Späte Früchte
Eine Szenerie von spektakulärer Künstlichkeit, dargestellt mit den Mitteln höchster malerischer Delikatesse: Schlaglichtartig beleuchtet, ergießen sich die Früchte des Spätsommers aus einem Weidenkorb wie aus einem Füllhorn. Der virtuose Barockkünstler Abraham Mignon (1640–1679) lässt in seinem Ölgemälde von 1670 Trauben, Pflaumen, Pfirsiche, Melonen, Mais und Getreideähren vor dem satten Dunkel des Waldes erstrahlen. Sein prachtvolles „Stillleben mit Fruchtkorb, Kürbis, Melone und Pfirsichen an einer Eiche“ veranschaulicht zugleich eine wichtige künstlerische Errungenschaft Mignons: Als spezialisierter Stilllebenmaler entwickelte er die Gattung des Waldbodenstücks – des sogenannten sottobosco – weiter und drapiert in seinen opulenten Gemälden die vertrauten Frucht- und Blumenarrangements statt wie gewohnt in häuslicher Umgebung nun vor der Kulisse scheinbar wilder Natur.
Als Sohn niederländischer Kaufleute in Frankfurt am Main geboren, erhielt Mignon bereits im Alter von sieben Jahren Malunterricht. Sein Lehrer, der Barockmaler Jacob Marrel, (1614–1681) förderte den talentierten Jungen: Schon bald avancierte Mignon selbst zum Zeichenlehrer und unterrichtete Marrels Tochter, die berühmte Blumenmalerin Maria Sibylla Merian (1647–1717). Im Alter von 20 Jahren ging Mignon nach Utrecht, wo er in die Werkstatt des niederländischen Stilllebenmeisters Jan Davidsz de Heem (1606–1684) eintrat. In dessen Nachfolge etablierte sich der Künstler als einer der wichtigsten Erneuerer der Gattung: Unkonventioneller als seine Lehrmeister trat er an das barocke Stillleben heran, schuf originelle Motive, deren Malstil, Farbgebung und Konzeption für frische Impulse sorgten. Sein eigenwilliges Genre des Waldbodenstücks, in dem Obst- oder Blumenkompositionen reizvoll mit wildwüchsigen Waldböden kontrastierten, gefiel nicht nur der bürgerlichen Klientel: Schnell war er ein gefragter Stilllebenmaler, dem sich auch fürstliche Sammler zugeneigt fühlten.
Begeisterung rief Mignons üppiges „Stillleben mit Fruchtkorb, Kürbis, Melone und Pfirsichen an einer Eiche“ von 1670 auch beim sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. hervor, der es ca. 1722 in seine Sammlung eingliederte. Der überbordende, vom Künstler jedoch auf der Basis einer abstrakt-geometrischen Kompositionsstruktur sorgsam ins Bild gesetzte Obstkorb verblieb über 200 Jahre in der Gemäldegalerie in Dresden. Im Rahmen der „Fürstenabfindungen“ nach dem Ersten Weltkrieg gelangte das Werk 1924 an den Familienverein Haus Wettin und danach in die Sammlung des jüdischen Verlegers Ludwig Traube in Berlin, der 1928 verstarb. Im Mai 1935 wurde das Mignon-Stillleben bei einer Auktion der Besitztümer von Traubes Witwe versteigert. Im selben Jahr kaufte das Kunstmuseum Düsseldorf (heute Museum Kunstpalast) das Gemälde an.
Auf Empfehlung der Beratenden Kommission für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz, wurde 2015 eine Ausgleichszahlung mit den Nachkommen Ludwig Traubes vereinbart. Die Kulturstiftung der Länder, die Landeshauptstadt Düsseldorf und das Land Nordrhein-Westfalen unterstützten diesen Vergleich, so dass Abraham Mignons barockes Stillleben nun dauerhaft in der Sammlung des Museum Kunstpalast brilliert. In der Ausstellung „SPOT ON: Augenschmaus mit Abraham Mignon“ ist das delikate Waldbodenstück bis zum 2. Juli 2017 neben weiteren Stillleben des 17. bis 20. Jahrhunderts aus der Düsseldorfer Sammlung zu sehen.