Raffinierter Raub und teure Tulpen

Wer raubte das Herzstück der Sammlung, Claude Monets „Tauwetter“? Wohin verschwand Balthasar van der Asts (1593/94–1657) legendäres Werk „Blumen in einer Wan-Li-Vase“, einst Glanzlicht des Suermondt-Ludwig-Museums? Das Rätsel um das verlorene Blumenstillleben ist nun gelöst. Anfang des 17. Jahrhunderts auf einer Holztafel erblüht, bereicherten die Blumen van der Asts seit 1910 die Aachener Sammlung. Im Zweiten Weltkrieg ausgelagert, verlor sich die Spur des kostbaren Stilllebens zusammen mit knapp 100 weiteren Kunstwerken. Ab 1959 tauchte unterdes ein ganz ähnliches Gemälde des niederländischen Meisters in internationalen Ausstellungen auf. Doch war das Bild aus amerikanischem Privatbesitz wirklich nur ein Geschwisterbild des Aachener Werks? Der Kunsthistoriker Fred G. Meijer bewies in den 1990er Jahren: Das Stillleben aus US-Besitz musste das vermisste Gemälde sein.

Anschließende Recherchen erkundeten die verschlungenen Wege von van der Asts „Blumen in einer Wan-Li-Vase“ ab dem Zeitpunkt der Auslagerung in die Meißner Albrechtsburg nahe Dresden. Das Aachener Museum war eine der wenigen Sammlungen, die ihre Schätze 1942 aus dem Westen in den östlichen Teil Deutschlands vor Zerstörung in Schutz brachten. Zwar hatte das starke Burggemäuer dem Krieg getrotzt, doch bargen die Wirren der Nachkriegszeit neue, ungeahnte Gefahren für die wertvollen Kunstwerke: Eine Meißner Mitarbeiterin der russischen Besatzer, Alice Siano (geb. Tittel, 1914–1985), nahm das Werk van der Asts sowie elf weitere kostbare Gemälde an sich. 1951 emigrierte die heute legendäre Kunstdiebin nach Nordamerika, ihr exquisites Raubgut reiste mit nach Kanada. Über einen New Yorker Kunsthändler schleuste Siano ihre Beute in den Kunstmarkt, die Odyssee des Blumenstilllebens nahm Fahrt auf: London, Den Haag, zurück nach New York, immer wieder kreuzte die Holztafel den Atlantik. Eine gefälschte Provenienzangabe verschleierte die ursprüngliche Herkunft. Die Aufdeckung der eigentlichen Identität leitete die letzte transatlantische Etappe des Werks, die Rückkehr in die heimische Sammlung, in die Wege.

Der Künstler präsentiert im Aachener Stillleben sein volles Repertoire: mannigfaltige Blumen, die sich aus einer geschwungenen Vase entfalten, umgeben von reifem Obst, umschwirrt von einer Libelle, beäugt von einer Eidechse. Im Zentrum überstrahlt eine gelbrot geflammte Tulpe das Bouquet im chinesischen Importporzellan, der Künstler inszeniert diese exotischen Sammlerobjekte als Blickfang. Hochbegehrt waren van der Asts raffinierte Kompositionen gefragter Luxusgüter. Für die Vase der Aachener Variation wagte der Künstler eine westliche Neuinterpretation der tradierten Formen aus Fernost, die er in Utrechter Porzellansammlungen studiert hatte. Marktbewusst schuf van der Ast das Gemälde zur Blütezeit der sogenannten Tulpenmanie, die 1637 als erste geplatzte Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte endete.

Die seit 2006 geführten Gespräche zwischen dem Museum und der US-amerikanischen Eigentümerin des Gemäldes fanden schließlich ein glückliches Ende, als eine Rückgabe gegen „Finderlohn“ vereinbart wurde, d. h. wie bei solchen Rückführungen üblich, wesentlich unter dem aktuellen Marktwert. Mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, des Landes Nordrhein-Westfalen sowie privater Sponsoren kehrt das schmerzlich vermisste Blumenbildnis nun als ein wichtiger Protagonist in die Sammlung zurück.