Gelehrter Maler – gelehrtes Publikum 

Venus und Jupiter betrachten die Gesellen des Schmiedegottes Vulkan bei der Arbeit, Chronos, Herrscher der Zeit, wendet sich der auf Wolken thronenden Juno zu, die Erdmutter Cybele säugt am Boden sitzend ein Kind, umgeben von den reichen Gaben von Äckern und Gärten, und Neptun erreicht mit seiner Gemahlin Amphitrite eine felsgesäumte Küste: Reich ausgebildete Figurengruppen mit vielfältigen Attributen bevölkern in Johann Heiss’ (1640–1704) Gemäldezyklus der „Vier Elemente“ eine flache Bildbühne, auf der die Personifikationen der Elemente Feuer, Luft, Erde und Wasser dem Betrachter in Nahsicht gegenübertreten. Großformatig angelegt, scheint der im Element „Luft“ signierte und 1690 datierte Zyklus wie geschaffen für die Gemäldegalerie eines privaten Sammlers mit Sinn für komplexe Bildprogramme.

Heiss’ Auftraggeber ist nicht überliefert, aber es lässt sich annehmen, dass der Maler das anspruchsvolle Werk nicht ohne die Sicherheit eines jener Abnehmer aus adeligen, aber zunehmend auch bürgerlichen Kreisen in Angriff genommen hätte, die nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges mit ihren Ankäufen dafür sorgten, dass Augsburg als Handelsplatz für Kunst, Kunsthandwerk und Graphik ein Zentrum künstlerischer Ideen blieb. Die Gemälde aus Johann Heiss’ Werkstatt gelangten auf diese Weise bis nach Böhmen und Mähren; in Norddeutschland hat Peter Königfeld, der Autor des Werkverzeichnisses, eine Gruppe von Bildern in den ehemaligen Sammlungen von Salzdahlum, dem Lustschloss Herzog Anton Ulrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel (1633–1714) nachgewiesen.

Die Personifikationen, welche antike Gottheiten im Historiengemälde in allegorische Repräsentanten von Elementen oder Jahreszeiten verwandeln, waren dem Publikum des 17. Jahrhunderts ein Begriff, oder man unterstellt zumindest, dass dies so war. Dass der von Malern wie Johann Heiss aufgerufene visuelle Bildungshorizont nicht notwendig allen Betrachtern zugänglich war, zeigt ein amüsanter Archivfund Königfelds. 1684 heißt es im Inventar der aus dem herzoglichen Kabinett in Stuttgart an die neue Kunstkammer überwiesenen Objekte von einer Darstellung des „Triumph des Bacchus“: „Eine große Satirey vom heißen zu Memmingen / gemählt mit tanzenden Kindern“. Aufklärung versprachen Schriften wie die 1704 in Hamburg erschienene Publikation „Die geöffneten Raritäten- und Naturalien-Kammern“, „worinnen der galanten Jugend, anderen Curieusen und Reisenden gewiesen wird, wie sie Galerien, Kunst- und Raritäten-Kammern mit Nutzen besehen und davon raisonieren sollen“.

Der im schwäbischen Memmingen geborene Heiss war in den 1660er Jahren am Hof des württembergischen Herzogs Eberhard III. in Stuttgart tätig, bevor er sich nach einem Umweg über seine Heimatstadt 1677 endgültig in Augsburg niederließ. Man hat sich den Künstler zu diesem Zeitpunkt wohl als einen vielseitig interessierten, mit dem Humanismus seiner Zeit vertrauten und gut vernetzten Mann vorzustellen. Augsburg war in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Zentrum der graphischen Künste, und die zahlreichen Hinweise in seinen Bildern auf künstlerische Vorbilder, wie sie damals im Medium der Graphik vervielfältigt und verbreitet wurden, sind ein Spiegel des Bilderschatzes, der Heiss zur Verfügung stand. Aber neben den – bis heute – vor allem für Kenner zu identifizierenden Bildquellen gibt es künstlerische Einflüsse auf Heiss’ Werk, die über Anleihen aus der Graphik hinausgehen. Die historischen Quellen geben keine Auskunft darüber, ob Heiss jemals über die Grenzen von Memmingen, Augsburg und Umgebung hinausgekommen ist und zu welchen Kunstsammlungen seiner Zeit er Zugang hatte, aber es lässt sich mit einigem Recht über eine Reise nach Italien spekulieren. Dort hätte Heiss die Werke der venezianischen Malerei im Original studieren können, ebenso wie die Gemälde Nicolas Poussins (1594–1665), der jahrzehntelang in Rom gearbeitet hatte. Seine Farbigkeit hinterließ wie die Tizians und Tintorettos ihre Spuren in Heiss‘ Bildern. Dass die Bedeutung Poussins für seine Bilderfindungen bereits früh wahrgenommen wurde, zeigt ein Zitat des Berliner Unternehmers, Kunsthändlers und -sammlers Johann Ernst Gotzkowsky (1710–1775), der 1759 ein Gemälde von Heiss wie folgt anbot: „Mars und Venus, ganze Figuren, auf Leinwand gemalt. Dieses Bild ist so schön als von Poussin.“

Kunst kommt im Falle Heiss ganz exemplarisch von Kunst, und bei allem gelehrten barocken Klassizismus fällt in seinen Gemälden eine Art bodenständige Erzählfreude auf: Die Körper seiner Götter sind zwar nackt, aber nur bedingt ideal, und man ist versucht, von Allegorien im Gewand der niederländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts zu sprechen. Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder aus Privatbesitz für die Barockgalerie im Stadtmuseum Memmingen angekauft, ergänzt der Elemente-Zyklus auf exemplarische Weise eine frühere Förderung für die Sammlungen von Werken Johann Heiss’ in seiner Heimatstadt, den 1676 entstandenen Zyklus der „Vier Jahreszeiten“.