Kunst als zeitgenössische Quelle
Gemälderestaurierung kann ein Knochenjob sein. Seit vielen Wochen liegt Diplom-Restauratorin Katharina Deimel im Historischen Museum Saar bäuchlings auf einem fahrbaren Gestell über einer 18 Quadratmeter großen Leinwand und arbeitet sich konzentriert zentimeterweise vorwärts. Immer wieder beobachten sie Museumsbesucher oder stellen Fragen, eine Kamera ist von der Decke auf sie gerichtet und sendet stündlich ein Bild auf die Homepage des Museums.
Die Restaurierung des Gemäldes „Ankunft König Wilhelms I. in Saarbrücken“ von Anton von Werner (1843–1915) ist Teil eines umfangreichen Projekts, das von der Kulturstiftung der Länder mitfinanziert wird. Das Werk ist das größte Bild, das jemals vollständig live in einem Museum in Deutschland restauriert wurde, wie Museumsleiter Simon Matzerath betont.
Das Gemälde gehört zum „Saarbrücker Rathauszyklus“, den Anton von Werner Ende der 1870er-Jahre für den Ratssaal des Alten Rathauses in Saarbrücken schuf. Auftraggeber war das preußische Kultusministerium, das den beiden Saarstädten Saarbrücken und St. Johann (heute Teil Saarbrückens) einen patriotischen Bilderzyklus schenken wollte. Die Wahl für die Ausführung fiel auf von Werner, der als bedeutender Vertreter des Historismus zum einflussreichen Protagonisten der Zeit geworden war und mit seinen Versionen der „Proklamation des deutschen Kaiserreiches“ zum Hofmaler des Wilhelminismus wurde.
In eine edle Eichenholzvertäflung ließ der Maler über Kopfhöhe sieben Leinwände ein, die sich dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und der Reichseinigung widmen. Annähernd vier Meter hohe Großporträts zeigen wichtige Persönlichkeiten des Krieges: Reichskanzler Otto von Bismarck, Generalstabschef Helmuth von Moltke, den Feldherrn Prinz Friedrich Karl von Preußen und Kronprinz Friedrich Wilhelm, der 1888 nur wenige Wochen als Friedrich III. den preußischen Königsthron bestieg und damit zum deutschen Kaiser wurde. Drei große Leinwände stellen wesentliche Geschichten des Krieges dar: „Die Erstürmung der Spicherner Höhen“ zeigt eine verlustreiche Schlacht am Spicherer Berg bei Saarbrücken, die zwar militärisch eher unbedeutend war, aber zum nationalen Mythos verklärt wurde. „Die Victoria“ feiert die Vereinigung des preußischen und bayrischen Königreichs zum deutschen Kaiserreich und die „Ankunft König Wilhelms I. in Saarbrücken“ zeigt die Begrüßung des preußischen Königs an der Saar. Museumsleiter Matzerath erläutert die Bedeutung des 55 Quadratmeter großen Bilderzyklus: „Die Gemälde waren eines von nur 15 nationalen preußischen Denkmälern und kriegstouristische Attraktion für alle Preußen, wenn sie sich in der Saarregion die Kriegsdenkmäler anschauten und die einstigen Schlachtfelder besichtigten.“
Bis 1944 hingen die Gemälde im Rathaus und wurden dann zum Schutz vor den Bombardements des Zweiten Weltkriegs abgenommen und eingelagert. Nach Kriegsende war man unschlüssig, was mit den Bildern geschehen sollte. Der Anbau mit dem Rathaussaal war im Krieg zerstört worden. Die martialische Kriegsdarstellung mit dem Sieg über den einstigen Erzfeind Frankreich passte aber ohnehin nicht mehr so recht zur neuen deutsch-französischen Freundschaft. Man befürchtete gar, dass eine neue Präsentation nationale Kräfte ermutigen könnte.
Die Gemälde wurden auf dem Dachboden des Rathauses St. Johann und später im Saarlandmuseum eingelagert. Erst Ende der 1980er-Jahre erinnerte man sich an die Bilder. Längst hatte der Historismus das Image des schwülstigen Patriotismus und galt als unverkäuflich. Die Stadt verschenkte die „alten Schinken“ an zwei Privatleute mit der Auflage, die Bilder restaurieren zu lassen. Die ließen die Werke von russischen Spezialisten überarbeiten, doch die Arbeit wurde nie vollständig abgeschlossen. Die „Ankunft des Königs in Saarbrücken“ und das Porträt Otto von Bismarcks konnten nicht mehr restauriert werden, auch, weil die Schäden bei der „Ankunft des Königs“ besonders gravierend waren.
Feuchtigkeit, Temperaturschwankungen und eine viel zu enge Aufrollung hatten den Werken zugesetzt. Risse und Knicke übersäten die Leinwände. In der „Ankunft des Königs“ klafft rechts oben nicht nur ein langer Riss, der bis zum Rand reicht, es sind auch zwei große Löcher darin, von denen das größere bis zu 105 × 48 Zentimeter groß ist. Auf der Rückseite ist ein mehrere Quadratmeter großer brauner Fleck zu erkennen. Hier hat der Schimmel die Zellulose der Leinwand zersetzt. Berührt man das Material an dieser Stelle, zerfällt es zu Staub. Der Schmutz in den Firnisschichten hat die Farben des Motivs dunkel eingetrübt.
Über einige Umwege wurde Simon Matzerath auf die Werke aufmerksam und erwarb sie mithilfe des Fördervereins für das Historische Museum Saar, der Saarland Sporttoto GmbH, der Willy-Walch-Stiftung und der Kulturstiftung der Länder für das Museum. Nun werden auch die beiden letzten Gemälde restauriert. Das Porträt Bismarcks hing im Sommer bereits wiederhergestellt in der Sonderausstellung „Monumente des Krieges“. Matzerath erklärt die meisterhafte Arbeitsweise von Werners: „Man sieht genau, wo Anton von Werner gemalt hat und wo die Assistenten seines Ateliers gearbeitet haben. Insbesondere das Gesicht hat der Maler lebendig und detailreich gestaltet.“ Der Rock des Porträtierten leuchtet wieder in samtenem Marineblau, die Wangen sind wieder rosig und der Kragen goldgelb. Der Reichskanzler steht in einem Rundbogen, darüber Lorbeergirlanden in Gold und das Familienwappen, das von zwei nackten Heroen umrahmt wird, deren muskulöse Körperformen mit einer zarten Lasur und einem gewieften Spiel aus Licht und Schatten meisterhaft auf einer Goldauflage gezeichnet wurden. Eine besondere Herausforderung für die Restauratorin.
Seit einigen Wochen arbeitet Deimel an der „Ankunft des Königs in Saarbrücken“ und hat inzwischen die Phase des Substanzerhalts fast abgeschlossen. Das verzogene Gewebe der 515 × 336 Zentimeter messenden Leinwand musste sie mühsam zurechtziehen. Fast sieben Zentimeter überragten sich die Kanten des größten Risses, nun liegen sie wieder auf Stoß. Eine Analyse des Schimmelflecks auf der Rückseite ergab: Das Material ist in schlechtem Zustand, aber rettbar, auch weil der Schimmel abgestorben ist. In den nächsten Schritten werden in die Löcher neue Leinwandstücke eingepasst und anschließend wird rückseitig eine zweite Leinwand auf den Malgrund geklebt, um diesen zu stabilisieren. Dann wird das Gemälde wieder auf einen Keilrahmen aufgezogen, der aus einem extra harten und leichten Holz besteht, denn die Leinwand wird nach der Doublierung 70 bis 80 Kilogramm wiegen. In einem letzten Schritt wird die Vorderseite nach alten Fotos retuschiert, soweit dies möglich ist. Zuerst müssen aber die Firnisschichten abgetragen werden. Dieser Arbeitsschritt wird die Erscheinung des Bildes wesentlich verändern. Momentan sind die Farben kaum noch erkennbar. Im einstigen Rathaussaal wurde während der Sitzungen und Festivitäten stark geraucht und Ruß hat sich auf die Bildoberfläche gelegt. Ohne Abtragung der alten Firnisoberfläche wurde zweimal neuer Firnis aufgetragen und dabei der Schmutz im Bild konserviert. Erste Proben ergaben: Werden die drei Firnisschichten abgetragen, wird das Bild ähnlich wie die anderen Werke in einem fast schon übertrieben farbigen Kolorit erstrahlen.
Das Gemälde ist eine wunderbare lokalgeschichtliche Quelle. Auch wenn der Empfang wegen einer Verspätung der königlichen Kutsche so nie stattgefunden hat wie es das Bild behauptet, versammelt es wichtige Protagonisten der Stadtgeschichte. Es zeigt eine Szene an der Alten Brücke auf St. Johanner Seite. Der König fährt mit seinem Flügeladjutanten Armand von Lucadou in einer Kutsche vor. Bürgermeister Johann Carl Schmidtborn eilt mit ehrerbietiger Verbeugung herbei. Um die zentralen Figuren herum die Honoratioren der Stadt inmitten einer aufgewühlten Bevölkerung.
Von vielen Personen des Bildes gibt es Vorzeichnungen, welche die Persönlichkeiten detailreich dokumentieren. Das Deutsche Historische Museum besitzt sogar eine Vorstudie des Gemäldes in Öl. Die hatte von Werner für die Abnahme des Motives durch die Preußische Landeskunstkommission angefertigt. Doch die Herren waren unzufrieden. Die Kommission vermisste auf den Gemäldeentwürfen einen ernsteren Charakter, „welche die Darstellung dieser vaterländischen Stoffe und historischen Persönlichkeiten an einer geschichtlich so bedeutsamen Stätte forderten“, wie von Werner später in seinen Memoiren schrieb. So musste mit Katharine Weißgerber eine bedeutende Frau der Stadtgeschichte zwei Kriegsversehrten weichen. Ein Junge mit Körben bekam stattdessen Säbel und Fahne in die Hand. Tatsächlich wirkt das vollendete Gemälde deutlich dynamischer und pathosgeladener als die eher ruhigen Szenen im Vordergrund der Studie.
Der Ankauf der Gemälde blieb nicht ohne Kritik. Gegner sehen in den Gemälden „militaristisch-propagandistischen Kitsch“ und brandmarken den Maler als Frauenfeind und reaktionären Künstler, der Frauen an der Kunstakademie verhinderte und die moderne Kunst ablehnte. Matzerath kann die Kritik nachvollziehen, doch für ihn sind die Werke Echokammern des damals herrschenden Zeitgeistes. Der Betrachter sollte seine Gefühlsregungen in den patriotisch-militärischen Ansichten wiederfinden. Man dürfe die Werke nicht aus heutiger Sicht verstehen wollen. Matzerath sieht sie als zeitgeschichtliche Quellen, die helfen sollen, ihre Entstehungszeit zu beleuchten. Er will die Bilder nicht kritiklos als Kunst zeigen, sondern sie in einen historischen Rahmen einbetten. Das Historische Museum sieht er als richtigen Ort dafür, denn hier werde die Kunst nicht einfach nur gezeigt, sondern eingeordnet und durch umfangreiche Texte und Exponate ergänzt.
Noch bis Ende dieses Jahres wird Restauratorin Katharina Deimel an dem Gemälde arbeiten, dann wird es erstmals seit 77 Jahren wieder der Öffentlichkeit präsentiert. Ein spannendes Kapitel saarländischer und deutsch-französischer Geschichte wird damit illustriert und aufgearbeitet.