Gefährdeter Antikensaal
Ein vergreister Professor im dunklen Frack wacht als einziger über den Antikensaal der Akademie der Künste. In gebückter Haltung und auf einen Gehstock gestützt, wendet er sich dem Betrachter zu – den gelüfteten Zylinder hält er in seiner linken Hand. Diesen Tribut zollt der hochbetagte Lehrer den schon recht angeschlagenen Skulpturen, die Felix Nussbaums Gemälde „Antikensaal“ bevölkern. Im trostlosen und fast menschenleeren Saal praktisch und sprichwörtlich auf hohe Sockel gestellt, stehen sie für ein althergebrachtes Ideal der Künstlerbildung. Durch die Fensterarkaden am Ende der Raumflucht blickt man auf eine Häuserzeile Berlins, jenen Schauplatz, den sich Felix Nussbaum für sein satirisches Bild ausgesucht hat.
Berlin ist in den 1920er Jahren eine pulsierende Metropole mit hoher Anziehungskraft für junge Künstler – auch für den aus Osnabrück stammenden Maler Felix Nussbaum. Die Preußische Akademie der Künste unter ihrem Präsidenten Max Liebermann erschien Nussbaum wohl als Hort der Tradition; er selbst schloss 1930 sein Kunststudium an den progressiven „Vereinigten Staatsschulen für freie und Angewandte Kunst“ am Berliner Steinplatz ab.
Im selben Jahr entstand sein Gemälde „Antikensaal“: Zentrales Thema des Bildes ist die Verhöhnung eines rückwärtsgewandten Akademismus und einer Idealvorstellung der griechisch-römischen Antike, deren Studium eine Pflichtübung für jeden angehenden Künstler darstellte. Nussbaum karikiert den Generationenkonflikt mit beißendem Spott und zitiert in den vier Aktfiguren, die den Saal bevölkern, mindestens eine existierende antike Skulptur: Der auf seine Keule gestützte Herkules Farnese (Archäologisches Nationalmuseum, Neapel) ist eine berühmte Antike, sie wurde schon in Goethes „Italienischer Reise“ erwähnt und gehörte als Gipsabguss in jede Kunstakademie.
Die ironisch-humorvolle Herangehensweise an das aktuelle Thema ist typisch für den jungen Maler, der mit seinen Gemälden schon früh große Erfolge feiern konnte. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde dem Künstler jedoch seine jüdische Herkunft zum Verhängnis. Nach seinem künstlerischen Durchbruch mit dem – ebenfalls anti-akademischen – Gemälde „Der tolle Platz“ von 1931 (Berlinische Galerie, Berlin) ermöglichte ein Villa Massimo-Stipendium Nussbaum 1932/33 einen Aufenthalt in Rom, von dem er nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte: Die Stationen seiner Emigration waren nach Italien Frankreich und Belgien. Aber auch im Exil in Brüssel war Nussbaum nicht in Sicherheit: Am 20. Juni 1944 wird er mit seiner Frau Felka Platek nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Felix Nussbaum schildert in seinen Bildern aus der Zeit des Exils auf eindringliche Weise Leid und Vernichtung der Juden in Europa und den persönlichen – und zuletzt vergeblichen – Überlebenskampf in einer immer bedrohlicher werdenden Welt. Für ihn wurde in seiner aussichtslosen Situation Malerei zur Widerstandshandlung, da sie ihm seine menschliche Würde erhielt und ihm lange Zeit die Kraft zum Überleben gab. Er war Protokollant dieser Zeit und wurde ihr Opfer.
Einzigartiger Ausstellungsort der Werke ist das 1998 vom amerikanischen Architekten Daniel Libeskind entworfene Museum in Osnabrück. Das Konzept des Hauses schafft einen räumlichen Kontext, in dem die tragische Verknüpfung von Leben und Schaffen des in dieser Stadt geborenen Künstlers zum alles bestimmenden Eindruck wird. Das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück hat es sich zur Aufgabe gemacht, das historisch und künstlerisch wertvolle Erbe Felix Nussbaums zu bewahren und der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Das Bild „Antikensaal“ ist ein Beispiel aus der weit weniger bekannten frühen Schaffensphase des Malers, deren Werke teilweise heute nicht mehr existent sind. Die Restaurierung der zahlreichen Malschichtablösungen auf der gesamten Bildoberfläche sowie eine Firnisabnahme sind notwendig, um dieses außergewöhnliche Gemälde Felix Nussbaums für die künftigen Generationen zu erhalten. Mit Hilfe der Arsprototo-Leser hoffen wir, das Kunstwerk restaurieren zu können und der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, ganz nach dem Wunsch des Malers: „Auch wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben, zeigt sie den Menschen!“