Almanachsammlung Goldschmidt
So wie in deutschen Museen immer noch Kunstwerke als NS-Raubkunst identifiziert werden, befinden sich auch in deutschen Bibliotheken heute Bestände, die als verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter und damit als Raubgut des NS-Regimes gelten müssen: Der Provenienzforschung, die die Kulturstiftung der Länder seit einigen Jahren u. a. mit der Berliner Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/-forschung unterstützt, steht noch viel Arbeit bevor. Einer der größten Restitutionsfälle deutscher Bibliotheken konnte jetzt dank einer gütlichen Einigung mit der Jewish Claims Conference und den Erben des NS-verfolgten Leipziger Unternehmers und Sammlers Arthur Goldschmidt beendet werden: Die 2.000 Bände umfassende Almanachsammlung Goldschmidts verbleibt in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, wo der Bestand das Herzstück der Almanachsammlung bildet und zur Kernsammlung der Bibliothek zählt. Die Kulturstiftung der Länder unterstützte die Erwerbung.
Die Familie Goldschmidt betrieb in Leipzig ein florierendes Futtermittelunternehmen mit Auslandsvertretungen bis nach Argentinien; sie wurde im Jahr 1933 enteignet, der Betrieb fiel an den „Reichsnährstand“, der alle ernährungswirtschaftlichen Produktions- und Vertriebsbereiche unter NS-Kontrolle gebracht hatte. Der Kaufmann Arthur Goldschmidt besaß als passionierter bibliophiler Sammler auch eine wertvolle Kollektion an Almanachen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert – eine auf das jeweilige Jahr bezogene Publikationsform mit kleiner Prosa und Lyrik, illustrierten Anleitungen für Malerei und Schauspiel, fürs Musizieren oder für Pflanzenliebhaber. Aus wirtschaftlicher Not nach Verfolgung und Diskriminierung durch die Nationalsozialisten sah sich Goldschmidt 1935 gezwungen, seinen kostbaren Bücherschatz weit unter Wert für 2.000 Reichsmark an das damalige Goethe-und Schiller-Archiv abzugeben. 1954 gelangte die Sammlung in die Zentralbibliothek der deutschen Klassik, eine der Vorgängereinrichtungen der heutigen Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Im Zusammenhang mit Recherchen nach NS-Raubgut wurde 2005 der Teilbestand der Almanachsammlung als solches identifiziert.
In den jetzt für Weimar angekauften Beständen finden sich literarische Musenalmanache zu Balletttanz, Travestien, Karneval und Masken, Kirchen und Ketzern oder Leipziger Frauenzimmern, aber auch ein satirischer Mückenalmanach von 1797, daneben fachkundliche Kalender für Forst- und Jagdfreunde, Schauspieler und Schauspielfreunde und Militärs. Erstausgaben von Goethe und Schiller, aber auch heute sehr seltene historische Themenkalender machen den Bestand für die Weimarer Bibliothek und die Forschung so kostbar.