Gemälde zeigt eine junge Frau in rotem Kleid, sitzend
25 JAHRE WASHINGTONER KONFERENZ

Korrektur historischen Unrechts

25 Jahre Washingtoner Prinzipien – ein Blick auf die Förderungen der KSL seit 1999 / Stephanie Tasch

Nach einem Vierteljahrhundert Forschungs- und Restitutionspraxis in der Umsetzung der Washingtoner Prinzipen von 1998 und der Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz (abgekürzt „Gemeinsame Erklärung“) von 1999, stellt sich die Frage nach ihrer Auswirkung für eine Förderinstitution wie die Kulturstiftung der Länder und nach konkreten Ergebnissen. Der Blick ins Stiftungsarchiv zeigt für die frühen 2000er-Jahre vor allem Förderungen für die wichtigen frühen Tagungen, aber noch keine Ankaufsförderungen. Damit spiegelt sich in der Stiftungsarbeit der langsame Bewusstseinswandel in den sammelnden Einrichtungen, ablesbar im anfangs nur punktuellen Beginn der Provenienzrecherchen. Die Chance, mit der Umsetzung der Washingtoner Prinzipien und der Gemeinsamen Erklärung wenn schon nicht „Wiedergutmachung“ der Gräuel der NS-Diktatur zu leisten, so doch einzelne Beiträge zur Korrektur historischen Unrechts leisten zu können, führte zu einer vor allem seit den 2010er-Jahren stetig wachsenden Zahl von Anträgen für den Ankauf von Kunstwerken und Kulturgütern im Rahmen fairer und gerechter Lösungen. Neben dem Bewusstseinswandel verdeutlicht diese Zunahme auch die durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung und seit 2015 das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste bereitgestellten öffentlichen Mittel für die Provenienzforschung und die damit verbundene, stetig steigende Anzahl befristet oder fest angestellter Forscherinnen und Forscher in Einrichtungen unterschiedlichster Träger sowie die wachsende analoge und digitale Bereitstellung von Archivressourcen zur Recherche. Und aus den vielen über die Jahre bearbeiteten Anträgen lässt sich auch ein annähernd repräsentativer Überblick zum privaten Sammeln vor 1933 in Europa ablesen. Wer nach 1933 als Jude oder Jüdin verfolgt wurde, gehörte zuvor zu denjenigen Sammlerinnen und Sammlern oder Mäzenatinnen und Mäzenaten, die den Geschmack einer Zeit prägten und abbildeten, und deren Sammlungsstücke bis heute im Kunstmarkt gehandelt und in Museen ausgestellt und gesammelt wurden und werden. Dazu gehörte die bildende und angewandte Kunst vom Mittelalter bis in die Gegenwart ebenso wie außereuropäische Kunst – vor allem Ostasiatika – und Antiken, Bücher, literarische und musikalische Autografen und Manuskripte, wissenschaftliche Instrumente: kurz gesagt, die gesamte Breite der Kunstwerke und Kulturgüter, die auch von nicht-jüdischen Sammlerinnen und Sammlern erworben wurden, eine Topografie der Sammlungs- und Geschmackskultur, die es weiter zu erforschen gilt.

Über die Förderungen ist in Arsprototo kontinuierlich berichtet worden. Im Folgenden haben wir einige Beispiele zusammengestellt, bei denen die Biografien der Sammlerinnen und Sammler, ihre Interessen, die Umstände des NS-verfolgungsbedingten Entzugs und die Wege der Kunstwerke in die deutschen Museen exemplarisch für die Vielfalt des Sammelns wie die Systematik des Entzugs stehen können.

1919 erbten die Schwestern Berta (1864–1942), Jenny (1862–1942) und Malvine Rosauer (1859–1940) in Wien von ihrem Bruder Gustav (1858–1919) als Teil seiner Kunstsammlung das Bildnis einer jungen Frau mit Zeichengerät vor der Kulisse des Golfs von Neapel. 1816 in Rom entstanden, war es wohl das Verlobungs- oder Hochzeitsbildnis von Thekla Weyssenhoff (1791–1869), die im selben Jahr in Neapel ihren künftigen Ehemann, den Diplomaten Joseph Constantin Ludolf (1787–1875), kennengelernt und sogleich geheiratet hatte. Im Frühjahr 1938 wurde das Gemälde für die „Judenvermögensabgabe“ als Nr. 59 registriert und im November beschlagnahmt, als die Schwestern zum Umzug in eine Sammelwohnung genötigt wurden. Malvina starb in Wien, ihre Schwestern wurden deportiert und ermordet. Von der Kunsthändlerin Hildegard Gussenbauer (1891–1953) an die Kunsthandlung Julius Böhler in München veräußert, erwarb es 1940 der Direktor der Dresdner Gemäldegalerie, Hans Posse (1879–1942). Die Herkunft des Gemäldes und die Umstände seines Entzugs wurden im Rahmen des großangelegten Inventarisierungs- und Provenienzforschungsprojektes „Daphne“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden festgestellt und die „junge Dame“ 2011 restituiert. Im selben Jahr gelang der Ankauf des Bildes in einer Versteigerung mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder.

Berlin war vor dem Zweiten Weltkrieg ein Zentrum des internationalen Kunstmarkts; die Ausgrenzung, Verfolgung und die Emigration vieler Akteure im Handel, in den Galerien und Auktionshäusern führte auch in diesem Kultur- und Wirtschaftszweig zu massiven Veränderungen: So flüchtete der Kunst- und Antiquitätenhändler Jakob S. Oppenheimer (1879–1941), Inhaber des Margraf Konzerns mit Niederlassungen in Berlin und Amsterdam, bereits 1933 nach Frankreich, wo er 1941 verarmt in Nizza starb. Um die „Reichsfluchtsteuer“ begleichen zu können, veräußerte Oppenheimer diesen dem französischen Kunsttischler Jean-Pierre Latz zugeschriebenen Schreibtisch Friedrichs II. an das Deutsche Reich. 2002 von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten als Zwangsverkauf identifiziert und an die Erbengemeinschaft Oppenheimer restituiert, konnte das für die Rezeption französischer Möbelkunst am preußischen Hof zentrale Stück im Jahr 2007 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder zurückerworben werden.

Mit dem Überfall auf die Niederlande 1939 wurden sämtliche besetzten Länder sukzessive zu Schauplätzen des organisierten NS-Kunst- und Kulturgutraubes. Der prominente Amsterdamer Kunsthändler Jacques Goud­stikker (1897–1940) floh 1940 per Schiff mit seiner Ehefrau, der Opernsängerin Dési Halban (1912–1996) – und starb auf der Überfahrt auf dem Ärmelkanal. Seine Kunsthandlung wurde unter der Leitung von Alois Miedl „arisiert“ und ein großer Teil der Werke gelangte in die private Kunstsammlung Hermann Görings. Nach dem Krieg wurden die Werke aus der Sammlung Göring zunächst an die Niederlande restituiert und Goudstikkers Witwe bemühte sich um die Restitution ihres Eigentums. 2006 wurden die bis dahin vom niederländischen Staat verwalteten Kunstwerke schließlich an ihre Schwiegertochter und Enkelin restituiert. Für das Historische Museum der Stadt Frankfurt eröffnete sich bei der Versteigerung der restituierten Kunstwerke 2008 die Möglichkeit, durch den Ankauf der um 1504 datierten Grisaille-Tafel der heiligen Odilia und Cäcilie den im 19. Jahrhundert getrennten Annenaltar des Meisters von Frankfurt zu vervollständigen. Die Suche nach den durch Entzug und Verkauf verstreuten Kunstwerken aus Goudstikkers umfangreichem Kunsthandlungsbestand dauert an.

Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts konvertiert, wurde die Hamburger Bankiersfamilie Behrens seit 1933 „rassisch“ verfolgt, ihre Privatbank L. Behrens & Söhne wurde liquidiert. George Behrens (1881–1956), Bankier in fünfter Generation und Kunstsammler in der dritten, und seine Mutter Franziska (1856–1951) sahen sich ab 1935 genötigt, Werke aus der bedeutenden Gemäldesammlung der Malerei des 19. Jahrhunderts seines Urgroßvaters Eduard L. Behrens sen. (1824–1895) zu verkaufen. Arnold Böcklins „Schlafende Diana von zwei Faunen belauscht“ von 1877/1885 wurde 1939 über die Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich (1892–1971) an den „Sonderauftrag Linz“ für das geplante, aber nie realisierte „Führermuseum“ (inventarisiert unter Linz-Nr. 589/500) verkauft. Während des Krieges im Salzbergwerk Alt-Aussee in der Steiermark ausgelagert, kam es über den Münchner Central Collecting Point (zentrale alliierte Sammelstelle) als Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland an das Museum Kunstpalast in Düsseldorf (Münchner Nr. 8652). George Behrens war nach seiner Internierung Anfang 1939 die Flucht aus Deutschland gelungen. 2009 an die Behrens-Erben restitutiert, wurde das Gemälde 2010 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder angekauft.

Die aktive Rolle von Museumsmitarbeitern bei der „Verwertung“ von Kunstwerken aus Privatsammlungen verfolgter Bürger lässt sich anhand der Gruppe von schlesischen Sammlern und Kunstmäzenen nachweisen, die vor 1933 die wesentlichen Unterstützer der Breslauer Kunstszene bildeten, und zwar gerade in ihrem Engagement für die Moderne. Zu diesen Sammlern gehörten etwa Ismar Littmann (1878–1934), Max Silberberg (1878–nach 1942), David Friedmann (1857–1942) und Carl Sachs (1868–1943), aber auch der Fabrikant Leo Smoschewer (1875–1938). Sein Unternehmen wurde 1938 „arisiert“, seine Frau Else beging 1939 Selbstmord. Das wohl kurz nach seiner Entstehung 1927 erworbene Stillleben von Alexander Kanoldt (1881–1939) hatte Else Smoschewer unter Verfolgungsdruck an die Kunstsammlung Görlitz verkauft. Aus seinem Auslagerungsort gestohlen, nach Westen transferiert und schließlich 1987 vom Saarlandmuseum Saarbrücken erworben, wurde das Gemälde 2017 an Leo und Else Smoschewers Erben restituiert und 2019 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder von der Ostdeutschen Galerie Regensburg angekauft.

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