Madeleines Rücken

Warm umgibt das Gold des Rahmens die in Ölfarbe ausgeführte Bildstudie, lenkt den Blick auf den in korrespondierenden Gelb-Braun-Tönen gemalten weiblichen Rücken. Zurückhaltend im Komplementärkontrast dazu die dunkelviolette Färbung des den Unterleib der Frau umhüllenden Stoffes und der fliederfarbene Hintergrund. Einen hellen Akzent im Bild setzt ein Blatt Papier, in dessen Betrachtung das dargestellte Modell versunken scheint. Der „Rückenakt (Madeleine)“ zählt zu den Vorstudien, die Lotte Laserstein (1898–1993) für das heute verschollene, lediglich fotografisch überlieferte Gemälde „Malerin und Modell“ von 1956 anfertigte. Doppelporträts von Künstlerin und Modell – hier noch in Vorbereitung, im fertigen Gemälde jedoch ausgeführt – sind ebenso charakteristisch für die Malerin wie das vermeintlich ihren männlichen Kollegen vorbehaltene Sujet weiblicher Aktdarstellungen.

Geschlecht und Sexualität reflektierend, widmete Lotte Laserstein ihre Kunst der Repräsentation des weiblichen Körpers und seiner Nacktheit. Dabei machte sie sich selbst, ihr erklärtes Berliner „Lieblingsmodell“ Traute Rose oder eben „Malerin und Modell“ gemeinsam zum Sujet. Während sie das Form- und Bildvokabular der klassischen Kunstgeschichte, insbesondere der Aktmalerei beherrscht und gezielt anwendet, zeichnete sie ein Bild der „neuen Frau“, wie es zu ihrer Zeit eher die zeitgenössische Fotografie hervorbrachte: Lasersteins Protagonistinnen spielen Tennis, tragen kurze Haare, begegnen den Betrachtenden mit festem Blick. Selbstbestimmt, androgyn, in hohem Maße sinnlich: Die Künstlerin räumte Frauen, die normative Geschlechterrollen unterlaufen, Bildraum ein. Ihre heute bedeutendsten Werke entstanden nach Abschluss ihres Studiums an der Vereinigten Staatsschule für Freie und Angewandte Kunst in Berlin, das die Malerin 1927 als eine der ersten Frauen mit Auszeichnung abschloss. Bis 1933 dauerte diese entscheidende Werkphase an, begleitet von vielbeachteten Ausstellungen und Würdigungen. Schrieb das Berliner Tageblatt 1929 noch, Lasersteins Namen „wird man sich merken müssen“, gerieten die Künstlerin und ihr der Neuen Sachlichkeit nahe stehendes, dem Realismus verpflichtetes Œuvre jedoch nach ihrer Emigration hierzulande in Vergessenheit: Als Jüdin im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt, verließ sie im Winter 1937 ihre Heimat und folgte einer Einladung der Stockholmer Galerie Moderne. In Stockholm lernte sie im ersten Kriegsjahr die ebenfalls in die schwedische Hauptstadt emigrierte Ökonomin Margarete Jaraczewski, genannt Madeleine, kennen. Wie einst Traute Rose in Berlin stand sie der Malerin Modell. Nur selten widmete sich Laserstein solchen freien Arbeiten, ihren Lebensunterhalt sicherte sie sich mit Aufträgen für Porträts und Landschaften. Künstlerische Erfüllung hielt jedoch nur die malerische Auseinandersetzung mit der Freundin Jaraczewski bereit – so auch bei dem vorbereitenden „Rückenakt“ für „Malerin und Modell“ Mitte der 1950er-Jahre.

Erst mit einer großen Retrospektive 2003 im Ephraim-Palais des Berliner Stadtmuseums trat Lotte Laserstein wieder aus der Reihe der Künstlerinnen der „vergessenen Generation“ hervor, kehrte zurück ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Mit dem Erwerb des „Rückenakts“ durch das Schwule Museum – unterstützt von der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Stiftung Preußische Seehandlung – hält die Berliner Künstlerin Einzug in eine Sammlung, die sich den Lebenswelten der LGBT*I*Q-Communities verschrieben hat. Konzentrierte sich das Berliner Museum nach seiner Gründung 1985 zunächst auf die Geschichte der männlichen Homosexualität, nimmt es seit rund zehn Jahren auch alle anderen sexuellen Identitäten und Lebensformen in den Blick. Insbesondere für die bisher wenig präsentierte Darstellung weiblicher Lebenswelten setzt der Kauf von Laserstein Werk aus schwedischem Privatbesitz daher ein wichtiges Zeichen. Zunächst in der Interims-Ausstellung „Tapetenwechsel 2.03“ zu sehen, wird der 46 × 38 cm große Neuzugang die neu konzipierte Dauerausstellung wesentlich ergänzen.