Im Europa der Kathedralen

Naumburger Meister, Stifterfiguren Markgraf Ekkehard II. und seine Frau Markgräfin Uta im Westchor des Naumburger Doms
Naumburger Meister, Stifterfiguren Markgraf Ekkehard II. und seine Frau Markgräfin Uta im Westchor des Naumburger Doms

Seit dem 19. Jahrhundert ist der Bildhauer der eindrucksvollen Stifterfiguren des Naumburger Westchors und der dortigen Lettnerskulpturen als Künstlerpersönlichkeit nur mit einem Notnamen als „Naumburger Meister“ identifiziert. Die Tätigkeit „dieses größten deutschen Plastikers“ (Erwin Panofsky) markiert in Deutschland den Übergang von der Spätromanik zur Frühgotik.

Wer sich ein Bild machen will von seiner stupenden handwerklichen Qualität, seiner Beobachtungsgabe, der Fähigkeit, Realität und Emotionen zu schildern, der muss reisen – quer durch das schrankenlose, hochmittelalterliche Europa. Die Anregungen für seinen individuellen Stil, die Stätten seiner eigenen handwerklichen Ausbildung und Tätigkeit sowie des Schaffens seiner Werkstatt lassen sich im Pariser Louvre, in Reims, Noyon, im Mainzer Dom, im sachsen-anhaltischen Naumburg und zuletzt im Meissener Dom fassen. Auch der Naumburger Meister war ein Opfer der deutschen Teilung! Nur so lässt sich erklären, dass erst jetzt eine große Schau seines Werks gelingt. Denn seine Kunst ist prädestiniert für eine europäische Ausstellung, wie etwa die zur gotischen Architekten- und Bildhauerfamilie der Parler. Unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy widmet sich die diesjährige Landesausstellung Sachsen-Anhalts der bedeutendsten Künstlerpersönlichkeit des Landes und konfrontiert deren Werke mit Zeugnissen der eleganten Hofkunst unter König Ludwig dem Heiligen von Frankreich. Die alte Forschungsfrage, ob der Naumburger Meister nun ein Franzose oder Deutscher war, wird heute nicht mehr gestellt – die Ausstellung illustriert die Antwort: ein Europäer.

Kooperationen der Vereinigten Domstifter mit zahlreichen französischen und deutschen Einrichtungen machen es möglich, dass der Naumburger Meister noch einmal in die Stadt zurückkehrt, deren Namen er trägt. Mit Schwerlastkränen werden Kapitelle aus den Steindepots der zerstörten Burg Coucy gehoben – hier hat der Naumburger Meister seine ersten Spuren hinterlassen. Unzählige Leihgaben aus französischen Kathedralen und Museen werden erstmals für eine Ausstellung restauriert und treten ihre Reise nach Mitteldeutschland an. Besonders aussagekräftig sind auch die vom Naumburger Meister geschaffenen Teile der Mainzer Lettnerfragmente, die sich nun erstmals direkt mit dem Naumburger Pendant vergleichen lassen. Nicht transportable Bildwerke, wie Konsolfiguren oder der berühmte Bassenheimer Reiter, werden abgeformt und machen die Naumburger Schau zu einem Kompendium der hochmittelalterlichen Kathedralskulptur. Hochkarätige Kunstwerke der Schatzkunst sowie der Glas- und Buchmalerei illustrieren die weitgespannten Möglichkeiten und die Qualität des Kunst- und Kulturaustausches im europäischen Hochmittelalter.

Ausstellungsort ist nicht nur der Naumburger Dom, sondern auch die Marienkirche, die Klausur, das Schlösschen und das Stadtmuseum, in dem das Nachleben thematisiert wird: Vor allem die Figur der Uta ist hier zu nennen, deren Ruhm expressive Schwarzweiß­fotografien des frühen 20. Jahrhunderts begründet haben.