Meister am Werk
Lyonel Feininger ächzte unter der Belastung. Im Frühjahr 1921 zum neuen Formmeister der Graphischen Werkstatt des Bauhauses berufen, kämpfte der Künstler nicht nur mit allerlei technischen Problemen des Druckstudios und dem Weimarer Hochschulalltag. Ein ambitioniertes Prestigeprojekt seines Direktors Walter Gropius beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Stoßseufzend, aber stolz, schrieb Feininger (1871–1956) an seine Frau Julia: „Ich habe ganz schrecklich viel zu tun […], denn die Mappe der Bauhausmeister liegt in meinen Händen ganz und ist schließlich auch eine Schöpfung zu Ehren unserer Sache.“ Fünf Mappen in einer Auflage von je 110 Exemplaren, bestückt mit zeitgenössischer Graphik internationaler Künstler, sollte Feininger gestalten und edieren. Das in der Kunstgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts wohl einmalige Unterfangen mit dem Titel „Neue europäische Graphik“ sollte das junge Bauhaus in der Thüringer Provinz mit den Avantgarden in Frankreich, Italien und Russland verbinden, für Eigenwerbung sorgen und – nicht zuletzt – Geld in die klammen Kassen der Hochschule spülen: Die Werkstattpressen und Feininger standen unter Hochdruck. Realisiert wurden letztlich nur vier Mappen; die vorgesehene fünfte Mappe mit Werken der französischen Künstler blieb Fragment.
Geheimnisvoll, mit aufglühenden Leuchtpunkten in dunkler Struktur präsentiert sich der Einband der Publikation „Neue Europäische Graphik. Erste Mappe – Meister des Staatlichen Bauhauses Weimar“ (1921), die von der Klassik Stiftung jüngst erworben werden konnte. Im Schutze des halbpergamenten Umschlags offenbart sich – gleich einem Who’s Who moderner Kunstgeschichte – ein Panorama der Bauhaus-Positionen in Tief-, Hoch- und Flachdruck. Von der künstlerischen Vielfalt und Freiheit an der Hochschule zeugen 14 handsignierte Blätter der sieben Bauhaus-Meister: darunter eine kristalline Landschaftsabstraktion von Lyonel Feininger, eine farb-poetische Lithographie Johannes Ittens, märchenhafte Miniaturwelten Paul Klees, in Holz geschnittene animalische Szenerien von Gerhard Marcks, filigran geritzte Liniengebilde Georg Muches, geometrische Menschenbilder Oskar Schlemmers und symbolische Farb-Formen Lothar Schreyers.
Acht weitere Schlüsselwerke der europäischen Druckgraphik gelangten mit der „Meistermappe des Staatlichen Bauhauses“ von 1923 in die Sammlung der Klassik Stiftung. Im Zuge der Bauhaus-Ausstellung desselben Jahres als erste Publikation des neu gegründeten Bauhausverlages in einer Auflage von 100 Exemplaren gedruckt, versammelt sie abermals graphische Arbeiten aller damals am Bauhaus lehrenden Meister. Bestückt u. a. mit einer aufwändig gedruckten Lithographie von Wassily Kandinsky und einer konstruktivistischen Komposition von László Moholy-Nagy, dokumentiert das kostbare Kompendium die personelle wie programmatische Weiterentwicklung der Schule.
Dass – mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und des Landes Thüringen – gleich zwei äußerst seltene und außergewöhnlich gut erhaltene Mappen für das 2018 eröffnende neue Bauhaus-Museum Weimar erworben werden konnten, ist ein wahrer Glücksfall. Bei relativ geringen Auflagen fiel ein Großteil der in der Graphischen Werkstatt des Bauhauses entstandenen Editionen dem Vernichtungswahn der Nationalsozialisten in der Aktion „Entartete Kunst“ zum Opfer. Beide Druckwerke stammen aus dem Nachlass des Kunsthistorikers Richard Hamann senior (1879–1961) und verblieben in Familienbesitz. Ergänzend zur Erwerbung schenkte die Familie Hamann der Klassik Stiftung fünf weitere Mappen mit Jahresgaben des „Kreises Graphischer Künstler und Sammler“ aus den Jahren 1921 bis 1925. Eindrucksvolle Druckgraphiken von u. a. Max Pechstein, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Beckmann und Otto Dix illustrieren so in der Sammlung die Kunstlandschaft der Weimarer Republik zur Entstehungszeit der Bauhaus-Mappen. Alle Neuzugänge können Besucher des Bauhaus-Museums vom 12. Mai bis zum 20. Juni bei freiem Eintritt in der Studio-Ausstellung „Künstlerische Vielfalt in der Gemeinschaft“ bestaunen.