Urahn von Powerpoint
Das Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen (ZNS) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) besitzt eine über 2.000 Objekte umfassende naturwissenschaftliche Lehrtafelsammlung. Etwa mehr als die Hälfte der zurzeit vom ZNS erfassten Lehrtafeln sind Unikate, die eigens nach den Vorgaben der Dozenten in den jeweiligen Instituten der MLU angefertigt wurden. Einige Lehrtafeln wurden sogar von Dozenten selbst gezeichnet, wie z. B. von Prof. Dr. Ludwig Freund, der von 1950 bis 1953 als Ordinarius für Zoologie in Halle (Saale) tätig war. Der andere Teil der Lehrtafeln stammt aus Manufakturen verschiedener Hersteller, wie z. B. von Paul Pfurtscheller in Wien, Theodor Fischer in Kassel (herausgegeben von Dr. R. Leuckart) oder von Jakob Ferdinand Schreiber aus Esslingen, dessen Verlag von 1878 bis 1893 in mehreren Auflagen den Dodel-Port-Atlas (Anatomisch-Physiologischer Atlas der Botanik) aufgelegt hatte.
Der Zustand der teilweise mehr als 100 Jahre alten Tafeln ist aufgrund falscher Lagerung und schlechtem Ausgangsmaterial oft miserabel. Die Medien der Lehre haben sich zu digitalen Powerpoint-Präsentationen weiterentwickelt. Dennoch ist die Sammlung eine einmalige Forschungs- und Lehrressource, zeigt sie doch nicht nur die Lehr- und Forschungsfragen unserer Vorväter, sondern erklärt deren didaktische Ansprüche, kulturhistorische Einbindung und Gespür für Ästhetik, spiegelt soziopolitische Phänomene ebenso wie die Illustration des Vergänglichen wider, macht Komposition und verwendete Technik sichtbar, bringt Hersteller und die Forscher dahinter näher. Selten finden wir heute neue Abbildungen, die eine halbe Vorlesungsstunde auf zwei Quadratmetern zu illustrieren vermögen. Die Frage vieler Dozenten, ob Lehrtafeln noch zeitgemäß seien, ist mit ja zu beantworten, denn diese sind heute durch Rekontextualisierung zu einem eigenen Lehr- und Forschungsobjekt zwischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, Didaktik und Ästhetik geworden.
Daher beabsichtigt das ZNS, Lehrtafeln zukünftig web- und touchscreenbasiert über eine digitale Plattform einer breiten internationalen Forschung verfügbar zu machen. Je nach Erkenntnisinteresse können unterschiedliche Pfade an Information angesteuert werden, zu Herstellern, zu Themengruppen, zur Darstellungsweise. Einige der Tafeln gehen digital wieder in die fachspezifische Lehre ein, drei bis vier Kurse an der MLU verwenden derzeit sogar noch die Originale.
Mit hohem personellen Aufwand ging daher das ZNS in Zusammenarbeit mit einem professionellen Fotografen an die Digitalisierung aller Lehrtafeln im aktuellen Erhaltungszustand. Die hoch auflösenden tif-Dateien wurden in einer Bilddatenbank gespeichert. Diese Datenbank dient heute nicht nur zur digitalen Sicherung der Lehrtafeln, sondern sie dokumentiert den Ist-Zustand der Lehrtafeln vor jeglicher Konservierung und ist Arbeitsgrundlage für alle weiteren Schritte der Aufarbeitung. Für alle Lehrtafeln aus Papier, die stark angegriffen und beschädigt sind, ist eine komplette Restaurierung notwendig. Erste Versuche, diese Aufgabe aus eigenen Kräften unter fachkundiger Anleitung zu bewerkstelligen, wurden wieder aufgegeben. Es war eine Initialzündung notwendig, um nun beispielhaft über 100 Tafeln restaurieren bzw. konservieren zu lassen. Angestoßen wurde dieses Anliegen durch die finanzielle Unterstützung der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) an der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Seit nunmehr zwei Jahren kooperiert daher das ZNS mit einer Restaurierungswerkstatt in Berlin in der konservatorischen Stabilisierung und Papierrestaurierung der Tafeln.