Geheimnisvolle Madonna

Das geheimnisumwitterte Stein-Rezept des unbekannten mittelalterlichen Bildhauers stellt die Münchner Forscher vor Rätsel – was mischte der Steinmetz in seiner Werkstatt um 1390/1400 wohl zusammen, um sein Material zu erzeugen und damit sein eindringliches Bildnis der Madonna zu formen? Weltweit findet sich kein Werk in ähnlich kunstvoller Ausfertigung aus Gussstein. An der Technischen Universität München ist man derzeit bemüht, den stofflichen Zutaten der „Thronenden Madonna mit Kind“ auf die Spur zu kommen. Doch noch weitere Details werfen bei Kunsthistorikern Fragen auf: Entgegen der bildhauerischen Tradition bedeckt kein Schleier die langen Locken der ungewöhnlich mädchenhaften Maria mit geröteten Wangen. Trug sie ursprünglich eine Krone, um der damals üblichen Darstellung der Maria als Himmelskönigin zu genügen? Zwar sitzt die Madonna noch recht statisch, aber gar nicht steif auf ihrem mit Blendarkaden verzierten Thron, offen wendet sie sich dem Betrachter zu.

Thronende Madonna mit Kind, 1390/1400, Gussstein mit Farbresten, 72 x 41,5 x 31 cm; © Bayerisches Nationalmuseum, München
Thronende Madonna mit Kind, 1390/1400, Gussstein mit Farbresten, 72 x 41,5 x 31 cm; © Bayerisches Nationalmuseum, München

Nur für ein kurzes Zeitfenster eröffneten sich für die Bildhauer im sogenannten Schönen Stil – einer Spielart der Gotik – völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten: Zarte Züge statt repräsentativer Miene, die hohe höfische Stirn öffnet das Gesicht, Liebhaber schwärmen von den in kunstvoller Drapierung weich fließenden Falten der Gewänder. In der kaiserlichen Residenz des Prager Hofes wurde dieser neue Stil geboren, rasend schnell verbreitete sich durch Kunstimporte und Wanderkünstler die raffinierte, neuartige Bildniskunst in die Ferne, so auch ins Salzburger Land oder in die Steiermark. Denn auch über ihren tatsächlichen Entstehungsort streiten noch die Forscher. Unbestritten ist jedoch: Die jetzt erworbene, thronende Madonna darf zu den besten Werken der Schönen-Stil-Rezeption gezählt werden.

Seit über 30 Jahren ist die 72 cm hohe Gussstein-Madonna schon als Leihgabe in bester Gesellschaft im Bayerischen Nationalmuseum in München zu bewundern. Ihr zur Seite stehen die Muttergottes mit Jesuskind aus dem Kloster Seeon und das Prager Vesperbild. Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und des Freundeskreises des Bayerischen Nationalmuseums kann nun dies einzigartige Ensemble Schöner Madonnen, das von der frommen Verehrung Marias als gnadenvoller Mittlerin zwischen Menschen und Gott zeugt, bewahrt werden.