Gemälde zeigt geschlachteten Ochsen, hängend
RESTAURIERUNG / BAYERN

Frische Ansichten

Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg konnte Lovis Corinths Gemälde „Geschlachteter Ochse“ restaurieren / Mona Stocker

„Morbide Einsichten“ versprach ein Artikel in der Ausgabe 1/2020 von Arsprototo, verbunden mit der Bitte, die Restaurierung des Gemäldes „Geschlachteter Ochse“ von Lovis Corinth (1858 – 1925) sowie des zugehörigen originalen Bilderrahmens im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg zu unterstützen. Die Leserinnen und Leser sind dem Aufruf großzügig gefolgt und haben mit ihrer Spende von 3.800 Euro, zu der das Kunstforum aus eigenem Etat weitere 1.000 Euro bereitstellen konnte, die Erhaltungsmaßnahmen ermöglicht. Dafür ein herzliches Dankeschön!

Ein frisch geschlachteter Ochse ist im Schlachthaus mit den Hinterläufen an einer Querstange aufgespießt. Mit dieser hängt er an einem Flaschenzug wie aus dem Nichts in den unteren Bildraum, in dessen vorderste Bildebene drängend. Die geöffnete Haut ist bis zum Rücken des Tieres abgezogen und hinterfängt es wie ein Mantel. Die Vorderläufe ragen gekappt nach außen, der Kopf ist abgeschlagen, aus dem Hals fließt Blut nach rechts weg auf den Boden. Zwei weitere Tier­kadaver sind an der Wand rechts hinter dem Ochsen festgemacht, während links im Dämmer ein Arbeiter, versunken in sein Tun, dabei ist, die Szenerie zu verlassen.

Unmittelbar vor dem Gemälde „Geschlachteter Ochse“ stehend, wird man regelrecht aufgesogen von der wilden Farborgie, die sich auf der Oberfläche der Leinwand abspielt. Mit breitem Pinsel, voll beladen mit Farben, auf der Palette nur leicht vermischt, hat Lovis Corinth den Tierkörper in roten, weißen und grünen Tönen aus der Malmaterie heraus auf der Leinwand regelrecht nacherschaffen. Die Pinselstriche folgen den Eigenheiten und Erfordernissen der Gegenständlichkeiten: Krustige Schollen modellieren plastisch die Wölbungen des Leibes, lange Strichbahnen laufen die herabhängende Epidermis entlang und verstärken den massiven Zug nach unten, der durch die Leere der Deckenpartie noch drängender wird. Auch die Arme des Fleischers, die in ihrem Ton mit der Ochsenhaut korrespondieren, werden von der gehaltenen schweren Schlachtschüssel nach unten gedehnt. Der Inhalt der Schüssel ist materiell kaum auszumachen, er scheint nur aus satter Farbe mit beherrschendem, intensivem Rot zu ­bestehen, das herausblitzt und mit dem ausrinnenden Blut des Ochsen übereinstimmt, dabei die subtilen Farbverwebungen in der Bildfläche erzeugend, die typisch für Corinth sind.

Es wird schnell nachvollziehbar, was Corinth an dem delikaten Sujet der Schlachterei gereizt hat, das er mehr als ein Dutzend mal variiert hat. Hier konnte er Naturbeobachtung praktizieren und zugleich reine Malerei betreiben. Rembrandt war eines seiner künstlerischen Vorbilder. Dessen Werk „Le Bœuf écorché“ („Der geschlachtete Ochse“) aus dem Jahr 1655 im Louvre hat Corinth mit Sicherheit ­während seiner Studienjahre in Paris 1884 – 1887 sehr genau zur Kenntnis genommen. Aber Corinth kannte das Metier nicht nur aus der Kunstgeschichte. Als Sohn eines Gerbers war er in einem Handwerksbetrieb aufgewachsen, in dem der Umgang mit toten Tieren zum Alltag gehörte. „Vom Lande kamen die Bauern, Felle entweder zu verkaufen oder ausarbeiten zu lassen“, heißt es in Corinths Erinnerungen, „namentlich mit den Fleischern standen wir in gegenseitiger, bester Geschäftsverbindung.“ Sein Geburtshaus im ostpreußischen Tapiau (heute Gwardeisk, Russland), in dem er zwischen den Werkstätten und den Lohgruben aufwuchs, hielt er bei einem Besuch 1910 in einer farbigen Kreidezeichnung fest.

Das Schlachthaus auf Corinths Gemälde erscheint als gewöhnlicher Ort, an dem beiläufig das Tagewerk verrichtet wird. Allerdings war es auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht ohne Weiteres möglich, in einer Schlachterei seine Staffelei aufzustellen und zu malen. Eine Aufschrift im Bild oben rechts verrät mehr über die historischen Hintergründe: „Lovis Corinth Blankenburg i. H. 1905“. In Blankenburg im Harz lebte Corinths Schüler und Malerfreund Rudolf Sieger (1867 – 1925), der die Sitzung im lokalen Schlachthaus auf Wunsch seines ehemaligen Lehrers arrangierte.

„Zartbesaitete Menschen wenden sich mit Entsetzen hinweg, Maler jubeln“, charakterisierte der Kunstkritiker Julius Meier-Graefe 1927 die ambivalenten Reaktionen auf die bisweilen drastische Motivwahl und den gerne martialisch ausfallenden Malakt Corinths. Unter dessen Hand jedoch verwandelte sich das Brutale und Heftige in pure Schönheit. Selbst im Grausam-Morbiden das visuell Faszinierende herauszukristallisieren, hat mit Corinths Verständnis und Gefühl für die Qualität und Sensualität von Farbe zu tun. So verwundert es kaum, dass die Beschreibung des „Geschlachteten Ochsen“ im Werkverzeichnis der Gemälde Corinths (BC 318) fast nur Farb-, kaum aber Formangaben oder Motivkennzeichnungen enthält: „Fleischton perlmuttgrün und rosa. Blutige Stellen dunkelrot. Das aufgeschnittene, abgezogene Fell stark rosa und rot. Der Hintergrund ist grünlich grau, der Fußboden bräunlich.“ Die Wortwahl geht auf Corinths Frau zurück, Charlotte Berend-Corinth (1880 – 1967), selbst exzellente Malerin mit kennerhaftem Blick und erste Schülerin Corinths in seiner 1902 gegründeten Malschule für Damen in Berlin. Die Blut- und Fleischmalerei mit ihrem latenten Changieren zum Ästhetischen geht fließend über in Corinths bereits zu Lebzeiten hoch geschätzte Fähigkeit, den Ton des menschlichen Inkarnats zu treffen und besonders weibliche Akte in eigenwilliger Fleischlichkeit zu malen. Denn auch hier kam es ihm nicht auf glatte, vordergründige Perfektion an, sondern auf Wahrhaftigkeit und Naturnähe. Als schön galt ihm ein Körper, der seine Empfindlichkeit und Hinfälligkeit nicht verleugnete.

2008/2009 fand im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg anlässlich des 150. Geburtstags des Künstlers die Ausstellung „Lovis Corinth und die Geburt der Moderne“ statt, mit weiteren Stationen bei den Kooperationspartnern in Leipzig (Museum der Bildenden Künste) und Paris (Musée d’Orsay). Der „Geschlachtete Ochse“ wurde dabei in einem schlichten kastenförmigen Rahmen gezeigt, da man ihn kurz vorher aus seinem fragil gewordenen Originalrahmen hatte lösen müssen. Da auch das Gemälde selbst deutliche Alterungsspuren aufwies, strebte man eine gemeinsame Restaurierung des Ensembles an. Die Restaurierungswerkstatt Landskron in Regensburg übernahm den Auftrag. Gabriele Landskron, die die Sammlung des Kunstforums rund zehn Jahre lang kompetent betreute, setzte die Maßnahmen sensibel und reversibel um. Vereinzelte pastose Stellen, an denen Corinth die Farbe üppig aufgetragen hatte, waren bis auf die helle Grundierung abgeplatzt. Auf die durchscheinende Leinwand baute die Restauratorin eine kittende, der Umgebung angepasste Farbpartie auf. Bereiche mit splittriger Oberfläche und aufstehenden Malschichträndern wurden unter Zugabe von Wärme und Druck sachte zurückgeformt, plangelegt und gefestigt, kleinere Fehlstellen mit Aquarell retuschiert. Abschließend erfolgten eine trockene Oberflächenreinigung und ein Glanzausgleich an matt gewordenen älteren Retuschen.

Ein Aufkleber auf der Rückseite des Rahmens weist diesen als Produkt der Rahmenwerkstatt Oskar Weber in Berlin aus, wo sich Corinth seit 1901 mit eigenem Atelier niedergelassen hatte und 1905 bereits ein arrivierter Künstler war. Die mehrfach profilierten Leisten sind mit Gravuren und Blumengirlanden verziert, die an den Ecken in Muschelmotiven auslaufen. Die auskragenden Ornamente waren stellenweise gebrochen und hingen nur noch lose an den unterlegten Metalldrähten. Die Armierungen wurden entrostet und ausgerichtet, größere Fehlstellen in den Stuckauflagen gekittet und geleimt sowie kleinere Ausbrüche entlang der Leisten aufmodelliert. Nach Abnahme von Verschmut­zungen und Verbräunungen folgten Retuschearbeiten in Bronzeton, die dem gesamten Rahmen wieder ein einheitliches Erscheinungsbild verleihen.

Ihren ersten gemeinsamen Auftritt in neuem Glanz werden Bild und Rahmen anlässlich der für Ende des Jahres 2025 ­geplanten Lovis-Corinth-Ausstellung im KOG in Regensburg haben. Zum 100. ­Todestag des Künstlers kann zudem ein ­einzigartiger Schatz präsentiert werden: Elf Skizzenbücher von Lovis Corinth, die in der Grafischen Sammlung des Kunstforums aufbewahrt werden und bislang nicht oder nur teilweise publiziert sind, werden für das Kunstpublikum und die Wissenschaft mittels Digitalisierung ­zugänglich und erlebbar gemacht. Die frühesten Skizzenbücher begleiteten Corinth auf seinen ersten Studienreisen. Auch lässt sich die Entwicklung einiger Gemäldekompositionen anhand der Zeichnungsskizzen nachvollziehen. Eine besondere Sensation stellt das Skizzenbuch von 1923 dar, das von der Familie wie ein Augapfel gehütet wurde. Bild­mäßig ausgeführte Zeichnungen von glück­lichen Momenten erinnern an die gemeinsamen Sommeraufenthalte der „Corinther“, wie sie sich selbst humorvoll nannten, in ihrem Haus am Walchensee, das sie seit 1919 regelmäßig aufsuchten – bis zu Corinths Tod 1925. Er starb bei einem Aufenthalt in Zandvoort, nachdem er noch einmal die Werke der von ihm verehrten holländischen Maler des 17. Jahrhunderts im Original sehen konnte.

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