Historisches Klangporträt
Die Wunderkammern des Grünen Gewölbes kurz nach ihrer Entstehung zu durchschreiten, dem Gesang eines Kastraten bei einer Messe in der Dresdner Hofkapelle zu lauschen oder die Töne nicht mehr existierender Orgeln aus der Zeit Johann Sebastian Bachs wieder erklingen zu lassen – die detailreichen Reisebeschreibungen von Johann Andreas Silbermann (1712–1783) vergegenwärtigen die musikalische Welt von 1741 und gewähren faszinierende Einblicke in die deutschen Kulturräume des 18. Jahrhunderts. Die Wissenschaftler der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden waren deshalb elektrisiert, als das bis dato völlig unbekannte Reisejournal des Straßburger Orgelbauers Silbermann in London versteigert werden sollte. In einer eilends geschmiedeten Finanzierungskoalition der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und des Freistaates Sachsen gelang es der Sächsischen Landesbibliothek, das kostbare Ma-nuskript zu erwerben.
Mit den Augen eines Touristen und den Ohren eines Orgelkonstrukteurs: Die dicht beschriebenen 284 Blätter umfassen unmittelbare Schilderungen einer fünfmonatigen Bildungsreise von Johann Andreas Silbermann durch Kursachsen und Berlin im Jahre 1741. Der im Elsass beheimatete Neffe des sächsischen Orgelbaumeisters Gottfried Silbermann berichtet von den Residenzstädten Mitteldeutschlands – u. a. den kulturellen Zentren Gotha, Weimar, Leipzig und Dresden –, beschreibt deren Orgeln sowie Kunstdenkmäler und erzählt von Begegnungen mit Komponisten und Instrumentenbauern, aber auch von den Kuriositäten des Alltags. Gewürzt mit Zeitungsartikeln sowie eigenhändigen Illustrationen und Skizzen, entwirft das Reisetagebuch nicht nur ein Klangporträt Kursachsens, sondern überliefert auch historische Ansichten von Kirchen und Städten. So enthält der kulturwissenschaftliche Quellenschatz auch ein nuanciert gezeichnetes Prospekt der sächsischen Kunst- und Bergmannstadt Freiberg.
Die Wissenschaftler der Sächsischen Landesbibliothek – Hüterin musikalischer Schätze u. a. der königlichen Hofkapelle Dresden – werden die unerforschten Aufzeichnungen akribisch auswerten. Sie versprechen sich Erkenntnisse für die Musikgeschichte, Kunst- und Landesgeschichte, Kirchenhistorie und über den kulturellen Austausch zwischen den Künsten und Ländern. Das vollständige Manuskript wird für die freie und wissenschaftliche Nutzung in den digitalen Sammlungen der Bibliothek präsentiert.