Kultur auf dem Land
Sonderpreisgewinner in der Kategorie „Kulturelles Schulprofil“, 2018:
Staatliche Regelschule „Franz Kolbe“ mit dem Motto „Kulturelles Zentrum in der Landgemeinde Auma-Weidatal“
Hundert Jahre zurück in die Vergangenheit, mitten hinein ins Leben des Oberbürgermeisters Franz Kolbe. Dann ein gewagter Sprung in die Zukunft, ins Zeitalter futuristischer Haute-Couture. Die staatliche Regelschule „Franz Kolbe“ der Stadt Auma-Weidatal in Thüringen bildet ihre 125 Schüler*innen zu Zeitreisenden in der Kulturgeschichte aus. Eröffnet werden den Fünft- bis Neuntklässler*innen kreative Angebote durch die fünfzehn Lehrer*innen auch über die künstlerisch-kulturellen Fächer hinaus. Als „kulturelles Zentrum in der Landgemeinde Auma-Weidatal“ begleitet die Schule die Bewohner*innen – gerne auch in gemeinsamen Projekten – durchs Jahr. In die Zeit um 1900 entführt der Weihnachtsmarkt. Der Duft von selbstgebackenem Kuchen dringt aus dem Alt Aumaer Café, flotte Musik lässt die Besucher*innen der Alt Aumaer Kneipe ihr Tanzbein schwingen. Ein Zeitungsjunge in historischer Tracht bietet die Sonderausgabe der Ostthüringer Zeitung feil. In Eigenproduktion entstanden, feiert das Musical „Weihnachten in Auma um 1900“. Die fiktive Handlung – zeitreisende Jugendliche, die ihre eigene Geschichte erforschen – ist im Alltag der Schule zur Realität geworden. Unterstützt beispielsweise vom Heimatverein erkunden die Schüler*innen die Historie der Stadt und eignen sie sich mit künstlerischen Mitteln an. Mit Tanz und Gesang leitet das Frühlingskonzert den Jahreszeitenwechsel ein. So begeistert nimmt der Ort das Angebot an, dass es spontan zu einer zweiten Aufführung kommt. Erstmalig richtet die Schule im Mai 2018 auch das Sommerfest mit aus. Zu Ehren des ehemaligen Oberbürgermeisters und Namensgebers der Schule führen die Schüler*innen „Auf den Spuren von Franz Kolbe“ durch die Stadt und lassen Szenen aus dem Leben Kolbes wieder erwachen. Auch auf die jüngere Geschichte ihrer Institution richtet die Schule den Blick: Der Absolvent aus dem Jahrgang 1998, Maik Rietentidt, berichtet von seiner Arbeit als professioneller und international gefragter Stylist und Modefotograf. Dass in den Räumen der Schule auch heute noch große Talente wandeln, beweist die 9. Klasse mit ihrer Ausstellung „Black and White – Haute Couture in Papier“. Die papierenen Entwürfe beeindrucken in Kreativität und technischer Raffinesse.
Im Zentrum der kulturellen Arbeit steht immer wieder die eigene Region. Wie sehr dies die Identifizierung der Schüler*innen mit ihrer Heimat befördert, zeigt nicht zuletzt die erfolgreiche Initiative der 10. Klasse, das Naturdenkmal Weidatalsperre zu sichern : Die Landesregierung beschloss die Generalsanierung. Auch schafft die Schule selbst Attraktionen in der Region, wie etwa den 1. Thüringer Planetenwanderweg, dessen zwanzigjähriges Jubiläum nach Aumaer Tradition eine Woche lange mit Festen und Workshops begleitet wurde.

Der Sonderpreis für Beiträge aus dem ländlichen Raum 2018, verliehen von der Kulturstiftung der Länder und der Deutsche Bank Stiftung, geht in der Kategorie „Kulturelles Schulprofil“ an die staatliche Regelschule „Franz Kolbe“:
„Die staatliche Regelschule ‚Franz Kolbe‘ in Auma-Weidatal wird für die beispielhafte Verankerung kultureller Bildung der Schule mit dem Umfeld des ländlichen Raumes ausgezeichnet. Diese – kleine – Schule wirkt kultur- und identitätsstiftend in die Region hinein.“
Sonderpreisgewinner in der Kategorie „Programme kultureller Bildung“, 2018:
Avantgarde Schiphorst e.V. mit dem Beitrag „Kultur auf dem Land – Kultur in der Hand! Künstlerische Projekte selbst entwickeln“
In den grauen, nass-kalten Novembertagen trifft sich das 650-Seelendorf Schiphorst alljährlich bei Bratwurst und Marschmusik zum Lichterfest. Pünktlich um 18 Uhr setzt sich auch 2015 der Laternenumzug in Bewegung. Erst leise, dann immer lauter peitschen plötzlich Trommelschläge durch die Luft. Bunt und laut trifft eine Samba-Truppe auf den traditionsverhafteten Umzug. Die Überraschung ist perfekt, als die Kinder mit Trillerpfeifen in das Konzert einstimmen – alles ist ungewohnt laut, anders. Von Licht und Klang angelockt, nähert sich ein riesiger Drache dem Geschehen. Schuppenbedeckt, mit furchteinflößenden Zähnen und leuchtenden Augen bewegt er sich, gibt unheimliche Geräusche von sich. Den Bagger der kleinen Gemeinde in Schleswig-Holstein haben die Kinder für ihre Aktion gekapert. Das von ihnen verwandelte Gefährt lässt ein Gemeindeangestellter lebendig werden.
Mit künstlerischen Interventionen wie dieser bringen die drei Künstlerinnen von Avantgarde Schiphorst e.V. seither gemeinsam mit den Heranwachsenden vor Ort Kunst und Kultur in den öffentlichen Raum. Das Anliegen der drei Frauen, junge Menschen dafür zu begeistern, eigenverantwortlich und selbstbestimmt lokale Ressourcen zu erkennen, um aktiv künstlerisch zu gestalten, ergänzt die Wünsche der Kinder und Jugendlichen perfekt. Mehr Mitbestimmungsrecht, mehr freie Räume zum kreativen Austoben: Danach verlangten die Heranwachsenden, als sie auf die Künstlerinnen zugingen. Entstanden ist eine kreative Zusammenarbeit, in deren Mittelpunkt die Kinder stehen. Der „Alles-ist-möglich-Mittwoch“ ist zum Herz der gemeinsamen Tätigkeit geworden. Jede Woche treffen sich 8- bis 16-Jährige seit dem Herbst 2017 im Gemeindehaus. Doch nicht nur der Ort leistet so seinen Beitrag, insbesondere die Grund- und Gemeinschaftsschule Sandesneben ist zum Partner von Avantgarde Schiphorst e.V. geworden. Den Grundstein hierfür legte die 11. Klasse im Sommer des Jahres, als sie im Rahmen der Schiphorster Festwoche Kunst im öffentlichen Raum erarbeitete und ausstellte. Und zwar gleichberechtigt neben den internationalen Künstler*innen des Festivals „Avantgarde is Happening“. Neben den danach etablierten Mittwochs-Treffen stehen den Kindern und Jugendlichen auch regelmäßig Workshops zu komplexen, mehrschichtigen Aspekten des Kunstschaffens offen. Alles mündete im Mai 2018 in einer fulminanten Ausstellung, deren Titel so vielfältig sind wie die Exponate: „Impf Dich schlau“, „The Children is perfect“, „Wischi Waschi“. Das Projekt, in dem alles erlaubt ist, „was Spaß macht, irgendwie abwaschbar ist und andere nicht gefährdet“, zeigt sich als wahrer Augenschmaus.

Der Sonderpreis für Beiträge aus dem ländlichen Raum 2018, verliehen von der Kulturstiftung der Länder und der Deutsche Bank Stiftung, geht in der Kategorie „Programme kultureller Bildung“ an Avantgarde Schiphorst e.V.:
„Was uns besonders überzeugt: Hier wird der Blick ganz bewusst nicht in die nächste große Stadt gerichtet, sondern Kunst entsteht für und aus dem lokalen Umfeld heraus… ‚Kultur auf dem Land – Kultur in der Hand!‘ hat sich zum Ziel gesetzt, ländliche Gegenden als Lebensraum attraktiver zu gestalten. Wir sind überzeugt, dass dies hier beispielhaft gelingen kann.“