Kultur gut schützen
Skulpturen von Tilman Riemenschneider, der französische Schreibtisch Friedrichs des Großen, die Graue Passion von Hans Holbein dem Älteren, der Wildensteiner Altar des Meisters von Meßkirch, das historische Musikarchiv des Schott-Verlages: In Arsprototo berichten wir immer wieder über ein breites Spektrum an bedeutenden Erwerbungen von Museen, Bibliotheken und Archiven, die die Kulturstiftung der Länder fördern konnte. Ob Werke der Malerei, Graphik, Skulptur, Fotografie, des Kunstgewerbes, der Musik, Literatur, der Natur- oder Technikgeschichte – eines ist ihnen allen gemein: Sie verkörpern nationales Kulturerbe, für dessen Förderung und Bewahrung wir uns seit mehr als 25 Jahren einsetzen. Unser satzungsgemäßer Auftrag lautet, Kunstschätze und Kulturgüter „von nationalem Rang“ für öffentliche Sammlungen in Deutschland zu sichern. Der Begriff „national bedeutendes Kulturgut“ ist demnach ein zentraler Punkt unserer Arbeit und immer wieder auch ein wichtiges Kriterium, wenn es um unsere Förderentscheidungen geht. In diesem Zusammenhang möchte ich mit einem grundlegenden Missverständnis aufräumen: Bei national wertvollem Kulturgut handelt es sich nicht um deutsche Kunst oder um Werke deutscher Künstler, sondern um national bedeutsame Kunst, um für die deutsche Kultur besonders wichtige und bewahrungswürdige Zeugnisse. Darunter fallen Kunstwerke, in denen sich das Bewusstsein einer gemeinsamen kulturellen Herkunft, auch die geschichtlich bedingte Zusammengehörigkeit einer Region, einer Gesellschaft manifestiert: also Bewahrung der Identität, Begründung von Legitimation.
In den vergangenen Wochen war der Begriff „national bedeutendes Kulturgut“ Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Grund dafür ist die von der Bundesregierung geplante Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes. Bereits seit 1955 ist der Kulturgutschutz in Deutschland gesetzlich geregelt. Mit der Novellierung sollen bisher gesetzlich getrennt geregelte Bereiche des Abwanderungsschutzes und der Kulturgüterrückgabe im internationalen Kontext in einem Gesetz verzahnt werden, um EU- und völkerrechtliche Vorgaben systematisch und schlüssig umzusetzen. Ziel ist ein einheitliches und kohärentes Gesetz, das besser gegen den illegalen Handel, vor allem bei der Einfuhr von Kulturgut, vorgeht und den Schutz von nationalem Kulturgut vor Abwanderung ins Ausland stärkt. Außerdem wird der Umgang mit Kulturgut an bestimmte Sorgfaltspflichten geknüpft.
Doch wie sehen die wichtigsten Neuerungen im Einzelnen aus? Seit der Schaffung des EU-Binnenmarktes 1992 war eine Ausfuhrgenehmigung von Werken, die älter als 50 Jahre und mehr als 150.000 Euro wert sind, nur in Länder außerhalb der EU verpflichtend. Nun soll eine solche Ausfuhrgenehmigung von Kulturgütern auch auf den europäischen Binnenmarkt ausgeweitet werden, wobei Alters- und Wertgrenzen noch zu bestimmen sind. Die Erweiterung des Geltungsbereiches wird am Ende voraussichtlich fünf bis maximal zehn Prozent der Ausfuhren betreffen; die gesamte Gegenwartskunst ist von dieser Regelung ohnehin ausgenommen.
Bei der Einfuhr von Kulturgut nach Deutschland müssen in Zukunft eine gültige Ausfuhrgenehmigung oder Belege für eine rechtmäßige Ausfuhr aus dem Herkunftsland vorgewiesen werden, ansonsten gilt das Kulturgut als unrechtmäßig verbracht und muss an das Herkunftsland zurückgegeben werden. Die schärfere Einfuhrkontrolle zielt darauf ab, den illegalen Handel mit Kulturgut, zum Beispiel zur Terrorismusfinanzierung und/oder aus illegalen Grabungen, zu unterbinden.
Mit der Auferlegung von Sorgfaltspflichten im Umgang mit Kulturgütern soll zudem das Vertrauen in den Kunsthandelsstandort Deutschland gestärkt und die Rechtssicherheit für alle Beteiligten erhöht werden. Wie wichtig das ist, haben uns spätestens die Diskussionen um das Thema Provenienzforschung der vergangenen Jahre gezeigt. Die Regelung ist meiner Meinung nach dringend notwendig. Schließlich ist auch in anderen Branchen der Herkunftsnachweis von Handelsware gängige Praxis. So gibt selbst jeder Fahrzeugschein über die Vorbesitzer eines Gebrauchtwagens Auskunft. Oder wie es Staatsministerin Monika Grütters zugespitzt formuliert: „Jedes Ei ist bei uns strenger nach Herkunft gekennzeichnet als millionenschwere Kunst- und Kulturobjekte.“
Seit 1955 ist die Eintragung von national wertvollem Kulturgut in das Verzeichnis des zuständigen Bundeslandes vorgesehen; man übernahm damit ein Regelungsprinzip, das tatsächlich bereits aus dem Jahr 1919 stammte. Auch in Zukunft wird sich daran nichts ändern: Eine durch die jeweilige Landesregierung berufene Experten-Kommission – mit Vertretern von sammelnden Einrichtungen, der Wissenschaft, des Handels und von privaten Sammlerinnen und Sammlern – begutachtet und beurteilt, ob sie dem Antrag auf Eintragung folgt und das entsprechende Objekt als „nationales Kulturgut“ einstuft. Ist dies der Fall, muss das Objekt auf deutschem Boden bleiben, kann aber selbstverständlich innerhalb Deutschlands gehandelt bzw. verkauft werden. Mit der Novellierung sollen auch öffentliche oder öffentlich geförderte Sammlungen und Archive, die bestimmte Kriterien erfüllen, in ihrer Gesamtheit unter Schutz gestellt werden. Dies verbessert die Möglichkeiten von Rückgabeforderungen beispielsweise bei Diebstählen erheblich. Leihgaben können je nach Wunsch des Leihgebers davon ausgenommen werden.
Die Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes ist eine Fortentwicklung der genannten gesetzlichen Regelungen und eine Angleichung an internationale Vereinbarungen, die von den meisten EU-Mitgliedsstaaten längst praktiziert werden. Es entspricht unserem obersten Auftrag, die für unsere Nation wichtigen Zeugnisse aus Kunst und Kultur zu schützen, manchmal eben auch vor Abwanderung. Ein Eintrag sollte als Auszeichnung eines singulären Kulturguts von ideellem Wert verstanden werden, für dessen Bewahrung der Staat ebenso wie die Förderer, die Sammler, Händler und öffentlichen Institutionen Verantwortung tragen.