„In der Malerei sind Sie noch nicht ganz so weit“
Der impressionistische Maler und Graphiker Max Slevogt starb am 20. September 1932 auf seinem über Leinsweiler an der pfälzischen Weinstraße gelegenen Gut, dem „Slevogthof“. Da er offensichtlich keine testamentarische Vorsorge getroffen hatte, verblieben sein künstlerischer und sein schriftlicher Nachlass an diesem Ort im Besitz seiner Erben. Erst im Jahr 2011 konnte das Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz den bis dahin nur sehr eingeschränkt zugänglichen schriftlichen Nachlass des Künstlers mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder von der Familie erwerben. Es handelt sich um ein Konvolut von etwa 3.700 hand- und maschinenschriftlichen Blättern, die auf mehrere hundert Absender zurückgehen. Neben Briefen Slevogts, die er an seine Familie geschrieben hatte, findet sich hier in erster Linie die eingegangene Korrespondenz. Daneben haben sich einige Lebenszeugnisse erhalten, beispielsweise ein Passierschein der französischen Besatzungsmacht mit Passfoto Slevogts sowie verschiedene eigenhändige Konzepte für Vorreden und Aufsätze.
Im Gegensatz zum künstlerischen Nachlass, der für das malerische und graphische Œuvre großen Quellenwert hat, steht im Falle des schriftlichen Nachlasses das persönliche Netzwerk Slevogts im Vordergrund. Es gruppiert sich, von der nicht sehr dichten Überlieferung zur Münchener Schaffensperiode abgesehen, um seine beiden späteren Lebensmittelpunkte, das Berlin des späten Kaiserreiches und der Weimarer Republik sowie die zu dieser Zeit noch zu Bayern gehörende Pfalz. Hier finden sich Briefe von Verwandten und Freunden, Künstlern und Kunsthistorikern, Schriftstellern und Journalisten, Auftraggebern und Sammlern, Museumsdirektoren, Galeristen und Verlegern. Für viele Kunstwerke und buchgraphische Arbeiten kann der schriftliche Nachlass die genauen Entstehungsumstände erhellen.
In den Briefen an seine Familie karikierte sich Slevogt immer wieder selbst. So berichtete er seiner Frau 1906 ausführlich von einer Reise nach London, wo der Deutsche Künstlerbund eine Ausstellung ausrichtete. Zum gesellschaftlichen Leben gehörte der Besuch eines vornehmen Restaurants mit Frackzwang; unter den „Söhnen und Töchtern des Nordens und Albions“ würde er als stämmiger Mann mit Vollbart leicht zu erkennen sein. Eine weitere Selbstkarikatur findet sich in einem Rechnungsbuch, in dem Slevogt seine künstlerische Produktion, die Namen der Käufer sowie jeweils die Erträge verzeichnet hat. Das Frontispiz ziert der Künstler selbst, der einen reiche Geldmengen liefernden Dukatenscheißer mit Farbe füttert. Wie gut ein renommierter Maler zur Zeit Slevogts tatsächlich verdienen konnte, zeigt beispielsweise eine Anfrage von Otto Henkell, Teilinhaber der gleichnamigen Wein- und Sektkellerei in Mainz, aus dem Jahr 1906 nach den Kosten eines Porträts. Der Künstler notierte in Vorbereitung einer Antwort lakonisch: „Knie 4 – 5000, ganze Figur 9 –10.000.“
Das umfangreichste Konvolut innerhalb des schriftlichen Nachlasses ist die Korrespondenz mit den Vettern Bruno und Paul Cassirer, die einerseits einen großen Teil seines buchkünstlerischen Schaffens verlegten, andererseits seine Gemälde und Graphiken vertrieben. Insbesondere Paul Cassirer bewertete die künstlerischen Leistungen Slevogts ganz unverblümt. In einem Brief vom 4. April 1912 warf er ihm beispielsweise vor, sich mit Schmeichlern zu umgeben. „In Ihrer Graphik“, so Cassirer weiter, „sind Sie zu einer Freiheit gekommen, die bewundernswert ist; in der Malerei sind Sie noch nicht ganz so weit.“ Kritiklose Bewunderung dürfe der Künstler nicht von ihm erwarten: „Bin ich denn nun wirklich verpflichtet, wie ein Kind oder wie ein Narr alles, was Sie tun, über alle Massen schön zu finden? Oder finden Sie nicht, dass meine Liebe zu Ihnen und zu Ihrer Kunst ehrlicher, tiefer, männlicher ist als die Affenliebe derer, die Sie umgeben und die alles, was Sie machen, gut finden, als wären Sie ein Automat und nicht ein lebendiger, ringender Mensch?“
Eine enge Freundschaft bestand zwischen Slevogt und dem Graphiker und Buchkünstler Emil Orlik. Er wurde 1870 in Prag geboren und erhielt seine künstlerische Ausbildung in München. Von 1905 bis kurz vor seinem Tod 1932 unterrichtete er an der Staatlichen Lehranstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums. In seinen Briefen und Postkarten an Slevogt finden sich viele Randzeichnungen. So berichtete Orlik dem Freund im Juli 1923 über eine „Neuerscheinung im Romanischen Cafe“, eine nach der neuesten Mode gekleidete Frau, die Anschluss an die dort verkehrende Künstlerszene suchte. Das 1916 begründete Romanische Café an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche war in der Weimarer Republik ein wichtiger Treffpunkt für Künstler, Schriftsteller, Schauspieler und Verleger. Der Stammgast Slevogt betrachtete diese Einrichtung aber mit einer gewissen Distanz, wie er im Winter 1928 an seine Frau schrieb: „Im Romanischen war ich erst gestern Abend, freudig begrüßt, und eben der übliche Quatsch.“ Von Dezember 1923 bis April 1924 besuchte Orlik die USA. Auf einer Postkarte an Slevogt skizzierte er die Wolkenkratzer von New York, wo „die Seele friert und hungert“. Hier habe er, so Orlik in einem Brief vom Februar 1924, „gar oft den Zusammenhang zwischen ruhigem Denken und dem Leben verloren“. Einerseits finde ein Maler hier „ungeahnte, unvorstellbare Bilder“, andererseits sei Europa „wahrhaftig nicht der schlechtere“ Teil der Welt. Weiter notierte er „schauderhafte kalte Geldmenschen“ und die „ewige Jagd und Hast nach dem Dollar“.
Aus dem Kreis der zeitgenössischen Künstler ist in erster Linie die Korrespondenz Max Liebermanns mit Slevogt hervorzuheben. Liebermann war von 1920 bis 1932 Präsident der Preußischen Akademie der Künste. In dieser Eigenschaft informierte er im Juli 1927 den Kollegen darüber, dass die Akademie zur Feier seines 60. Geburtstages im Folgejahr eine „umfassende […] Ausstellung Ihrer Werke, Oelgemälde, Aquarelle, Graphiken und Zeichnungen“ veranstalten wolle; er hoffe, so Liebermann, dass sich Slevogt darüber freuen würde. Tatsächlich verzeichnet der Katalog zur Ausstellung 444 Kunstwerke Slevogts, der selbst zu dieser Publikation als Vorwort eine Abhandlung über den deutschen Impressionismus und dessen Aktualität beisteuerte. Im Nachlass haben sich vier handschriftliche Vorstufen erhalten, die die Entstehung des Textes erkennen lassen. Auch zu anderen Themen nahm der Künstler immer wieder Stellung. So äußerte er sich 1910/11 über seine Würzburger Schulzeit. Der „unfrohe[n] Erinnerung an diese Schulluft“ und dem seiner Ansicht nach überschätzten „Ideal des humanistischen Gymnasiums“ stellte er die Forderung nach Aufwertung von Naturwissenschaften und lebenden Sprachen gegenüber. 1931 befragte ihn die Berliner Zeitung „Tempo“ zum Schlagwort „Kulturbolschewismus“, mit dem vor allem rechtskonservative Kreise unter anderem moderne Kunstströmungen bekämpften. Slevogt verteidigte in seiner Stellungnahme Kunst, die sich mit „sozialen Problemen“ befasse, griff aber jedwede politisch tendenziöse Kunst scharf an: „Nichtskönner, die sich an die gegebene Marschroute halten, werden immer Nichtskönner bleiben.“ Die absolute Freiheit der Kunst hatte er schon 1920 in einem Gutachten für den Graphiker und Illustrator Walter Klemm verteidigt. Eine „Erotische Schöpfungsgeschichte“ hatte diesem eine Anklage wegen Herstellung und Verbreitung unzüchtiger Bilder und Schriften eingebracht, worauf Klemm neben Liebermann auch Slevogt um Stellungnahme gebeten hatte.
Der schriftliche Nachlass von Max Slevogt enthält reiches biographisches Quellenmaterial, das seine Beziehungen zu ganz verschiedenen Personen und Kreisen erkennen lässt. Insbesondere das Berlin der Weimarer Republik mit seinen Kunstszenen, aber auch die ökonomische Dimension der Kunst ist hier in herausragender Weise dokumentiert. Aber auch zur Pfalz, dem zweiten Lebensmittelpunkt des späten Slevogts, gibt es vielfältige persönliche und künstlerische Bezüge, die zeigen, wie sehr der 1868 in Landshut geborene Künstler hier heimisch geworden war.