Museen und Moderne
Liebe Leserin, lieber Leser,
jede Zeit hat ihre Moderne. Und jede Moderne ist eine Zwickmühle für Museen, die rückwärts sammeln und sich zugleich doch fortentwickeln möchten. Die Frage, ob arrivierte Museen das unmittelbar Zeitgenössische kaufen sollten oder erst das „gut Abgehangene“, jene Kunst also, die durch Ausstellungen und Publikum, Wissenschaft und Markt in ihrer Bedeutung gestärkt, wenn nicht gar „gemacht“ worden ist – diese Frage entscheiden nicht nur Geschmack und Gespür, sondern auch der Preis. Denn das Neue ist meist günstig, das Klassische dagegen teuer. Aber das Neue birgt auch Risiken. Wird es bleiben? Wird seine Bedeutung die Zeiten überdauern?
Wie oft steht man vor dem Gedanken: Warum hat dieses oder jenes Museum diesen oder jenen Künstler nicht schon viel früher für seine Sammlung gesichert? Warum nicht gekauft, als es noch bezahlbar war? Warum nicht jenen Teil am Ruhm eingefordert, zu dem auch das Museum den Weg geebnet hat. Aus der Retrospektive fallen diese Gedanken leicht. Doch in der Jetztzeit wiegen solche Fragen ungleich schwerer. Wie in dieser überhitzten Kunstwelt, in der Künstler wie Filmstars aufgebaut werden, einen kühlen Kopf bewahren? Denn andererseits: Wie oft haben Museen Positionen erworben, die heute keinen Bestand mehr haben? Darüber spricht man ungern. So manche Rekonstruktion historischer Sammlungen hat es an den Tag gebracht: Mitunter sind es kaum noch zehn Prozent, die im Kanon der Kunst verblieben sind.
Und doch darf man sich nicht täuschen. Denn Museen sind Archive, Bilderspeicher, und jede Zeit entscheidet neu, was für sie Bedeutung hat. Und diese Entscheidungen sind ein fortlaufender, kreativer Prozess. Ohne den Mut und die Risikobereitschaft früherer Museumsleiter fehlte uns heute für alle Neubefragungen des Kanons schlicht das Material. Denn jede Generation hat ihren blinden Fleck. Spannend ist die Frage, wofür wir heute blind sind? Die zweite Generation des deutschen Informel? Die „neuen Wilden“ aus Berlin? Wir werden es sehen! Und wir werden es erleben, wie so mancher Malerstar von heute wieder im Depot verschwindet.
Deutschland hat eine große Tradition, die wir trotz und wegen des Einbruchs von 1937 bewahren und fortschreiben möchten: Es ist die beispiellose Fülle der Moderne! Während es im frühen 20. Jahrhundert in vielen Ländern Europas kein oder überhaupt nur ein Museum für die Moderne gab, konnte Deutschland bereits über 40 solche Institutionen vorweisen, von Mannheim bis Magdeburg. Die Kulturstiftung der Länder hat nun drei deutsche Museen bei der Erwerbung von Werken des 20. Jahrhunderts unterstützt, die wir Ihnen heute vorstellen möchten. Darunter ist auch ein Meilenstein der Medienkunst von Wolf Vostell – noch heute für manchen eine Reizfigur.
Mir bleibt, Ihnen und Ihren Familien einen schönen Spätsommer und einen ebensolchen Herbst zu wünschen. Und Ihnen Uta Baiers Artikel über Louise Seidler, Malerin der Goethezeit, zu empfehlen. Denn dem Land Thüringen ist diese Ausgabe von Arsprototo gewidmet. Die nächste Ausgabe von Arsprototo, so viel sei verraten, wird aus besonderem Anlass eine ganz Besondere!
Ihre Isabel Pfeiffer-Poensgen