Raumschau mit Schauspieler
Das Ensemble, weit in den Raum greifend, wirkt wie der radikale Versuch, Skulptur neu zu denken: ein farbstrotzendes, apokalyptisch anmutendes Tableau. Den Auftritt von Isa Genzkens Figurengruppe in „Schauspieler II, 8, 11, 12“ von 2014 begleiten in einer unbetitelten Bodenarbeit u. a. großformatige Farbabzüge von Albrecht Dürers Altarbild „Rosenkranzfest“ und Michelangelos Sixtinischer Kapelle – beides Werke, in denen die Künstler in für sie bis dato eher selten genutzten Gattungen überraschend reüssierten. Neben und vor den kunsthistorischen Verweisen stehen und liegen vier Schaufensterpuppen – eine Frau, ein Kind und zwei Männer. Bizarr ausstaffiert, präsentieren sich die Figuren einerseits in benutzter Arbeitskleidung aus dem Fundus der Künstlerin, sind aber auch mit Spiegelfolie, Dekomaterialien und greller Sprühfarbe massiv von ihrer menschlichen Erscheinung entfremdet. Auch verarbeitet Genzken in den Figuren Fotografien von sich selbst, die der Künstler Wolfgang Tillmans anfertigte.
Genzken schuf diese Assemblage mit autobiographischen Bezügen – ein Schlüsselwerk im aktuellen Schaffen der Künstlerin – unmittelbar nach ihrer großen Retrospektive 2013 im New Yorker Museum of Modern Art, die die deutsche Bildhauerin vollends im internationalen Kanon der einflussreichsten Künstler etablierte. Nun kommt die 2015 im MMK Museum für Moderne Kunst als Hauptwerk der Ausstellung „Isa Genzken. New Works“ gezeigte Werkgruppe dauerhaft in die Frankfurter Sammlung, wo sie auf Positionen von u. a. Andy Warhol, Robert Rauschenberg und Donald Judd trifft. Die Kulturstiftung der Länder, die Hessische Kulturstiftung, die MMK Partner sowie private Förderer unterstützten den Ankauf.
Isa Genzken (geb. 1948 in Bad Oldesloe) kreierte im Kreis von Künstlern wie Gerhard Richter und Blinky Palermo in einer sich neu verortenden deutschen Kunstszene eine radikale Moderne, die sich kritisch mit den Entwicklungen des Minimalismus, der Pop-Art und der Konzeptkunst auseinandersetzte. Die Künstlerin erweiterte und veränderte ihre eigenständige Bildsprache aber auch immer wieder beispielsweise unter den Einflüssen der Technoszene und des Booms der globalisierten Konsumkultur. Isa Genzken, die u. a. bis 1977 an der Kunstakademie Düsseldorf Meisterschülerin von Gerhard Richter war, nahm an der documenta 1982, 1992 und 2002 teil und vertrat Deutschland 2007 auf der Biennale in Venedig. Ihr vielschichtiges und komplexes Werk ist an der Schnittstelle von Skulptur, Architektur, Fotografie, Film, Malerei, politischer Manifestation und Populärkultur zu verorten. In ihren figürlichen Werken begibt sie sich immer wieder auf die Suche nach einer zeitgemäßen Skulptur.
Mit ihrer Figurengruppe „Schauspieler II, 8, 11, 12“ kommentiert die Künstlerin auf unerwartet persönliche und intime Weise gesellschaftliche Beziehungen im autobiographischen Kontext. Die Puppe in der Größe eines Kindes beäugt mit Football-Schutzhelm und Rettungsweste ausgestattet das mitunter martialisch erscheinende Treiben der „Erwachsenen“, ruft dabei Assoziationen zu Themen wie Missbrauch, Flucht und Überlebenskampf wach. Die Rauminstallation, gleichsam als ein dreidimensional collagiertes Bild arrangiert, thematisiert als politisches Gesellschaftsporträt familiäre und sexuelle Rollenverhältnisse. Die Bodenarbeit in Form von Bildplatten fasst die Installation ein und lädt gleichzeitig den Museumsbesucher zum Betreten und Durchschreiten eines ästhetischen wie politischen Raums ein.