Schaufenster des Himmels

Myrrhe, Weihrauch und Gold: Mit diesen kostbaren Gaben im Gepäck machen sich die Heiligen Drei Könige auf den Weg. Unbeirrt folgen sie dem Stern, immer weiter bis nach Bethlehem. Auf dem linken Flügel des Altenberger Altars als die drei Lebensalter dargestellt, scheinen die Weisen ihr Ziel bereits erreicht zu haben: Ehrfürchtig ist der Älteste auf die Knie gegangen, dicht dahinter deutet der Zweite mit dem Zeigefinger  nach  oben  und  lenkt  so nicht nur den Blick des Dritten im Bunde, sondern auch die Aufmerksamkeit eines jeden Betrachters auf die Mitte des Altars. Dort thront – eingefasst von einem aufwendig gearbeiteten Schreinkasten mit filigran-gotischer Schnitz­architektur – Maria mit dem Christusknaben im Arm. Lange Zeit jedoch war ungewiss, ob es jemals zu einem Wiedersehen zwischen den drei auf Goldgrund gemalten Heiligen und der aus Nussbaumholz gefertigten Madonnenfigur kommen würde. Das fünf­achsige Retabel schmückte seit 1330 den Hochaltar des Prämonstratenserinnenklosters Altenberg im hessischen Solms an der Lahn. 1803 gelangte es im Zuge der Säkularisierung als Teil der gesamten Kirchenausstattung in fürstlichen Besitz. Der Flügelaltar wurde zerlegt, die einzelnen Bestandteile verkauft.

Als herausragende Zeugnisse altdeutscher Tafelmalerei gingen die Flügel – mit insgesamt acht Szenen, vorrangig zum Leben Mariens – bereits 1925 in die Städelsche Sammlung über. Nach langjährigen Bemühungen und sorgfältiger konservatorischer Planung ist es nun gelungen, diese endlich wieder mit dem heute auf Schloss Braunfels beheimateten Schreinkasten sowie der in Privatbesitz befindlichen Madonnenstatue an einem Ort zusammenzuführen. Im Rahmen einer einzigartigen Sonderausstellung präsentiert das Städel Museum in Frankfurt erstmals dieses meisterliche Glanzstück mittelalterlicher Sakralkunst vom 22. Juni bis zum 25. September 2016 der Öffentlichkeit. Als eines der frühesten erhaltenen Altarbilder im deutschsprachigen Raum stellt die von der Kulturstiftung der Länder geförderte Schau das wandelbare Retabel darüber hinaus in seinen künstlerischen wie liturgischen Kontext und zeigt ein beeindruckendes Ensemble von ehemaligen Ausstattungsstücken des Altenberger Klosters, darunter seltene Leihgaben der Eremitage in Russland sowie des Metropolitan Museum of Art in New York. Wertvolle Reliquien – einst in den Gefachen des Schreinkastens präsentiert –, figürlich bestickte und mit Stifterinschriften versehene Altardecken, Altarkreuze des 13. Jahrhunderts, bedeutende Glasmalereien des Chorachsenfensters aus dem frühen 14. Jahrhundert sowie illuminierte Handschriften auf Pergament oder Papier: Mit dem Retabel durch bildprogrammatische und ästhetische Bezüge miteinander zu einem komplexen Ganzen verschmolzen, übersteigt die inhalt­liche Sinnstiftung des gesamten Konvoluts die in den Einzelwerken trans­por­tierten Bildaussagen bei weitem.