Theatrum sacrum in Brandenburg

„Oberschwäbischer Barock“, „bayerische Volksfrömmigkeit“, „Vorarlberger Bauschule“ – kunsthistorische Bezeichnungen wie diese belegen, dass es vor allem der Süden Deutschlands ist, den man gemeinhin mit barockem Überschwang und ästhetischem Katholizismus verbindet. Umso überraschter blickt man auf das Stift Neuzelle, dessen süddeutsch anmutender Kirchenbau unvermittelt aus der brandenburgischen Landschaft emporragt. Das von den Wettinern gegründete Zisterzienserkloster in der Niederlausitz blieb in der Reformationszeit eine katholische Insel inmitten einer rein protestantischen Umgebung und erfuhr im Dreißigjährigen Krieg den Schutz der Habsburger. Nach dem Großen Krieg wurde neu gebaut, und zwar bewusst im Stil des süddeutschen Barock.

Man kann sich unschwer vorstellen, was für eine Herausforderung es für den Konvent gewesen sein muss, sich inmitten einer protestantischen, aus seiner Sicht also irrgläubigen und feindlichen Umwelt als Anhänger des wahren Glaubens zu präsentieren. Man suchte ganz bewusst den Anschluss an die aktuelle Kunstproduktion katholischer Gebiete. Deshalb orientierte man sich bei der Modernisierung der gotischen Klosterkirche am süddeutschen Barock. Deshalb auch verpflichtete man für die Ausstattung italienische Kunsthandwerker. Und deshalb schließlich wurde ein ganz besonderer Auftrag einem böhmischen Maler übertragen: Er sollte ein „theatrum sacrum“ für die Passionszeit schaffen, das den Mönchen und den aus katholischen Nachbargegenden kommenden Pilgern (die die Gebeine der in den Hussitenkriegen ermordeten Mönche und Äbte als Märtyrerreliquien verehrten) in lebensgroßen Szenen die Leidensgeschichte Christi vor Augen führte.

Figuren aus der Szene „Jesus vor Kaiphas“ im Depot von Kloster Neuzelle © Stiftung Stift Neuzelle / Foto: Dr. Martin Salesch
Figuren aus der Szene „Jesus vor Kaiphas“ im Depot von Kloster Neuzelle © Stiftung Stift Neuzelle / Foto: Dr. Martin Salesch

Wohl bis zur Säkularisation des Klosters im Jahr 1817 waren die 15 vielfigurigen Passionsszenen, die sich auf fünf Bühnenbilder verteilten, in Gebrauch. Dann wurden sie weggeräumt und gerieten in Vergessenheit. Erst 1997 wurden die erhaltenen 229 Teile (von ehemals 242) auf dem Dachboden der Kirche wiederentdeckt. Der Restaurierungsbedarf war hoch, das Brandenburgische Amt für Denkmalpflege koordinierte die Arbeiten, das Stift suchte nach Partnern und Förderern. Gemeinsam mit verschiedenen Stiftungen unterstützen die Kulturstiftung der Länder und ihr Freundeskreis die Restaurierung einer Passionsszene. Auf Seiten des Freundeskreises geschieht dies im Namen des 2014 aus dem Amt geschiedenen Vorstands mit den Herren Dietrich Hoppenstedt, Dieter Sellner und Elmar Wein­garten. Ihnen war als Abschiedsgeschenk die Verfügungsgewalt über die ent­sprechende Fördersumme übertragen worden.

Der Beitrag des Freundeskreises und der Kulturstiftung der Länder hat die Restaurierung einer besonders dramatischen Szene aus der Passionsgeschichte möglich gemacht. Gezeigt wird, wie der Hohepriester Kaiphas die Hinrichtung Christi durch die römische Besatzungsarmee gutheißt. „Es ist nützlich für euch, wenn ein Mensch sterbe für das Volk, und nicht die ganze Nation zugrunde gehe“, soll er dem Johannes-Evangelium zufolge gesagt haben. Damit war dem weltlichen Arm, vertreten durch Pontius Pilatus, den Präfekten des römischen Kaisers für Judäa, das Urteil vorgegeben – dennoch wusch Pilatus seine Hände bekanntlich in Unschuld.

Josef Seifrit, „Jesus trägt das Kreuz“ aus den Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab, 1751– 53, ca. 6 × 7 × 7 m; Museum Himmlisches Theater im Kloster Neuzelle © Stiftung Stift Neuzelle / Foto: Bernd Geller
Josef Seifrit, „Jesus trägt das Kreuz“ aus den Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab, 1751– 53, ca. 6 × 7 × 7 m; Museum Himmlisches Theater im Kloster Neuzelle © Stiftung Stift Neuzelle / Foto: Bernd Geller

Die Ausstellbarkeit der Passionsdarstellungen wiederherzustellen und langfristig zu gewährleisten ist in mehrfacher Hinsicht ein ehrenwertes Anliegen: Die christlichen Wurzeln unserer Kultur sind in unserer Gesellschaft nicht mehr durchgängig präsent. Christliche Ikonographie, die zum Verständnis aller Sakralkunst unabdingbar ist, droht verloren zu gehen. Vor diesem Hintergrund ist das Zusammengehen vom Freundeskreis und seinen Ehrenmitgliedern mit der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und dem Bündnis „Kunst auf Lager“ ein schönes Zeichen auch in Richtung Vermittlung. In Zukunft wird die restaurierte Szene zusammen mit anderen in dem 2015 eingeweihten, eigens für das einmalige „Himmlische Theater“ errichteten Museumsbau in Neuzelle zu sehen sein.