Tischlein, wandel dich!
In einer Pariser Zeitungsanzeige aus dem Jahr 1781 warb der Neuwieder Ebenist David Roentgen (1743–1807) neben luxuriösen Möbeln wie Kabinettsesseln, Geldschränken und Schreibtischen für Spieltische – vor allem Tric-Trac-Tische – in seiner Pariser Dependance. Roentgen war damit à la mode: Zu dieser Zeit erfreute sich das Tric-Trac-Spiel – heute als Backgammon bekannt – bei Bürgerlichen und Adeligen in Frankreich gleichermaßen großer Beliebtheit. Seit dem Mittelalter überliefert und im 16. Jahrhundert erstmals in schriftlichen Quellen erwähnt, greift der lautmalerische Name Tric-Trac das Aneinanderschlagen der Steine und Würfel im Spiel auf. Der Boom gipfelte in der Herstellung spezieller Spieltische. Besonders ein französisches Modell im Stil von Louis XVI entwickelte sich zum Verkaufsschlager, ihm ist auch der für das Neuwieder Roentgen-Museum erworbene Schreib- und Spieltisch von David Roentgen zuzurechnen: Der filigrane Schreibtisch verfügt über ein abnehmbares Blatt, das auf der Oberseite mit Leder als Schreibunterlage und der Unterseite mit einem gefilzten Tuch für Würfel- und Kartenspiele bespannt ist. Im Tischkasten findet sich die Tric-Trac-Spielkassette, flankiert von zwei Schubkästen, die sich den beiden Spielern wechselseitig öffnen. Die Besonderheit des Roentgen-Tischs: Gleich fünffach lässt er sich wandeln, so befindet sich auf der Rückseite seiner Tric-Trac-Spielkassette zusätzlich ein herausziehbares und beidseitig zu verwendendes Spielbrett für Schach und Dame. Das Roentgen-Tisch-Ensemble komplettieren zwei silberne Leuchter – falls das Spiel die Nacht durch geht – und gängige Spielsteine mit Würfel und -becher.
Der Name Abraham Roentgen (1711–1793) galt schon zu Lebzeiten als Synonym für erlesenen Geschmack und technisch anspruchsvolle Möbel. Die von ihm in Neuwied 1750 gegründete Manufaktur erlangte unter Leitung seines Sohnes David ab 1772 europaweit Ruhm, so gehörten zum illustren Kundenstamm u. a. der preußische König Friedrich Wilhelm II., die russische Zarin Katharina die Große sowie das französische Königspaar Ludwig XVI. und Marie-Antoinette. Anders als sein Vater orientierte sich David Roentgen von Anfang an stärker nach Paris, da hier alle wichtigen Geschäftsverbindungen zusammenliefen. 1780 gründete er dort eine Dependance. Als einziger deutscher Kunstschreiner konnte er durch die Eleganz seiner Entwürfe mit dem Renommee der Pariser Hof-Ebenisten mithalten. Doch so modern Roentgen auch die edlen Möbel in seiner Manufaktur produzierte, seine Kundenklientel stammte aus dem Ancien Régime und nicht aus dem aufstrebenden bürgerlichen Milieu. In Folge der Französischen Revolution 1789 musste Roentgen als Günstling des Königpaars seine Filiale in Paris schließen und flüchten. Der Modegeschmack änderte sich und Roentgens luxuriöse Möbel fanden keine Abnehmer mehr, sodass die Manufaktur ab 1792 die Produktion in Neuwied einstellte.
Der nun für das Neuwieder Roentgen-Museum erworbene, mit Mahagoni furnierte Schreib- und Spieltisch weist sämtliche Charakteristika der Möbel der Roentgen-Werkstatt auf. Er glänzt durch präzise ausgearbeitete mechanische Effekte, welche die ganze Kunstfertigkeit und Erfindungsreichtum Roentgens zeigen. Darüber hinaus verdeutlicht er prominent die Adaption französischer Vorbilder für den Verkauf in Frankreich – und beweist somit, dass die Hinwendung der Roentgen-Manufaktur zum französischen Luxusgütermarkt früher als gedacht stattfand. Heute gelten Roentgen-Möbel als kostbare Raritäten. Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Otto Wolff Stiftung gelangt der raffinierte Verwandlungstisch nun in das rheinland-pfälzische Museum, das damit seinen Bestand – mit Schwerpunkt auf den Möbeln aus der Zeit von Abraham Roentgen – einzigartig erweitern kann.