UMBOs Sammlung

„Sind Sie Kriegsdienstverweigerer? Nein? Oder Arbeitsloser? Nein? Auch nicht Student? Irgendwas müssen Sie doch sein! Also gehen Sie schon rein! Hier ist die Freikarte!“

So oder so ähnlich lauteten die Dialoge, mit denen der die Kasse der Kestnergesellschaft bewachende, freundliche ältere Herr kunsthungrigen Leuten den Eintritt schmackhaft machte – zum Amüsement des Direktors, aber auch zu seinem Kummer, wenn er an die vielen Freikarten und an seinen Schatzmeister dachte.

Das Herz des freundlichen älteren Herrn gehörte aber auch den ganz kleinen Freunden der Kunst. Bekannt in der ganzen Stadt waren in einschlägigen Kreisen UMBOs Gummibärchen: Zur Freude dieser „Kunst-Minis“ sprangen sie aus einer Blechbüchse, als Belohnung für den Gang in die Warmbüchenstraße.

UMBO bei der Ausstellung „DADA – Photographie und Photo­collage“ 1979 in der Kestnergesellschaft Hannover vor seinem Werk „Der rasende Reporter“ im Gespräch © Dieter Burkamp
UMBO bei der Ausstellung „DADA – Photographie und Photo­collage“ 1979 in der Kestnergesellschaft Hannover vor seinem Werk „Der rasende Reporter“ im Gespräch © Dieter Burkamp

UMBOs vom Bauhaus geprägte Berliner Zeit war Legende, wenngleich er außerordentlich sparsam mit entsprechenden Mitteilungen darüber war. So blieb mir sein Genie lange Zeit verborgen. Irgendwann aber bat ich ihn, ihn in seiner Wohnung in der Podbielskistraße besuchen zu dürfen. Ich erntete freund­liche Zustimmung. „Vielleicht wollen Sie meine Sammlung sehen? Ich zeige sie selten!“ Von einer Sammlung allerdings hatte ich nie etwas gehört. Mit Vergnügen und Neugierde stimmte ich zu. Er führte mich zu seinem Küchentisch und zog die Schublade auf: „Bitte sehr!“ Was ich sah, war ein für mich undefinierbarer grauer Staub. Es sah aus wie Zigarettenasche – und das war es auch. „Ein Ergebnis langer sammlerischer Anstrengung…“, war sein verschmitzter Kommentar. Oder handelte es sich hier um einen frühen konzeptuellen Ansatz mit ironischer Intonation? Bei UMBO wusste man nie…

Als mit Paul Citroens Hilfe UMBOs Fotos wieder auftauchten, die vor dem Zweiten Weltkrieg zu einer Ausstellung nach New York geschickt worden waren, fiel es nicht nur mir wie Schuppen von den Augen: Da waren Meisterwerke aus der Versenkung aufgetaucht. Die Qualität war einzigartig. Als ich die Arbeiten 1979 in meiner großen Ausstellung „DADA – Photographie und Photo­collage“ an der Seite der großen Namen von Man Ray bis Arp, von Citroen bis Duchamp, von Magritte bis Moholy-Nagy und Schwitters sah, war klar, dass sein Stern endlich aufgegangen war – vorerst allerdings nur in der bescheidenen Warmbüchenstraße. Aber das sollte sich ändern. UMBOs Verhältnisse besserten sich langsam. Und er genoss die guten italienischen Lokale Hannovers. UMBO im „Roma“ – bis dato gänzlich unvorstellbar. Ein freundlicher Ehrensold aus Bonn kam zu Hilfe.

Carl Haenlein am Rednerpult bei der Ausstellungseröffnung „DADA – Photographie und Photo­collage“ 1979 in der Kestnergesellschaft Hannover. UMBO im Hintergrund an der Wand lehnend © Dieter Burkamp
Carl Haenlein am Rednerpult bei der Ausstellungseröffnung „DADA – Photographie und Photo­collage“ 1979 in der Kestnergesellschaft Hannover. UMBO im Hintergrund an der Wand lehnend © Dieter Burkamp

UMBO blieb der Kestnergesellschaft treu. Er litt mit dem Team, wenn die Hannoveraner die herrlichen Zeichnungen von Twombly nicht sehen wollten – zur Eröffnung im Jahr 1976 kamen sage und schreibe 71 Personen (am Ende zählten wir 78 Besucher). Dann tröstete er den Direktor und die Kollegen.

Heute wissen wir: UMBO ist nicht nur als Künstler in Hannover unerreicht. Auch international halten seine Arbeiten jeden Vergleich aus.

Das bescheidene Leben an der Kasse und in seiner Wohnung waren das eine. Von Erinnerungen an Berlin habe ich ihn nahezu nie reden hören. Man könnte sagen, das war auch gar nicht nötig, denn im Tonfall seiner Arbeiten, die man langsam kennenlernte, hatte sich der Slang der großen Städte bestens verfangen. Auch wenn damals UMBOs Werk hierzulande unsichtbar geworden war – als Künstler war er nicht mehr fassbar, bis sich Julien Levys Depot in New York öffnete und sich dort seine Arbeiten – immer noch original verpackt! – finden ließen.

Dass UMBOs Werk wieder ein Œuvre war, hieß aber noch lange nicht, dass er seinen Posten an der Kasse der Kestnergesellschaft aufgegeben hätte. Da erschien er wie eh und je pünktlich, versuchte so vielen Besuchern wie möglich den Eintritt attraktiv zu machen und arbeitete so auf seine ganz eigene Weise als unermüdlicher Werber an der Basis.

Einen Schutzpatron wie UMBO hatte die Kestnergesellschaft nie wieder. Dafür ist ihm das Institut für immer zu Dank verpflichtet.