Förderungen

Beethoven in Gesellschaft

Bürgerschaftliche Kulturinitiativen eröffnen Alternativen zu den staatlich vorgegebenen, sie bringen Gegenentwürfe zum Etablierten. Seit 1787 vertrat die „Lesegesellschaft“ als wichtigste private Vereinigung der Bonner Kulturwelt getreu ihrem Motto ET SIBI ET ALIIS – „sowohl für sich selbst, als auch für die Anderen“ – die Ideale der Aufklärung. Bildung und Austausch für mehr Menschen zugänglich zu machen, erklärte sie zum Ziel. So zum Beispiel mit einer umfangreichen Bibliothek – fehlten Privatpersonen doch oft die Mittel, die teuren Druckerzeugnisse zu erstehen. Auch eine Bildersammlung wurde über die Jahrzehnte bewusst aufgebaut. Aus den rund 30 Gemälden, 20 Graphiken und zahlreichen historischen Fotografien, die das Beethoven-Haus Bonn nun zusammen mit der Bibliothek von der „Lese“ erwarb, treten die Protagonisten der Bonner Stadtgesellschaft hervor.

1887, also 100 Jahre nach der Gründung der bis heute existierenden „Lese“, hatten einige ihrer Mitglieder eine weitere Kulturinstitution aus der Taufe gehoben: den Verein Beethoven-Haus. Neue Aspekte der frühen Bonner Jahre des Meisterkomponisten treten aus der nun erworbenen Sammlung hervor. Der geistige Nährboden, den die „Lese- und Erholungsgesellschaft“ dem jungen Beethoven bot, ist in der Ausstellung „Lichtstrahlen der Aufklärung“ zu erleben. Die Exponate spiegeln noch bis zum 31. Januar 2019 den gesellschaftlichen, intellektuellen und politischen Aufbruch des Bürgertums – kurz: Beethovens Umfeld – wider.

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen

 

Dreiheiligkeit

Henrik Douverman, Heilige Drei Könige, um 1530 –35, H. zw. 81 und 85 cm; Museum Kurhaus Kleve; © Foto: Christian Wucherpfennig, Kleve
Henrik Douverman, Heilige Drei Könige, um 1530 –35, H. zw. 81 und 85 cm; Museum Kurhaus Kleve; © Foto: Christian Wucherpfennig, Kleve

Schon 2005 wollte das Museum Kurhaus Kleve die drei Weisen aus dem Morgenland unbedingt für seine Mittelalter-Sammlung haben. Der damalige Direktor wurde bei der Londoner Auktion von Sotheby’s allerdings überboten. Doch als im selben Jahr der erfolgreiche belgische Käufer starb, gaben seine Erben die Skulpturengruppe als Leihgabe ins Klever Museum. Nun bleibt dank öffentlicher, unternehmerischer und privater Unterstützer die im Bewusstsein der Öffentlichkeit fest mit Kleve verbundene Gruppe von Henrik Douverman (um 1480/90 –1543/44) für immer in der Stadt, in der der Künstler seine Lehrzeit verbracht und seine erste eigene Werkstatt eröffnet hatte.

Als die Könige in Bethlehem das neugeborene Jesuskind suchen und finden, ereignet sich ein Schlüsselmoment der christlichen Legende. Die drei huldigen mit Erstaunen, mit Freude als Vertreter der drei Weltteile als erste dem Gottessohn mit Gold, Weihrauch und Myrrhe. Melchior verkörpert das alte Europa, König Caspar repräsentiert Asien, der jüngste König Balthasar stellt Afrika dar. Das Motiv variiert an der Schwelle zur Neuzeit ein großes Thema europäischer Kunst: Nach der aktuellsten Mode um 1530 in luxuriöse Gewänder gekleidet, präsen­tieren sich die biblischen Kronzeugen mit ihrer exaltierten Haltung und ihren Gesten, den prachtvollen Frisuren und Bärten in ihrer herausgehobenen Stellung als Heilige. Präzise und lebendig charakterisiert, weist die Gruppe, die wahrscheinlich im Altar­schrein einer Kirche aufgestellt war, schon in modernere Zeiten.

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V., Kunststiftung NRW, Rudolf-August Oetker-Stiftung für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Denkmalpflege, Provinzial Rheinland Versicherung AG, Irene Zintzen-Stiftung und weitere Unterstützer

 

Präzise uneindeutig

Richard Oelze, Archaisches Fragment, 1935, 98 × 130 cm; gemeinsames Eigentum des Städelschen Museums-Verein e.V. und des Städel Museums, Frankfurt am Main; © Till Schargorodsky
Richard Oelze, Archaisches Fragment, 1935, 98 × 130 cm; gemeinsames Eigentum des Städelschen Museums-Verein e.V. und des Städel Museums, Frankfurt am Main; © Till Schargorodsky

In einem Moment erzählen sie lebhafte Geschichten, im nächsten verblassen sie zu verschwommenen Bildern: An der Grenze zur Realität bieten Träume einen idealen Nährboden für Interpretation und Deutung. Den Theorien Sigmund Freuds folgend, sahen die Surrealisten in der Welt des Traumes den Zugang zu einer höheren Wirklichkeit – frei von jeder Kontrolle durch die Vernunft. Präzise wiedergegeben und doch uneindeutig, fordert ihre Kunst den Betrachter dazu auf, Logik und Verstand loszulassen und sich in die Tiefen des eigenen Unbewussten zu begeben. Nach seinem Umzug nach Paris Anfang der 1930er-Jahre kam der in Magdeburg geborene Künstler Richard Oelze (1900 –1980) mit dem Kreis der Surrealisten rund um Max Ernst, René Magritte und Yves Tanguy in Kontakt und entwickelte eine von fantastischen Motiven gekennzeichnete Bildsprache. Mit der für ihn charakte­ris­tischen, altmeisterlich lasierenden Maltechnik schuf Oelze 1935 das Öl­gemälde „Archaisches Fragment“: eine großformatige Komposition mit einem grotesken Mischwesen aus biomorphen Formen, das vor einer Seen- und Uferlandschaft schwebt. Bereits ein Jahr nach Entstehen wurde das Bild auf der Lon­doner Ausstellung „International Surrealist Exhibition“ neben Werken von Max Ernst, Salvador Dalí und Man Ray gezeigt. Als Werk eines bedeutenden deutschen Vertreters des Surrealismus ergänzt „Archaisches Fragment“ den Moderne-Bestand des Frankfurter Städel Museums nun um ein wichtiges Zeugnis kulturellen Transfers Anfang des 20. Jahrhunderts.

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Kurt und Marga Möllgaard-Stiftung

 

Facebook, von Hand

Stammbuch des Freiberger Bergbaustudenten Jakob Christian Menzler mit 62 Eintragungen, 1798–1811, rechts der Eintrag von Novalis von 1799; Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt; © Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt
Stammbuch des Freiberger Bergbaustudenten Jakob Christian Menzler mit 62 Eintragungen, 1798–1811, rechts der Eintrag von Novalis von 1799; Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt; © Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt

Was wohl aus der Kommilitonin wurde, die damals jeden Montagmorgen direkt aus dem Club in die Ästhetik-Vorlesung kam? Und was macht heute der Student, der nach jedem Seminar noch mindestens eine wichtige Frage hatte? Neugierde dieser Art kann dank sozialer Medien inzwischen schnell befriedigt werden. Im Studentenwohnheim der Harvard University entstanden, führt das Netzwerk Facebook eine jahrhundertealte Tradition fort: Es gründet auf dem Wunsch nach medialem Austausch zwischen Studienkollegen. Im ausgehenden 18. Jahrhundert boten Stammbücher hierfür die Plattform. Verließ ein Student seinen Studienort, so trug er sich ins Buch der Kommilitonen ein. Am 13. Mai 1799 schrieb Friedrich von Hardenberg aus Thüringen fünf Zeilen aus Johann Gottfried Herders Gedicht „Das Flüchtigste“ (1787) für Jakob Christian Menzler (1776 –1854)nieder. Gemeinsam hatten sie die renommierte Bergakademie im sächsischen Freiberg besucht. Der Jurist Hardenberg (1772 –1801) war mit seinem Zweit­studium der Naturwissenschaften in die Fußstapfen seines Vaters getreten. In seinen ab 1798 erschienenen Publikationen wandte er sich aber auch zunehmend der Lyrik zu, seiner eigentlichen Leidenschaft. Unter dem Pseudonym Novalis schrieb er sich in die Literaturgeschichte der deutschen Frühromantik ein.

Der Erforschung von Novalis’ dichterischem Werk widmet sich die Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt. An der Geburtsstätte des Lyrikers liegt das Stammbuch Menzlers nun für Forschung und Öffentlichkeit offen, nachdem das Museum es auf einer Auktion ersteigern konnte. Die 62 Einträge im Album Amicorum, die in den Jahren 1798 bis 1881 Menzler gewidmet wurden, zeichnen das Umfeld Novalis’ in Freiberg nach – ein Lebensabschnitt, der noch zu weiten Teilen im Dunkeln lag. In Oberwiederstedt wird nun ein Schlaglicht auf das literaturhistorische Dokument gerichtet. Da das Freie Deutsche Hochstift in Frankfurt am Main das Novalis-Museum bei der Erwerbung unterstützte, wird das Stammbuch auch in der Erstausstellung des im Spätsommer 2019 eröffnenden Museums des Stifts, dem Deutschen Romantik Museum, zu sehen sein. Und auch für die bis heute existierende Universität in Freiberg, die älteste noch bestehende montanwissenschaftliche Bildungseinrichtung weltweit, eröffnet sich so ein Kapitel ihrer Geschichte.

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Freies Deutsches Hochstift Frankfurt am Main, Land Sachsen-Anhalt, Dr. Arved Grieshaber

 

Blick von Außen

Oben: Briefe von Joseph Roth an Bernard von Brentano; unten: Unterlagen zum Roman Theodor Chindler; Fotografie: Bernard von Brentano (1901-1964); © Mit freundlicher Genehmigung durch Michael und Peter von Brentano / Fotos: Deutsches Literaturarchiv Marbach
Oben: Briefe von Joseph Roth an Bernard von Brentano; unten: Unterlagen zum Roman Theodor Chindler; Fotografie: Bernard von Brentano (1901-1964); © Mit freundlicher Genehmigung durch Michael und Peter von Brentano / Fotos: Deutsches Literaturarchiv Marbach

Neustadt, Hessen, 1. August 1914. Paukenschläge, Chorgesang, Gedränge auf dem Siegesplatz. Die Verkündigung geht im Chaos fast unter, aber es ist offiziell: Der Krieg ist da. Jubel und Pöbelei auf den Straßen, Misstrauen und Zweifel im großbürgerlichen Hause Chindler. Die Anfangsszene in Bernard von Brentanos (1901–1964) politischem Roman „Theodor Chindler“ läutet den Anfang vom Ende einer deutschen Familie ein, die ihr Land in allen schicksalhaften Facetten spiegelt: Vater Theodor engagiert sich in der Zentrumspartei, Tochter Margarethe verlässt ihr Zuhause, um sich der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung anzuschließen. Die älteren Söhne Karl und Ernst kämpfen an der Front fürs Vaterland. Nesthäkchen Leopold gesteht seine Homo­sexualität. Die Mutter Elisabeth ist überzeugt, die Kinder falsch erzogen zu haben: „Alle waren nicht so, wie sie sein sollten.“ Ursprünglich katholisch, linksradikaler Student und später Kritiker des Kommunismus, der sich den National­sozialisten andient – Brentano verarbeitet für die 1936 im Exil entstandene Geschichte autobiografische Details. Der Autor, 1939 mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet, wurde erst vor einigen Jahren wiederentdeckt. Ob als Schriftsteller, Redakteur der Frankfurter Zeitung oder hellsichtiger Essayist: Scharf beobachtete er das städtische Leben, erahnte gesellschaftliche Umbrüche, teilte Reiseerlebnisse und kommentierte Literatur, Filme und Ausstellungen im Stil der Neuen Sachlichkeit. Manuskripte, Korrespondenzen, Dokumente – den schriftlichen Nachlass seines vielfältigen Œuvres bewahrt nun das Deutsche Literaturarchiv Marbach.

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien

 

Herzog und Herkules

Johann Heinrich Tischbein d. Ä., Louis Gaucher, Duc de Châtillon, 1762, 223 × 129 cm; Museumslandschaft Hessen Kassel; © Museumslandschaft Hessen Kassel
Johann Heinrich Tischbein d. Ä., Louis Gaucher, Duc de Châtillon, 1762, 223 × 129 cm; Museumslandschaft Hessen Kassel; © Museumslandschaft Hessen Kassel

Ein französischer Offizier vor Kassel in einer österreichischen Auktion? Für die Kulturstiftung der Länder, die Hessische Kulturstiftung und die Ernst von Siemens Kunststiftung eine Gelegenheit, die Museumslandschaft Hessen Kassel zu unterstützen. Und zwar mit einem Gemälde, das der Kasseler Hofporträtist Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722 –1789) für die museale Vermittlungsarbeit des 21. Jahrhunderts gemalt zu haben scheint: Das Porträt des Louis Gaucher, Duc de Châtillon (1737–1762), aus dem Jahr 1762 ist ein historisches Bildnis mit einer solchen Fülle von Verweisen auf (lokal-)historische Ereignisse und deren Schauplätze, auf kunsthistorische wie kulturhistorische Aspekte, dass die Gemälde­galerie Alte Meister in Kassel dem Werk umgehend einen Patrimonia-Band (Nr. 391) widmete, um die wichtigsten Facetten zusammenzutragen. So ist das Gemälde ein landesgeschichtliches Do­kument der französischen Belagerung Kassels während des Siebenjährigen Krieges in Europa (1756 –1763). Der prominent platzierte Stadtplan Kassels mit den Befes­tigungen verweist auf den Zusammenhang von Kartographie und Krieg, während der Hintergrund mit dem Herkules der heutigen Wilhelmshöhe und einem Vorgängerbau des heutigen Schlosses präzise über Kasseler Baugeschichte informiert.

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunst­stiftung