Tafelbilder der Renaissance

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Kunst aus Kirchen und aus Klöstern hat so manchen Weg genommen, manches Schicksal überstanden – durch die Wirren der Geschichte war sie immer auch ein Spiegel ihrer Zeit: Bildersturm und Krieg, Säkularisierung und Geschmackswandel, all das hat Spuren hinterlassen, nicht nur Spuren der Zerstörung: Ungezählte Meisterwerke altdeutscher Sakralkunst haben ihren Ort verloren und damit ihren liturgischen Zusammenhang. Was einst den Gläubigen die Heilsbotschaft in allen Farben offenbaren sollte, das gelangte nun auf Dachböden, in private Sammlungen oder bestenfalls gleich in Museen. Erst die Suche nach deutscher Identität, der Wunsch nach patriotischer Denkmalpflege und die Herausbildung von (kunst-)geschichtlichem Bewusstsein haben uns im 19. Jahrhundert wieder die Augen für die Schönheit altdeutscher Tafelmalerei geöffnet. Überdauern konnte diese durch die Kraft ihrer Emphase, die Qualität ihrer Malerei, den Reichtum ihrer Phantasie.

Zehn Jahre ist es her, dass die Kulturstiftung der Länder den wohl bedeutendsten Passionszyklus spätmittelalterlicher Malerei in deutschem Privatbesitz erwerben helfen konnte. Damals gelang es im Verbund mit vielen Partnern, die „Graue Passion“ von Hans Holbein d. Ä. für die Staatsgalerie Stuttgart anzukaufen: zwölf Tafeln mit der Leidensgeschichte Christi, die sich in der Sammlung der Fürsten zu Fürstenberg erhalten hatten. En bloc kaufte der Unternehmer und Mäzen Reinhold Würth damals den übrigen Teil der berühmten Fürstenberg-Sammlung altdeutscher Malerei und schuf mit dessen öffentlicher Präsentation in der Johanniterkirche zu Schwäbisch Hall einen stimmungsvollen neuen Begegnungsort mit dieser Kunst. Nun gelang zum zweiten Mal eine so glückliche Synthese öffentlichen und privaten Engagements. Denn das Haus Fürstenberg trennte sich von hochbedeutenden Altarbildern des „Meisters von Meßkirch“, die sich als Leihgaben in Stuttgart befunden hatten. Während der „Wildensteiner Altar“ für die Staatsgalerie Stuttgart gesichert werden konnte und eine Tafel des „Meßkirchener Altars“ für die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (zwei weitere gelangen als Dauerleihgabe dorthin), hat Reinhold Würth den Corpus des „Falkensteiner Altars“ erworben, der bald, um Leihgaben aus Stuttgart ergänzt, in Schwäbisch Hall zu sehen sein wird. Kein Geringerer als Willibald Sauerländer stellt die Erwerbungen in dieser Ausgabe von Arsprototo vor – nur eine von drei gelungenen Förderungen im Bereich der altdeutschen Kunst, von denen wir Ihnen heute berichten wollen.

Auf einen weiteren Schwerpunkt in dieser Ausgabe möchte ich Sie hinweisen, der mir besonders am Herzen liegt: Wir erzählen Ihnen in drei Artikeln vom Schicksal russischer und deutscher Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg. Viel zu wenig bekannt ist dieser Aspekt unserer Geschichte. Um so mehr freut es mich, dass sich der „Deutsch-Russische Bibliotheksdialog“ dessen Aufarbeitung angenommen hat. Und dies auch mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder. Mir bleibt, Ihnen einen schönen Sommer zu wünschen und Ihnen Uta Baiers Artikel über Clara Rilke-Westhoff zu empfehlen, jener wiederzuentdeckenden Bildhauerin, mit der wir das Land Bremen würdigen möchten!

Ihre Isabel Pfeiffer-Poensgen