Hamburg im Glas

Von seinem leicht ansteigenden Fuß über einen wabenförmig facettierten Schaft und einen von Rundscheiben gehaltenen Knauf bis zur glockenförmig gebauchten Kuppa und ihrem hochgewölbten Knaufdeckel misst er stattliche 54 cm. Amethystfarben changiert der gläserne Pokal, neben Zungenschliff, Kerbschnitt, Facetten und Ranken zieren fein geschnittene Zeichnungen seine Wandungen: Das große Hamburger Stadtwappen prangt auf mattiertem Grund, begleitet von Helm und Standarten und zwei Löwen als Schildhaltern. Dazu gesellen sich in einem Rundmedaillon die detaillierte Ansicht der Hansestadt aus Vogelperspektive sowie, in einem weiteren Rundmedaillon umrankt von lateinischen Inschriften, die allegorische Darstellung des Gottes Merkur: In einer Rüstung mit Hamburger Stadtwappen steht der riesenhafte Patron des Handels über der Elbe, den einen Fuß auf einem Schiffsrumpf und den anderen auf einem Felsen. Die Motive der Medaillons rekurrieren auf die prächtige Barock-Medaille des Goldschmieds Sebastian Dadler, die er im Auftrag der Hansestadt im Jahre 1636 anfertigte. Mit seinen auf die Elbstadt bezogenen Bildmotiven präsentiert sich der unikale Glaspokal ebenfalls als meisterlich gefertigte Hamburgensie, die nicht nur aufgrund des Ausmaßes ihresgleichen sucht.

Dass der Deckelpokal seinen Urheber nicht eindeutig preisgibt, liegt in der Natur der barocken Glaskunst, deren einzelne Erzeugnisse fast nie mit Marken oder Signaturen des Herstellers versehen worden sind. Dank seiner ausgewogen proportionierten Erscheinung, der besonderen Form des „Korbs“ – des bauchigen Ansatzes der Trinkschale – und des Wabenschliffs offenbart das Prunkstück immerhin dem Expertenauge seinen sächsischen Ursprung: Größe, Qualität und Gestaltung legen die Königliche Glashütte Dresden nahe, insbesondere den zwischen 1701 und 1726 dort tätigen Glasschneider Heinrich Volckert. Diese zeitliche Einordnung gepaart mit der so deutlich auf Hamburg bezogenen repräsentativen Ikonographie des Pokals deutet auf den sogenannten Hauptrezess von 1712 als Entstehungshintergrund hin: Wegen eines Konflikts zwischen Senat und Bürgerschaft schwelten und entbrannten in Hamburg seit Ende des 17. Jahrhunderts immer wieder politische Machtkämpfe. Die unter Vermittlung der kaiserlichen Kommission festgelegten Punkte des Rezesses beendeten die internen Querelen und sicherten, einer Verfassung gleich, die politische Ordnung. Für Hamburg begann eine Blütezeit des Friedens und der wirtschaftlichen Prosperität, die das städtische Selbstbewusstsein prägen sollte und die dem aufwändigen Bildprogramm des Pokals zugrunde liegt. Das prunkvolle Gefäß diente mit seinen repräsentativen Darstellungen und Inschriften höchstwahrscheinlich als „Willkomm“ bei zeremoniellen und politische Anlässen: Das Gemeinwesen ehrend und den Handel beschwörend, fungierten die in der Pokalwandung eingeschnittenen Devisen wie beispielsweise „Gieb Frieden Herr, in unseren Tagen“ als wirkmächtige Trinksprüche zur Bekräftigung politischer Absichten.

Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Friederike und Werner Jahn Stiftung sowie der Hubertus Wald Stiftung gelangt das wohl in Dresden maßgeschneiderte Hamburger Prunkstück nun an seinen idealen Ausstellungsort: Im Museum für Hamburgische Geschichte zeugt der gläserne Deckelpokal künftig in der neukonzipierten Sammlungspräsentation von Hamburgs reicher Kulturgeschichte und städtischen Selbstdarstellung, aber auch von glaskünstlerischer Finesse mit überregionaler Strahlkraft.