Hanseatische Haltung

Anfang 2013 konnte das Lübecker St. Annen-Museum mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder ein Porträt des Malers Jacob Claesz. van Utrecht erwerben. Die kleine, gegen 1520 entstandene Tafel wirkt auf den ersten Blick relativ unspektakulär. Sie zeigt die Halbfigur eines nach links gewandten, älteren Mannes vor unbestimmtem, dunklen Hintergrund. Gerade aufgerichtet, die Hände locker vor dem Bauch verschränkt, meint man in der Körperhaltung noch die Porträtsitzung herauszufühlen, ohne dass die Darstellung den Eindruck von Künstlichkeit hervorriefe. Das Bildnis strahlt eine große Würde aus, die sich in dem ungeschönten Verismus des Gesichtes konzentriert: Leicht unrasiert, von tiefen Falten durchzogen, mit einer auffallend großen Nase, die zu allem Überfluss auch noch von geplatzten Äderchen durchzogen ist. Diese Eigenarten werden so deutlich betont, dass die Darstellung fast wie eine Karikatur wirkt und man sich unwillkürlich fragt, ob der Aufraggeber überhaupt damit zufrieden gewesen sein konnte.

Ganz offensichtlich ja, denn das Porträt ist trotz seines hohen Alters hervorragend erhalten und muss demnach sehr sorgfältig aufbewahrt worden sein. Die ruhigen, völlig entspannten Gesichtszüge des Mannes zeigen deutlich, dass es nicht darum ging, hier jemanden vorzuführen. Es handelt sich vielmehr um die selbstbewusste Darstellung eines Menschen, der sich nicht über seine körperlichen Eigenheiten definieren musste. Innerhalb der Bildfläche nimmt die Darstellung der Kleidung einen großen Raum ein. Der Mann trägt eine pelzverbrämte Schaube mit einem großzügigen Muster aus Blumenvasen auf dem Samt. Das schwarze Wams darunter zeigt einen breiten Ausschnitt am Hals, unter dem ein weißes Hemd mit einer aufwändigen Goldstickerei am Kragen sichtbar wird. Das Barett ist mit Perlen besetzt. Alle Materialien werden in ihrer Stofflichkeit sorgfältig unterschieden. Der Maler verwendet große Mühe darauf, einen fast haptischen Eindruck zu erwecken, etwa die Weichheit des Pelzes gegen die anders geartete Weichheit des Samtes abzusetzen. Mit dieser Detailtreue wird die Kleidung trotz ihrer zurückhaltenden Farbigkeit als äußerst kostspielig gekennzeichnet – ebenso wie das Bildnis in seiner malerischen Qualität. Der Dargestellte muss zu einer höheren Gesellschaftsschicht gehört haben, auf die auch das große Wappen neben seinem Gesicht verweist. Hier wird aber nicht allein ein selbstbewusster, anscheinend sehr erfolgreicher Mensch dargestellt. Unscheinbar, aber bewusst in den Kreuzungspunkt von Schaubenkragen und Fingern gesetzt, hält der Dargestellte ein kleines Veilchen in seiner linken Hand, das in der christlichen Ikonographie als Zeichen der Demut gilt. Trotz, oder gerade wegen seiner gesellschaftlichen Stellung präsentiert sich der Dargestellte also als demütiger Mensch, auch wenn dieses Motiv gegenüber den Zeichen gesellschaftlicher Repräsentation deutlich in den Hintergrund gerückt erscheint.

Jacob Claesz. van Utrecht, Porträt des Kaufmanns Mathias Mulich, 1522, 42,4×29,6 cm; St. Annen-Museum, Lübeck
Jacob Claesz. van Utrecht, Porträt des Kaufmanns Mathias Mulich, 1522, 42,4×29,6 cm; St. Annen-Museum, Lübeck

Bei dem Bildnis handelt es sich um ein Porträt des Lübecker Kaufmanns Mathias Mulich, eines gebürtigen Nürnbergers, dessen Vater bereits in der Mitte des 15.Jahrhunderts gute Handelsbeziehungen zu Lübeck unterhielt. Die hohe Wertschätzung seiner Tätigkeit äußerte sich 1470 in der ungewöhnlichen Verleihung eines Wappens durch Kaiser Friedrich III. Als Schildfigur diente ein fackeltragender Schwarzer, der auf dem Bildnis nicht nur auf dem zentralen Schild, sondern auch als Helmzier darüber gezeigt wird. Mathias Mulich erlangte erst 1514 die Lübecker Bürgerschaft, stieg aber sehr bald in die höchsten Gesellschaftskreise auf. Schon im darauffolgenden Jahr wurde er in die exklusive Zirkelgesellschaft aufgenommen und heiratete die Tochter des Bürgermeisters Hartwig von Stiten, Katharina.

In Lübeck war Mathias Mulich hauptsächlich mit dem Handel von Luxusgütern wie Tüchern, Gewürzen oder Silbergeschirr beschäftigt. Zu seinen wichtigsten Kunden – und Schuldnern – gehörten die dänischen Könige Hans und Christian II. Nach dem frühen Tod seiner Frau heiratete Mulich 1518 ein zweites Mal, die Tochter des Lübecker Kaufmanns Frederick Kortsack, die gleichfalls Katharina hieß. Zu ihrer Familie muss Mulich ein besonders enges Verhältnis gehabt haben, da deren Wappen nicht nur rechts neben demjenigen seiner ersten Frau dargestellt wird, sondern auch als Anhänger an seiner auffallend prachtvollen Kette diente. Bei seinem eigenen Tod im Jahre 1528 dürfte Mulich zu den reichsten Bürgern von Lübeck gehört haben.

Diese biographischen Details werfen ein bezeichnendes Licht auf das Bildnis. Es stammt von Jacob Claesz. van Utrecht, einem um 1515 aus den Niederlanden in die Hansestadt eingewanderten Maler, der seine Porträts mit IACOBVS TRAIECTENSIS zu signieren pflegte, in diesem Fall in der oberen linken Ecke der Tafel. Die Tatsache, dass sich ein von auswärts stammender Maler mit einer Werkstatt in Lübeck etablieren konnte, ist Anfang des 16. Jahrhunderts höchst erstaunlich. Damals war die Hansestadt von Künstlern geradezu überfüllt und der Konkurrenzdruck so hoch, dass viele von ihnen zum Auswandern gezwungen waren. Jacob Claesz. scheint jedoch über gute Kontakte verfügt zu haben, da er bereits 1518 in die Lübecker Leonhardsbruderschaft aufgenommen wurde, eine Kaufmannsbruderschaft, in der sich insbesondere süddeutsche Kaufleute zusammenfanden, die in der Hansestadt tätig waren. Zu ihnen gehörte nicht nur Mathias Mulich, sondern auch ein Großteil der anderen von dem Maler porträtierten Händler. Seine Auftraggeber stammten demnach aus einem relativ kleinen Kreis eng miteinander verbundener Leute, die, wie der Maler, größtenteils nicht aus der Hansestadt kamen. In Lübeck war die Porträtmalerei bis ins frühe 16. Jahrhundert hinein so gut wie unbekannt und es scheint mehr als bezeichnend, dass gerade ein von außen stammender Kreis von Auftraggebern als Motor dafür auftrat. Dennoch scheint Jacob Claesz. nur eine kleine Werkstatt in Lübeck geleitet zu haben. Den größten Teil der von ihm überlieferten Werke nehmen die Porträts ein. Die wenigen der von ihm angefertigten Altaraufsätze waren fast ausschließlich private Aufträge von kleinem Format, in denen die porträtähnliche Darstellung der Stifter einen bezeichnend großen Raum einnimmt.

Jacob Claesz. wurde in Utrecht geboren und scheint nach seiner Ausbildung dort für längere Zeit gearbeitet zu haben. Die Kunstgeschichte zählt ihn zum Kreis der sogenannten Antwerpener Manieristen, einer auf die Stadt an der Schelde konzentrierten Stilrichtung, die italienische Renaissanceeinflüsse in eigenwilliger Weise mit niederländischen Elementen verknüpfte. Typisch für Jacob Claesz. ist die versatzstückartige Verwendung graphischer Vorlagen, insbesondere von Albrecht Dürer. Im Fall des Mulich-Porträts dürfte allerdings auch der Auftraggeber einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Gestaltung gehabt haben. Sein Bildnis ähnelt in auffallender Weise einem von Dürer angefertigten Porträt von Kaiser Maximilian, das als Holzschnitt damals weite Verbreitung fand. Mulich dürfte dieses Porträt als gebürtiger Nürnberger sicherlich gekannt haben, und er stellte sich damit in eine Darstellungstradition, die auf allerhöchste Kreise verwies. Für Lübeck war dies geradezu revolutionär.