Hemmenhofen (Höri), 1942
Der Zweite Weltkrieg tobt an allen Fronten, da sitzt ein Künstler auf der Höri, der idyllischen Halbinsel am Bodensee, in seiner Villa und malt sein persönliches Weltuntergangsbild: Von den Nationalsozialisten in die innere Emigration gezwungen, lebt der als „entartet“ gebrandmarkte Maler Otto Dix (1891–1969) seit 1933 am äußersten südwestlichen Ende Nazi-Deutschlands. Er porträtiert sich 1942 in seinem Atelier in Hemmenhofen als sichtlich gealterten, gebrochen-grüblerischen, dabei aber weiter produktiven Künstler – private Aufträge halten den auch räumlich aus dem Zentrum seines Schaffens in Dresden u. a. wegen „Zersetzung des Wehrwillens“ vertriebenen Künstler über Wasser.
Der Krieg, den Dix in Erinnerung der eigenen Erlebnisse an der Front im Ersten Weltkrieg früher in einem umfangreichen druckgrafischen Zyklus, einem monumentalen Triptychon und martialischen Selbstporträts als Soldat in Szene setzte, taucht nun, in seinem Gemälde von 1942, nur noch hinter einem roten Vorhang in Form einer glühenden Vulkanlandschaft mit gewittrigen Wolken als apokalyptische Vision auf. Otto Dix′ Hauptwerk der Kriegsjahre, der Zeit der inneren Emigration, befand sich seit vielen Jahren als Leihgabe aus Privatbesitz im Kunstmuseum Stuttgart: Jetzt konnte das Meisterwerk mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Landeshauptstadt Stuttgart und der Wüstenrot Stiftung dauerhaft für die Sammlung angekauft werden.
Zeigt man im Stuttgarter Kunstmuseum den bedeutendsten geschlossenen Bestand an Dix′schen Werken weltweit, findet das nun erworbene Schlüsselwerk seit jeher dort auch seinen motivischen Gegenpol: Otto Dix′ „Selbstbildnis als Soldat“ von 1914. Wo im frühen Werk eine vorandrängende, expressive Figur als Naturgewalt mitten im Zentrum des Kriegs schockiert, präsentiert sich Dix fast dreißig Jahre später im wüst farbverschmierten Kittel als von den Geschehnissen beeindruckte, aber eigenständige Malerfigur. Die Augen fest zusammengekniffen und schwarz verschattet, meint man im nun mit der Palette als einziger Waffe ausgestatteten Künstler auch einen blinden Seher zu entdecken, der den Untergang Deutschlands bereits heraufziehen ahnt. Nicht zuletzt deshalb stellte Fritz Löffler, bedeutender Chronist Dresdner Kunstgeschichte, fest, dass das Bildnis „nicht nur zu den großartigsten Selbstbildnissen von Dix, sondern der Zeit überhaupt“ zu zählen ist.
Die Gefahr eines unersetzlichen Verlustes für die Stuttgarter Sammlung ist gebannt: Otto Dix′ Schlüsselbildnis aus der Spätphase seines Werks bleibt im Kunstmuseum Stuttgart, das seit 2013 auch das Hemmenhofener Wohnhaus des Künstlers am Bodensee als Museum Haus Dix betreibt, in dessen Atelier das Gemälde entstand.