Gothas Gold und Silber
Als der sprichwörtlich reiche Lyderkönig Krösos im 7. Jahrhundert v. Chr. die ersten Münzen prägen ließ, schlug mit ihnen zugleich die Geburtsstunde des ältesten und bis heute begehrtesten Massenmediums: Das Geld eroberte die Welt. Numismatische Museen – gemeinhin Münzkabinette genannt – sind Schatzkammern alten wie neuen Geldes und bilden durch die Avers- und Reversgestaltungen der Münzen und seit der Renaissance auch der Medaillen eine Art Chronik und kulturelles Gedächtnis der letzten 2.600 Jahre. Kaiser und Könige, aber auch kleinere Potentaten legten seit der Renaissance Münzsammlungen an – zunächst als Teil der Kunst- und Wunderkammern in ihren Residenzschlössern – und demonstrierten mit kostbaren und seltenen Münzen und Medaillen ihren bis auf die Antike verweisenden Legitimationsanspruch; sie sahen sich quasi als Gleiche unter Gleichen. Zugleich repräsentierten sie mit der Münze und Medaille die Vorstellung von Universalität, eines „macrocosmos in microcosmo“: Die große und weite Welt wurde „zu Hause“ versammelt und im Kleinen geeint.
Ein solches fürstliches Münzkabinett befindet sich seit dem 17. Jahrhundert auf Schloss Friedenstein in Gotha, gelegen an einer imaginären West-Ostachse Paris und Sankt Petersburg und einer Nord-Südachse zwischen Berlin und Wien; es sind dies zugleich Metropolen mit ungemein reichen numismatischen Universalsammlungen. Herzog Friedrich II. (1691–1732) von Sachsen-Gotha-Altenburg krönte sein „Universum des Barock“ im Jahre 1712 mit einer einzigartigen Erwerbung. Er kaufte zu vorhandenen Beständen die damals europaweit wegen ihrer Raritäten in Gold und Silber gerühmte Münzsammlung des in finanzieller Verlegenheit steckenden Schwarzburg-Arnstädter Fürsten Anton Günther II. (1666–1716). Unmittelbar darauf erließ Friedrich II. einen Fideikommiss, der seine Nachfahren verpflichtete, den Münzschatz – die „Gotha Numaria“ – zu pflegen und zu bewahren, und darauf zu achten, die Sammlung keinesfalls „zu distrahieren (oder gar) zu veralienieren“. Im Ostflügel des monumentalen Residenzschlosses stattete er einen Raum als Kulisse für seine Münzschätze mit einer prachtvollen Dekoration aus. Umgeben von allegorischen Decken- und Wandmalereien stehen vierzehn intarsierte Münzschränkchen auf Bibliotheksunterbauten für kostbar gebundene Folianten. Dazwischen vollenden zwölf vergoldete Büsten von Caesar und Augustus bis zu Domitian, den römischen Kaisern der Julisch-Claudischen und Flavischen Dynastie, die beeindruckende Komposition. Der Raum präsentiert sich heute noch in originaler, nach Restaurierungen seit den 1980er Jahren wiedererstandener Schönheit. Der bekannte Reiseschriftsteller des 18. Jahrhunderts, Johann Georg Keyssler (1693–1743) rühmte im Jahre 1741 das Gothaer Kabinett als eines „der vornehmsten in der Welt und in vollkommener Einrichtung“.
Mit dem Zweiten Weltkrieg schien eine 300-jährige numismatische Prosperität auf Schloss Friedenstein in Gotha zu enden, denn nach dem 8. Mai 1945 begann für Jahrzehnte eine Odyssee der Münzschätze in verschiedene Richtungen: Rund 100.000 Münzen und Medaillen – der zahlenmäßig größte Teil des Münzkabinetts – wurden von der Roten Armee beschlagnahmt und als kulturelle „Reparationsleistung“ in die Sowjetunion verbracht. Sie verblieben dort bis zu ihrer Rückgabe Ende der 1950er Jahre. Ein kleinerer, ca. 16.000 Münzen und Medaillen umfassender Bestand mit den größten numismatischen Raritäten und künstlerischen Kostbarkeiten in Gold, Silber und Bronze von der Antike bis zum 20. Jahrhundert wurde zuvor nach Coburg in den Besitz des ehemaligen Herzoghauses verbracht. Der größte Teil der Münzen hat die Zeit in Coburg wohlverwahrt überdauert.
Als dem Verfasser Wolfgang Steguweit erstmals im Jahre 2007 für Gutachten die Bestände in Coburg vorgelegt wurden, entdeckte er nahezu alle Kostbarkeiten wieder, die er in den 1970er und 80er Jahren in Gotha während seiner Betreuung des Münzkabinetts bei Recherchen immer wieder als „Verlust 1945“ zu beklagen hatte. 300 Jahre nach dem Fideikommiss von 1712 kann nun an das Vermächtnis des bedeutendsten Thüringer Barockfürsten, Herzog Friedrich II., wieder angeknüpft werden. Die Rückkehr des nach Coburg verbrachten Münzschatzes soll 2012 in der Ausstellung „Gothas Gold – Thüringens Glanz“ gefeiert werden, die das Münzkabinett und seine Geschichte vorstellt.
Natürlich unterstützt die Kulturstiftung der Länder diese Ausstellung. Schließlich engagiert sie sich schon seit 1994 laufend in Gotha: Die historischen Sammlungen des Kartenverlags Perthes konnten in der Stadt gehalten werden und erinnern an die zahlreichen Forschungsreisen, mit denen es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gelang, die letzten weißen Flecken von den Weltkarten zu tilgen. Stielers Handatlas, der bedeutendste topographische Atlas der Moderne, zeichnete von Gotha aus ein Bild der Welt. In Schloss Friedenstein konnte die Kulturstiftung mehrfach beim Ankauf von in der Kriegs- und Nachkriegszeit verschwundenen Zimelien, aber auch bei der Dokumentation und der Erschließung der einzigartigen Bestände helfen. Über die Jahre erhielt das „Barocke Universum“, die ehemalige Sammlung des Residenzschlosses Friedenstein wieder steten Zuwachs: Zwei Emailbecher des Augsburger Goldschmieds Elias Adam, wertvolle Roentgen-Möbel – eine Kommode, zwei reich intarsierte Eckschränkchen und eine Standuhr – , eine Elfenbeinstatuette des reitenden Kurfürsten August des Starken oder ein Trinkgeschirr in Form eines indischen Elefanten fanden so ihren Weg zurück in das Residenzschloss. Zahlreiche Restaurierungen wurden zudem durch den Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder ermöglicht. Bereits 2001 gelang es, sechs Goldmünzen aus dem nach Coburg verbrachten Bestand, allesamt Schau- oder Repräsentationsstücke von großer Seltenheit, vor einer Auktion zu erwerben.
Die Sorge vor einer Zersplitterung des Coburger Bestandes führte dann 2006 zu seiner Eintragung in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts. Seine Rückerwerbung bildet nun einen krönenden Höhepunkt der Aktivitäten für Gotha. Während der über drei Jahre andauernden Verhandlungen mit der Herzog von Sachsen Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft, die die Kulturstiftung der Länder im Auftrag des Landes Thüringen führte, ging es zunächst darum, einen angemessenen Preis für die ca. 16.000 Münzen zu bestimmen. Drei Gutachter waren mehrere Wochen damit beschäftigt, die antiken – griechische, römische und keltische –, mittelalterlichen und neuzeitlichen Münzen und Medaillen aus Bronze, Silber und Gold zu sichten, zu bestimmen und einzuschätzen. Trotz des hohen Marktwerts war allen Beteiligten klar: Die in mehr als 250 Jahren entstandene, mit Gotha eng verknüpfte Sammlung durfte nicht zerschlagen werden und sollte als Ganzes nach Schloss Friedenstein zurückkehren.
Für einen Ankauf dieser Größenordnung waren das Land Thüringen, der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Bernd Neumann und die Kulturstiftung der Länder die natürlichen Partner der Stiftung Schloss Friedenstein. Das Land nahm diese einzigartige Chance entschlossen wahr. Dennoch war an einen Ankauf erst zu denken, nachdem die Herzogliche Kunststiftung einen weiteren Preisnachlass anbot, die Ernst von Siemens Kunststiftung eine langfristige Vorfinanzierung ermöglichte und zwei Mäzene – die Münzsammler Fritz Rudolf Künker und Friedrich Popken – mit ihren Spenden eine Finanzierungslücke schlossen. Ihnen allen gebührt großer Dank für ihr großherziges Engagement.
Der gesamte Münzschatz ist inzwischen heimgekehrt nach Gotha, wird dort bearbeitet und präsentiert. Ein kleiner Teil allerdings vorerst nur als Leihgabe der Herzoglichen Kunststiftung. Der Rückkauf dieser letzten 343 antiken Goldmünzen muss innerhalb der nächsten Jahre erst noch finanziert werden.