Heckel im Doppel

Holzschnittartig durchwirken den Bildraum schwarze Umrisslinien: Den Stegen in der Holzplatte gleich, begrenzen sie die Formen von Figuren und Gegenständen und unterteilen markant die nebeneinander liegenden Zonen leuchtender Komplementärfarben. Das von ästhetischer Reduktion, flächigem, kontrastreichem Farbauftrag und Anklängen außereuropäischer Kunst bestimmte Gemälde „Atelierszene“ markiert einen Höhepunkt im expressionistischen Schaffen Erich Heckels (1883–1970).

In Dresden hatte sich der junge Architekturstudent 1905 mit seinen drei Kommilitonen Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl und Karl Schmidt-Rottluff zur Künstlergruppe „Die Brücke“ zusammengeschlossen. Mit dem Selbstverständnis der Bohemiens Leben und Arbeit unkonventionell miteinander verbindend, widersetzten sie sich mit ihren neuartigen Farb- und Formvorstellungen der tradierten akademischen Malweise. Insbesondere in ihren Ateliers in der Elbstadt frönten sie diesen Idealen: Hier versammelten sich die jungen „Brücke“-Maler häufig gemeinsam mit Freundinnen und Modellen und fingen in gelöster Atmosphäre Posen ein, die mit denen des vorherrschenden Kanons konsequent brachen. Heckels „Atelierszene“ hält eine dieser legendären Aktsitzungen fest, in der sich vier weibliche Modelle zwischen grünem Paravent und gelbem Vorhang im häufig frequentierten Wohnatelier Ernst Ludwig Kirchners tummeln.

Unter den Nationalsozialisten mit einem Ausstellungsverbot belegt und als „entartet“ diffamiert, wurden 1937 neben zahllosen weiteren Kunstwerken auch über 700 Arbeiten Erich Heckels aus deutschen Museen entfernt. Der Möglichkeit beraubt, seine avantgardistischen Leitgedanken weiterzuverfolgen, passte sich Heckel in seiner künstlerischen Praxis an: Um weiterhin malen zu können, entwickelte er einen zurückhaltenden Stil, der sich vom Expressiven der „Brücke“-Zeit klar unterschied. So arbeitete Heckel auch noch unter verschärften politischen Bedingungen und sogar während des Krieges. 1939 spannte er die bereits bemalte Leinwand der „Atelierszene“ um, überstrich die nun rückseitigen Aktdarstellungen und malte auf die neu entstandene Vorderseite das in matter, reduzierter Farbpalette gehaltene Gemälde „Steine“. Nach dem Tod des Künstlers gelangte das für diese spätere Werkperiode typische Stillleben aus dem Nachlass Heckels als Leihgabe nach Schloss Gottorf in Schleswig. Der damalige Direktor ließ 1986 die rückseitige „Atelierszene“ freilegen und die Leinwand erneut umspannen, sodass Heckels getilgtes Gemälde wieder zur Bildvorderseite avancierte.

In dieser Form befindet sich das wiederentdeckte Werk „Atelierszene“ seit 2009 als Dauerleihgabe im Albertinum / Galerie Neue Meister. Aus dem Nachlass Erich Heckels konnten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden das Werk nun mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Ostsächsischen Sparkasse Dresden erwerben. Die Sammlung, die 1937 ebenfalls von der Beschlagnahmungsaktion der Nationalsozialisten betroffen war und dabei u. a. ihre einzigen beiden Heckel-Gemälde verlor, kann durch den Ankauf des Werkes eine schmerzliche Lücke schließen: Während das beschlagnahmte Bild „Badende Männer“ von 1916 vor sechs Jahren zurückerworben werden konnte, verfügte Dresden als Gründungsort der „Brücke“ bisher weder über ein Werk aus dieser wichtigen Schaffensperiode Heckels noch aus der Blütephase der Künstlergruppe. Neben der Strahlkraft der „Atelierszene“ begründet auch der auf eine Leinwand gebannte Kontrast zwischen expressionistischer Vorderseite und zurückgenommener Rückseite die Bedeutung des Gemäldes.

Anlässlich der Erwerbung des Gemäldes gibt die Kulturstiftung der Länder zusammen mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ein Heft der Schriftenreihe Patrimonia mit dem Titel „Erich Heckel, Atelierszene, 1911, und Steine, 1939“ (Nr. 390)  heraus.