Moderne Madonna

Gerhard Marcks, Sitzende Mutter mit Kind, 1924, Höhe 77 cm; Gerhard-Marcks-Haus
Gerhard Marcks, Sitzende Mutter mit Kind, 1924, Höhe 77 cm; Gerhard-Marcks-Haus

Das Gerhard-Marcks-Haus in Bremen ist ein Museum für moderne und zeitgenössische Bildhauerei. Es zählt zu den national und international anerkannten Bildhauermuseen in Deutschland. Grundstein dafür legte im Jahr 1969 einer der wichtigsten deutschen Bildhauer des 20. Jahrhunderts: Gerhard Marcks (1889–1981).  Noch zu Lebzeiten entwickelte Marcks zusammen mit seinem in Hamburg ansässigen Kunsthändler Rudolf Hoffmann (1886–1966) die Idee, wesentliche Teile seines Werks in einer unveräußerlichen Stiftung an einem Ort zusammenzufassen: „In dieser Stiftung sollten‚ Originalmodelle‘, viele nicht für den Verkauf bestimmte Zeugnisse und Dokumente [des] Schaffens sowie Plastik, insbesondere die als ,Archivgüsse‘ gekennzeichneten Bronzen zusammengefaßt und betreut werden.“ (Brief Rudolf Hoffmann an Gerhard Marcks, 14.5.1965).

Biographische Anknüpfungspunkte für eine solche Stiftung boten seine Geburtsstadt Berlin wie auch seine Wirkungsstätten Halle, Hamburg und Köln. Der Entschluss, die Stiftung nicht an einem biographisch und emotional mit Marcks verbundenen Ort zu etablieren, sondern in der Freien Hansestadt Bremen, mag zunächst verwundert haben. Doch ist die Standortwahl alles andere als zufällig zu nennen: Sachliche und persönliche Gegebenheiten untermauerten die Entscheidung. Durch zahlreiche Ankäufe der Stadtgemeinde und verschiedener Institutionen Bremens sowie durch den persönlichen Kontakt zum damaligen Direktor der dortigen Kunsthalle, Günter Busch (1917–2009), war seit der Mitte der 1950er-Jahre ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen der Hansestadt und dem Künstler gewachsen. Die Stadt übereignete der 1969 gegründeten Gerhard-Marcks-Stiftung ein zentrumsnahes Grundstück und willigte ein, die dort stehende „Alte Ostertorwache“ kosten- und lastenfrei für den Museums- und Stiftungsbetrieb zu überlassen.

Im Gegenzug brachte Gerhard Marcks etwa 200 plastische Arbeiten sowie zahlreiche Zeichnungen und Graphiken in die Stiftung ein. Auf über 700 Skulpturen und circa 14.000 Handzeichnungen sowie 1.200 Blätter Druckgraphik ist der Sammlungsbestand des Museums bis heute angewachsen. Neben weiteren Erwerbungen aus dem Œuvre des Künstlers wurden in den letzten Jahren weitere Konvolute figürlich arbeitender Bildhauer und Bildhauerinnen aus Ost- und Westdeutschland aufgenommen. Kernbestand und Hauptaufgabe der Stiftung ist die wissenschaftliche Aufarbeitung des künstlerischen Werks von Gerhard Marcks sowie des durch ihn eingeschlagenen Wegs einer figürlichen Bildhauerei der Moderne.

Als einzigartig kann der heute in der Stiftung befindliche Bestand an Skulp­turen und Plastiken aus dem Frühwerk des Bildhauers bezeichnet werden. Darunter einige in seiner Zeit am Bauhaus in Weimar entstandene Holzarbeiten wie die „Sitzende Mutter mit Kind“. In seinem Werk-Tagebuch führte Marcks sie als erste der 1924 entstandenen Holzplastiken unter der „Nr. 22, Figur, Mutter und Kind, sitzend, 80 cm, Linde, gebräunt“ auf. Zeitgleich zu der unter dem Einfluss Lyonel Feiningers (1871–1956) erfolgten Annäherung an den Holzschnitt entstanden auffällig viele plastische Arbeiten in Holz. Nur wenige dieser Stücke haben überdauert. Marcks’ „Sitzende Mutter mit Kind“ erinnert in ihrer formalen Strenge an mittelalter­liche Madonnen-Darstellungen, wie er sie auf Studienreisen kennengelernt und in Museen wie dem Bayerischen Nationalmuseum in München systematisch studiert hatte. Die dort 1917 von Marcks gezeichnete thronende „Madonna aus Umbrien“ (um 1200/30), vor allem aber die „Muttergottes aus St. Jakob am Anger“ (um 1330) präfigurieren seine Komposition einer streng axial sitzenden Mutter, die ihren Arm um das auf ihrem Schoß stehende Christuskind gelegt hat. Durch die Drehung der beiden Köpfe brach Marcks kompositorisch die strenge Frontalität auf und schuf wahrnehmbare Räumlichkeit. Vor allem für die Bauhausjahre sollte für Marcks das Bild der Mutter mit Kind ein Hauptthema seiner künstlerischen Beschäftigung bleiben. In ihm sah er „tradierte Volkstümlichkeit und Volksfrömmigkeit verkörpert, die er über alle gesellschaftlichen Gruppierungen hinweg für allgemein verbindlich, ja sakral, ansah: ‚Die Plastik der Zukunft kann nur eine sakrale sein‘, schreibt er im November 1923 in sein Tagebuch“, so Martina Rudloff im Katalog der großen Retrospektive des Künstlers im Jahr 1989.

Die Figur ist aus mehreren massiven, aneinandergefügten Holzblöcken gearbeitet, die sich, bedingt durch Klimaschwankungen, partiell verschoben haben. In den Bereichen des Hockers und der Beine der weiblichen Figur hat sich die ursprünglich verleimte Fügung bereits soweit geöffnet, dass stellenweise Licht hindurchscheint. Diese deutlich sichtbaren Schäden machen die Skulptur äußerst fragil und transportunfähig. Damit Marcks’ „Sitzende Mutter mit Kind“ wieder auf Ausstellungen gezeigt werden kann, sind umfassende Restaurierungsmaßnahmen nötig, um deren Unterstützung wir Sie herzlich bitten!