Im Labyrinth der Moderne
Dieser Umzug hat es in sich: Jede der 582 kreisrunden Kunststoffscheiben muss einzeln von der Wand abgenommen, von Restauratoren sorgfältig auf mögliche Schäden untersucht und anschließend transportsicher verstaut werden. Vom Aluminiumpaneel bis zum Teppichflies – alles wird ausgebaut, dokumentiert und eingepackt. Denn für die retrospektive Ausstellung zum umfassenden Werk des ungarisch-französischen Künstlers Victor Vasarely (1906 –1997) wartet das Städel Museum in Frankfurt mit einem besonderen Höhepunkt auf: die originale Präsentation des Vasarely-Speisesaals der Deutschen Bundesbank. Gemeinsam mit seinem Sohn Yvaral hatte der Künstler den Raum im 13. Obergeschoss der Zentrale in Frankfurt Anfang der 1970er-Jahre gestaltet. Seitdem wurde er insbesondere für repräsentative Zwecke genutzt – für den Empfang hochrangiger Gäste ebenso wie für Pressetermine. Da dem Gebäude in der Wilhelm-Epstein-Straße im kommenden Jahr eine umfangreiche Sanierung bevorsteht, bot der zwischenzeitliche, aufwendige Umzug des eindrucksvollen Ensembles in die Ausstellungsräume des Städel Museums für beide Seiten eine glückliche Chance. Noch bis Januar 2019 können sich die Besucher der in Kooperation mit dem Centre Pompidou entstandenen Ausstellung von Vasarelys eindrucksvollem Glanzstück architektonischer Integration überzeugen und sich von der intendierten Raumwirkung der zwischen Silber, Grau, Schwarz, Gelb und Ocker changierenden Kunststoffscheiben der Wandverkleidung und des darauf abgestimmten Interieurs einnehmen lassen. In der einzigartigen Inszenierung spiegelt sich Victor Vasarelys intensive Beschäftigung mit abstrakten graphischen Elementen ebenso wie die Dynamik seiner stilprägenden Kompositionen.
1906 in Pécs, Ungarn, geboren, setzte sich der Maler und Werbegraphiker mit unterschiedlichen Stilen und Einflüssen der Moderne auseinander: mit den konstruktivistischen Arbeiten Kasimir Malewitschs (1878 –1935), den Theorien des Bauhauses, dem Suprematismus ebenso wie mit der geometrischen Abstraktion. Doch auch die systematische Erforschung optischer Effekte, die Tradition des Trompe l’Œuil, integrierte er in seine Arbeit. Mit seinem Werk bewegt sich der Initiator und Hauptvertreter der Op-Art künstlerisch zwischen den Polen von Figuration und Abstraktion, von freier und angewandter Kunst, von „high and low“ und löst diese Grenzen immer weiter auf. Ob in knalligen, technoiden Farben oder im starken Kontrast von Schwarz und Weiß: Victor Vasarelys sich über sechs Jahrzehnte erstreckendes Werk ist geprägt von einer dynamisierenden Formensprache, von optischen Täuschungen, die sich zwischen Zwei- und Drei-Dimensionalität bewegen, deren geometrische Formationen in Bewegung geraten, aus der Fläche drängen oder zueinander streben, den Betrachter irritieren und mit seinen Sinnen spielen.
Mit rund 100 Werken aus über 60 Jahren widmet sich das Städel Museum dem malerischen Œuvre Vasarelys mit dem Ziel, die Entwicklung seines komplexen Werks für ein breites Publikum nachvollziehbar zu gestalten. Neben dem Frankfurter Vasarely-Gemälde „Fugue“ aus den Jahren 1958–1960 ergänzen Leihgaben aus europäischen wie US-amerikanischen Sammlungen die gemeinsam von der Kulturstiftung der Länder und der Kulturstiftung des Bundes geförderte Schau. Doch auch Schlüsselwerke der Moderne und der Gegenwartskunst aus den eigenen Beständen werden in die Ausstellung einbezogen. In der Verzahnung von Vasarelys Arbeit mit weiteren wegweisenden Positionen der europäischen Kunst im 20. Jahrhundert würdigt die Ausstellung im Städel Museum den Künstler als eine wiederzuentdeckende zentrale Figur der modernen und nachmodernen Malerei und lädt dazu ein, die Entstehung und Vielfältigkeit seines Œuvres in seiner kunsthistorischen Bedeutung neu zu befragen.