unter den Museumsexperten aufzubauen.