Panorama der ewigen Stadt
Viermal blickt man mitten hinein ins Herz von Rom – vier Künstler porträtieren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ewige Stadt von sehr ähnlichen Standpunkten aus: Dabei entstanden spektakuläre großformatige Rom-Panoramen von großer Detailfreude und Präzision – gleichsam 200 Jahre alte Vorgänger eines Google Earth unserer Zeit. Die äußerst seltenen graphischen Blätter konnten nun von der Casa di Goethe in Rom mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung aus dem römischen Kunsthandel erworben werden. Anlässlich einer Ausstellung (2. Februar bis 15. Mai 2011) zum 250. Geburtstag des Deutschrömers Johann Christian Reinhart (1761–1847) werden die wertvollen Panoramen erstmals in voller Pracht in der Casa di Goethe zu bewundern sein. Die Zeichnungen stammen von den Franzosen Noël-François Bertrand (1784–1852) und Eugène-Louis Lequesne (1815–1887), dem Engländer Samuel Bellin (1799–1893) und dem Deutschen Philipp Gerhard Stöhr (1793–1856).
Die vier Künstler zeigen fast zeitgleich, ohne sich jedoch gekannt zu haben, nahezu die gleiche Gegend Roms oberhalb der weltberühmten Spanischen Treppe und rund um die Kirche Trinità dei Monti: Unterschiedliche Blickwinkel und Verdichtungen lassen den Betrachter die ewige Stadt detailreich in einem Zeitfenster von mehr als 35 Jahren erleben.
Das Herzstück der Erwerbung bildet die größte Panoramazeichnung von Samuel Bellin aus dem Jahr 1832 mit einer Größe von 35 x 230 cm, einer Graphit-Vorzeichnung für einen späteren Druck. Der Künstler blickt in einer Rundumschau über die Stadt von der Kirche Trinità dei Monti zum Monte Mario über die Villa Malta bis zur Via Sistina in unmittelbarer Nähe der Kirche. Außergewöhnlich und neuartig an Bellins Panorama ist das von ihm angewendete Verfahren: Er fixierte einen viereckigen, drehbaren Rahmen über einem festen Punkt und konnte so fünf Bögen exakt aneinanderreihen. Sein Panorama entfaltet daher nicht nur eine topographische Aufnahme von höchster Präzision, sondern stellt zugleich eine Inkunabel der Bildgattung des Panoramas dar, das für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als Vorläufer des Films gilt. Bellin dokumentiert die Stadt in der letzten Phase der päpstlichen Herrschaft vor den urbanistischen Maßnahmen des neuen Königreichs Italien und vermittelt so noch einen Eindruck von Rom zur Zeit von Goethes Italienreise.
Mit Blick auf den Quirinal und Santa Maria Maggiore hält Noël-François Bertrand im Jahr 1810 in klaren Linien und feinen Schraffuren, jedoch im Ausschnitt enger gefasst als bei Bellin, einen baulichen Zustand fest, der sich nach 1870 rasant veränderte. Der als Kupferstecher, bisher aber nicht als Zeichner bekannte Bertrand gestaltete damit auch ein zeithistorisches Dokument von unschätzbarem Wert.
Dem Licht- und Schattenspiel hinter der Kirche Trinità dei Monti und den Gärten der Gegend widmet sich Eugène-Louis Lequesne im Jahr 1846. Raffiniert komponiert der Künstler mit frei lavierender Pinselarbeit sein Panorama in der Gestaltung der Gartenfassaden des Konvents und kontrastiert sie zum feinen Mosaik der Grautöne im rechten Bildbereich.
Die kleinste Panorama-Zeichnung von Philipp Gerhard Stöhr springt näher an die städtische Szenerie und ergänzt die drei Panoramen um die Gegend der Via Gregoriana/Piazza Trinità dei Monti mit genauen Details des Innenstadt-Gebiets von Rom. Philipp Gerhard Stöhr, deutscher Maler und Lithograph, hielt sich zwischen 1818 und 1820 in Rom auf.
In den Räumen, in denen Johann Wolfgang von Goethe während seiner Italienreise von 1786 bis 1788 zusammen mit dem Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und anderen deutschen Künstlern wohnte, befindet sich heute die 1997 gegründete Casa di Goethe, Deutschlands einziges Museum im Ausland.