Meistersingers Minnegabe

Er hätte am Luther-Jubiläumsjahr seine wahre Freude gehabt: Hans Sachs (1494–1576) war ein glühender Unterstützer des Reformators und dessen Thesen. So verfasste Sachs 1523 das Gedicht „Die Wittenbergisch Nachtigall“, in dem Luther als Singvogel gegen den Klerus den Schnabel aufsperrt. Dieses Werk verhalf dem noch jungen Dichter, der später zu den bekanntesten Lyrikern seines Jahrhunderts gehören sollte, zu frühem Ruhm.

Als Sohn eines Schneidermeisters geboren, war Sachs zunächst in eine Schuhmacherlehre und anschließend auf eine fünfjährige Walz gegangen, die ihn unter anderem an den Hof Kaiser Maximilians I. in Innsbruck führte. Hier soll Sachs den Impuls erhalten haben, sich den Meistersingern zuzuwenden – den zunftartig organisierten Dichtern und Sängern des 15. und 16. Jahrhunderts, die sich auf die Tradition der Minnesänger beriefen. Die strengen Regeln, nach denen die intonierten Verse der Meistersinger entstanden, wie auch Hans Sachs selbst wurden so legendär, dass Richard Wagner 300 Jahre später aus diesem Stoff seine Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ schuf.

Über 6.000 Werke flossen zeitlebens aus der Feder von Sachs, der 1558 begann, seine Gedichte, Dramen, Schwänke, Fastnachtsspiele und Prosadialoge in einer Folioausgabe gesammelt zu veröffentlichen. Der zweiten Auflage dieser Gesamtedition entstammt das Widmungsexemplar, das nun für die Sammlung der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg angekauft werden konnte. „Das erste Buch sehr herrliche schoene und warhaffte Gedicht“ umfasst 545 Seiten und wurde 1560 bei Christoph Heußler in Nürnberg gedruckt, in einer Stadt, die damals zu den Zentren des Buchdruckes in Deutschland gehörte. Trotz seines Alters befindet sich das Buch in bemerkenswert gutem Zustand: Der blindgeprägte Schweinsledereinband sowie Messingbeschläge und -schließen sind original erhalten, als zeitgenössische Beigabe ist ein koloriertes Holzschnittporträt des Dichters auf dem Vorderspiegel eingeklebt. Lediglich an den Vorsatzpapieren hat der Zahn der Zeit in Form von Bücherwürmern genagt. Einzigartig und kostbar machen den Band vier frühneuhochdeutsche Zeilen, die Sachs 1567 persönlich auf dem letzten Blatt eintrug:

„ich hans sachs schenck dis erste puech mener gedicht meiner lieben Ewirtin Barbara das sie das von meint wegen pehalt vnd darin les irben lang anno salutis im 1567 jar.“

Adressatin dieser Widmung war Sachs’ zweite Ehefrau, Barbara Endres, der eine lebenslange („irben“ = ihr Leben) Lektüre der Gedichte ans Herz gelegt wurde. Die Hochzeit wäre heutzutage ein Fall für die Gesellschaftsspalte gewesen: 1560, nach 41 Ehejahren, hatte Sachs seine Gattin Kunigunde wie schon zuvor die sieben gemeinsamen Kinder zu Grabe getragen und heiratete 18 Monate später seine erst 27-jährige Braut. Der überaus populäre Sachs zählte zu diesem Zeitpunkt bereits 67 Lenze, während seine zweite Ehefrau schon Witwe und sechsfache Mutter war. Sicherlich hätte der Meistersinger seiner Barbara gerne eine Erstausgabe des Gedichtbandes geschenkt, der jedoch schon zwei Jahre nach Erscheinen vergriffen war.

Sachs-Handschriften, die Anhaltspunkte über die Biographie des Dichters geben können, sind extrem selten und wurden seit Jahrzehnten nicht mehr zum Kauf angeboten. Der Widmungsband gehörte mindestens seit dem 19. Jahrhundert bis zu ihrer Auflösung zum Bestand der Hofbibliothek Donaueschingen, bevor er jetzt über ein Londoner Antiquariat als Neuzugang in die Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg kam. Dort ist die Freude groß über den kapitalen Zugewinn für die Meistersinger-Sammlung der Bibliothek und über diesen Glücksfall für die Hans Sachs-Forschung. Die Anschaffung wurde von der Kulturstiftung der Länder, der Zukunftsstiftung der Sparkasse Nürnberg, dem Förderverein Kulturhistorisches Museum e.V. und einer Privatperson finanziert.