Freude über den grünen Klee

Sie schrieben gemeinsam, sie stellten zusammen aus, sie experimentierten mit Farben und Formen: Ab 1911 fand der Künstlerkreis Blauer Reiter in München zu einer neuen Ausdrucksweise zeitgenössischer Kunst. Von den Farbvirtuosen Wassily Kandinsky und Franz Marc initiiert, präsentierte die zweite Ausstellung ab Februar 1912 avantgardistische Künstler mit Arbeiten auf Papier; auch Paul Klee war mit 17 Blättern vertreten. Doch der Beginn des Ersten Weltkriegs zersprengte kurz darauf die Gruppe befreundeter Künstlerinnen und Künstler. Am 4. März 1916 fiel der junge Maler Franz Marc bei Verdun. In München erschütterte die Nachricht seinen Freund Paul Klee, der unmittelbar darauf selbst zum Kriegsdienst einberufen wurde. In seiner Kunst schuf er sich dennoch weiter seine eigene Gegenwart: Sanftes Blau umhüllt nächtliche Landschaften, helle Pastelltöne flimmern in geometrischen Mustern, selbst aus dunkelstem Grund blühen phantastische Pflanzen empor. Kurz nach dem Krieg fällt einzig ein Werk aus der Reihe: In der „Sumpflegende“ von 1919 verlieren sich Menschen, Häuser und Natur in „abstrakten Bildarchitekturen“, wie Klee seine Landschaftsdarstellungen nannte. Hell weiß zergliedern Bäumchen, Fenster, Kreuze, Dreiecke, Punkte und diffuse Flächen den grün-violetten Bildraum. Darüber starrt ein weißes Auge ins Nichts. Klee treibt hier die Konzeption kubistischer Kunst weiter voran: Er löst die Formen nicht nur in multiple Ansichten auf, sondern befreit sie – seinen eigenen Kunstgesetzen folgend – von ihrer Anordnung in der natürlichen Welt, wie das Fenster vom Haus oder den Kopf vom Körper. Der poetische Dekonstruktivist Klee findet in „Sumpflegende“ zu seinem künstlerischen Ausdruck.

Paul Klee, Sumpflegende, 1919, 47 × 40,8 cm; Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München und Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung
Paul Klee, Sumpflegende, 1919, 47 × 40,8 cm; Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München und Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung

Während die Schrecken des Ersten Weltkrieges in seiner Bildwelt nachklingen, schrieb sich einige Jahre später der nationalsozialistische Bildersturm in die Biographie des Schlüsselwerks ein. Direkt nach seiner Entstehung hatte der Leiter der Hannoveraner Kestnergesellschaft Paul Erich Küppers das Werk für seine Privatsammlung erstanden. Nach Küppers frühem Tod 1922 erbte dessen Witwe Sophie das Gemälde. Bevor die Kunsthistorikerin ihrem zweiten Ehemann El Lissitzky 1927 nach Moskau folgte, übergab sie Teile ihrer legendären Sammlung moderner Kunst in vermeintlich schützende Hände: Das Provinzialmuseum Hannover bewahrte die „Sumpflegende“ seit 1926 als Leihgabe. Am 5. Juli 1937 wurde das Werk jedoch für die „Entartete Kunst“-Aktion beschlagnahmt. Anschließend wurde das Gemälde auf der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München gezeigt. Nachdem es öffentlich an den Pranger gestellt worden war, machte das Nazi-Regime Kasse mit der modernen Kunst: Wie zahlreiche andere Kunstwerke verkaufte das Deutsche Reich Klees „Sumpflegende“ 1941 an den Kunsthändler Hildebrand Gurlitt. Danach verliert sich die Spur. 1962 wechselte das Gemälde auf einer Auktion des Kunsthauses Lempertz zur Baseler Galerie Beyeler und danach in schweizerischen Privatbesitz. Von 1973 bis 1982 war die Galerie Rosengart in Luzern Besitzerin des Bildes, bis das Gemälde vom Lenbachhaus und der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung erworben wurde.

Zersprengte der Erste Weltkrieg noch den Künstlerkreis, sind im Münchner Lenbachhaus die Mitglieder des Blauen Reiters mit ihren Werken wieder vereint. Neben den strahlenden Farbexplosionen Franz Marcs, Wassily Kandinskys und August Mackes setzt die „Sumpflegende“ Klees einen weiteren Höhepunkt in der weltberühmten Sammlung deutscher Moderne, die sich auf einer Schenkung Gabriele Münters gründet. Nach Jahrzehnten der Verhandlungen mit den Erben Sophie Lissitzky-Küppers’ konnte das Meisterwerk Klees nun durch einen Vergleich der Öffentlichkeit erhalten bleiben. Dafür engagierten sich die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung sowie die Landeshauptstadt München.