Förderungen

Am Boden

Ein Panorama der Kapitulation: Vor einer eisigen Winterlandschaft reihen sich die uniformierten Figuren, ein Soldat sitzt zusammengesackt auf seinem Pferd, während eine Rückenfigur mit Dreispitz rechts vorn herrisch das Ziel des Marsches vorgibt: „Nach Posen“ ist auf dem Wegweiser zu erkennen. Nach Posen? Was sich da in beinahe filmischer Figurenfolge vor unseren Augen ereignet, ist historisch belegt und dabei karikaturhaft überspitzt dargestellt: Johann Gottfried Schadow (1764 –1850) – als Begründer der Berliner Bildhauerschule bekannter denn als satirischer Zeichner – formuliert mit beißender Ironie und tagespolitisch aktuell seinen Kommentar zum Scheitern von Napoleons Russland-Feldzug im Herbst/Winter 1812. Er tut dies mit einer raffinierten Mischung von historisch belegbarem (Napoleon, sein Leibdiener Roustam Raza) und typisiertem Personal (die Soldaten) und fügt seinem Figurenfries mit Bedeutung aufgeladene Protagonisten hinzu: Als Allegorie zu erkennen gibt sich die von ihrem Reittier gestürzte Frau durch die zerbrochene Trompete und die verstreuten Lorbeeren – identifizieren lässt sie sich mit Hilfe von Schadows Vorzeichnung, die sich in der Kunstsammlung der Akademie der Künste erhalten hat, und den Bildunterschriften auf der nach dem Aquarell ausgeführten Radierung von 1814: Die Gestürzte ist die Verkörperung von „la Renommée“, dem Ansehen, während der kläffende Hund „la voix publique“, die Stimme des Volkes verkörpert. Schadows Satire von 1813 stellte ursprünglich in zwei aufeinander bezogenen Blättern dem schmählichen Rückzug das Elend der Überlebenden der geschlagenen Grande Armée gegenüber. Das Gegenstück wurde vom Metropolitan Museum of Art in New York erworben, so dass sich nun beide Versionen von Schadows politischer Kunst in öffent­lichen Sammlungen befinden.

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste

 

Hütten und Landschaften

Fördertürme, Gasometer, Hochöfen, Wassertürme, Kohlebunker, Fabrikhallen, Kies- und Schotterwerke: Seit Ende der 1950er-Jahre fotografierten Bernd (1931–2007) und Hilla (1934 –2015) Becher in Deutschland, Europa und den USA vom Abriss bedrohte Nutzbauten des industriellen Zeitalters. Ihre Herangehensweise wirkte stil- und schul­bildend. Mit geradezu archäologischem Interesse und streng dokumentarischem Anspruch näherte sich das Künstlerpaar der verschwindenden Industrie­­architektur: Mit einer spezifischen fotografischen Grammatik und einem visuellen Vokabular von hohem Wiedererkennungswert werden die einzelnen Motive aus dem konkreten zeitlichen und räumlichen Kontext herausgelöst und in ihrer Typologie miteinander vergleichbar gemacht.

Parallel dazu entstand die Werkgruppe der „industriellen Landschaften“, in der In­dus­trie, Siedlung und Natur zusammenspielen. Hier sind die hochaufragenden Hüttenan­lagen und Zechen des Siegerlandes, der Heimat von Bernd Becher, in ihre Umgebung eingebettet und räumlich zu verorten. Mit der Erwerbung von zehn Schwarzweiß-Fotografien dokumentiert das Museum für Gegenwartskunst Siegen Lokalgeschichte: Sie ergänzen die seit 2001 bestehende Sammlung der Werke von Bernd und Hilla Becher um eine wichtige Facette und bewahren die heute zum großen Teil bereits verschwundenen Landschaften ganz im Sinne der beiden Fotografen vor dem Vergessen.

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Land Nordrhein-Westfalen, Kunst­stiftung NRW, Stiftung Kunst und Kultur der Sparkasse Siegen, Freundeskreis des Museums für Gegenwartskunst Siegen

 

Antike Tugenden

Herrschertugend – Herrscherlob? Gemälde wie die um 1780/90 entstandenen, großformatigen Werke von Januarius Zick (1739 –1812) sind für heutige Betrachter gleich doppelt erklärungsbedürftig: Ihr Thema, die „exempla virtutis“, Beispiele vorbildlicher (vor allem männlicher) Tugend, inszeniert antike Helden in der Bildsprache der franzö­sischen Historienmalerei des 18. Jahrhunderts. Ihre Funktion als dekorative Bestandteile höfischer Residenzausstattungen war demnach verbunden mit einem moralischen Appell, der auf damalige Betrachter – die nötige humanistische Bildung vorausgesetzt – mutmaßlich direkt wirkte. Zick, der seit 1760 Hofmaler des Trierer Erzbischofs und Kurfürsten Clemens Wenzeslaus (1739 –1812) und als solcher für die malerische Ausstattung seiner Residenz zuständig war, hat die Pendants mit „Alexander der Große und die Familie des Darius“ sowie „Die Enthaltsamkeit des Scipio“ wohl für das Koblenzer Schloss geschaffen. Da die Innenausstattung des Schlosses aufgrund der franzö­sischen Besatzung seit 1794 und der Flucht des bischöflichen Auftraggebers unvollendet blieb, kommt Zicks Ge­mäldepaar eine weitere Funktion zu: als historisches Dokument einer untergegangenen Epoche, deren Ende durch die französische Revolution markiert ist. Grund genug für das Mittelrhein-Museum in Koblenz mit seinem deutschlandweit umfangreichsten Bestand an Werken der Malerfamilie Zick, die beiden für das Spätwerk repräsenta­tiven Gemälde mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder aus dem Kunsthandel zu erwerben. An ihrem Entstehungsort sind die Pendants zunächst noch bis zum 30. September in einer großen Ausstellung zu sehen: „Das Erbe der Väter. Mit der Malerfamilie Zick durch zwei Jahrhunderte“ (siehe auch Ars­prototo 2/2018).

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunst­stiftung, Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur, Verein der Freunde des Mittelrhein-Museums und des Ludwig Museums Koblenz e. V.

 

129 Paten für 7 Zeilen

Jedes Wort, jedes Satzzeichen fand einen Paten: Das Kleist-Museum in Frankfurt (Oder) startete im Dezember 2017 einen Spendenaufruf, um die Finanzierungslücke für seine neueste Erwerbung zu schließen. 129 Paten unterstützten gemeinsam mit der Kulturstiftung der Länder und dem Land Brandenburg das Museum beim Ankauf von einem Brieffragment Heinrich von Kleists (1777–1811). Den herzlichen Abschiedsgruß des Dichters an seine Lieblings­schwester Ulrike können Besucherinnen und Besucher nun im Museum lesen, die Forschung kann hier mit dem Original arbeiten.

Möglicherweise trennte Ulrike selbst die letzten sieben Zeilen vom restlichen Schreiben ab. Der Hauptteil des Briefes, in der Sammlung der Berliner Staatsbibliothek seit 1923 aufbewahrt, wurde mit weiteren Handschriften im Zweiten Weltkrieg nach Schloss Fürstenstein in Schlesien auslagert. In der Folge befinden sich die zweieinhalb Seiten des Briefes heute in der Biblioteka Jagiellońska in Krakau.

Doch auch die halbe Seite in Frankfurt  ist   ein   literaturhistorisches Dokument: Die Heiterkeit, die in den Zeilen vom 14. März 1803 steckt, findet sich nur in wenigen Schriftstücken des Dichters. „Ein ein­ziges Wort von euch, und ehe ihrs euch verseht wälze ich mich vor Freude in der Mittelstube“, schrieb Kleist an seine Familie. Denn seine erste, noch anonyme Veröffent­lichung „Die Familie Schroffenstein“ fand Anklang. „Endlich doch wieder ein rüstiger Kämpfer, der um den poetischen Lorbeer aufsteht“, freute sich der Dramatiker ­Ludwig Ferdinand Huber. Das fröhliche Schreiben an die Schwester in Frankfurt – eine historische Momentaufnahme aus dem Leben eines werdenden Dichters.

Förderer dieser Erwerbung: Kultur­stiftung der Länder, Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, private Spenden

 

Kindheitswelten

Deutschland in den Jahren zwischen 1925 und 1945 – von der ersten Demokratie der Republik über die Diktatur des National­sozialismus bis zur bedingungs­losen Kapitulation. Sigrid Wehner, Jahrgang 1931, sammelte rund 18.000 Bände der Kinder- und Jugendliteratur dieser Zeit: Bilderbücher, Sachbücher, Romane sowie Erzählungen, Einzelhefte von Zeitschriften und Material aus der Hitlerjugend, dem Deutschen Jungvolk oder dem Jungmädelbund dokumentieren zwei Jahrzehnte deutscher Geschichte. Vor allem aber geben sie Aufschluss über die Art und Weise der Politisierung und Instrumentalisierung von Literatur. Neben den vielen nationalsozialistischen Kinder- und Jugendbüchern finden sich auch einige Originalausgaben von auch heute noch beliebten Titeln, darunter „Emil und die Detektive“, „Pünktchen und Anton“ und „Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee“ des regimekritischen Autors Erich Kästner. Die Sammlung Wehner gewährt somit einen vielseitigen Einblick in die Lesekultur der damals Heranwachsenden, in die prägenden Geschichten ihrer Kindheit, in der wie heute Helden als Vorbilder und Bösewichte als Rivalen überdauern.

An der „Arbeitsstelle Kinder- und Jugendliteratur“ der Georg-August-Universität Göttingen erhält die umfassende Sammlung nun eine bildungsorientierte Funktion und kann fachübergreifend – von Geschichte über Politik bis hin zu Pädagogik – genutzt werden. In einer Spezialbibliothek zu früher literarischer Erziehung wird sie der Öffentlichkeit zugänglich verwahrt. Sowohl in Seminararbeiten und Vortragsreihen für Studenten als auch in Ausstellungen wird die Sammlung nun zur Aufklärung genutzt – zur Bewusstseinsbildung und Entwicklung kritischer und politisch reflektierter junger Erwachsener.

Förderer dieser Erwerbung: ­Kulturstiftung der Länder, Stiftung Niedersachsen, Lindemann-­Stiftung der Universität Göttingen

 

Märchenhaftes Moor

Otto Modersohn, Die Märchenerzählerin, 1896, 125 × 108,5 cm; Otto-Modersohn-Museum, Fischerhude © Otto-Modersohn-Museum, Fischerhude / Foto: Erhard A. Czysty
Otto Modersohn, Die Märchenerzählerin, 1896, 125 × 108,5 cm; Otto-Modersohn-Museum, Fischerhude © Otto-Modersohn-Museum, Fischerhude / Foto: Erhard A. Czysty

Zurück zur Natur, weit weg vom hektischen Großstadtleben. Landschaften, die nicht der Mensch, sondern die Natur formt, gelten den Lebensreformern des ausgehenden 19. Jahrhunderts  als  Paradies.  Nördlich von Bremen, wo die Industrialisierung die Schifffahrt zum immer stärkeren Wirtschaftsfaktor  macht,  finden  die  Maler Fritz Mackensen, Hans am Ende und Otto Modersohn (1865 –1943) ihr persönliches Eden. Im Teufelsmoor gründen sie 1889 die Künstlerkolonie Worpswede. Nach Naturwahrheit, Stille und Einfachheit sucht Modersohn, wie er seinem Tagebuch anvertraut. Mit dem Skizzenblock in der Hand zieht er durchs Moor und sammelt zeichnend Bildideen. In der Tradition der französischen Freilichtmalerei nimmt er schließlich die Leinwand selbst mit nach draußen, fängt die Natur mit pastosem Auftrag in kräftigen Farben ein. Den Sommer zeigt der Maler in der „Märchen­erzählerin“ (1896). Zwischen blühenden Büschen und unter dichten Baumkronen spricht die Alte zu den beiden Kindern. Gut 30 Jahre nach dem Tod Modersohns eröffnet sein Sohn im benachbarten Fischerhude das Otto-Modersohn-Museum. Für die Gesellschaft-Otto-Modersohn-Museum e.V. kaufte die Otto-Modersohn-Stiftung nun „Die Märchen­erzählerin“ aus Schweizer Privat­besitz.

Förderer dieser Erwerbung: Kultur­stiftung der Länder, Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur, Nieder­sächsische Sparkassenstiftung, Stiftung der Kreissparkasse Verden, Waldemar Koch Stiftung, private Spende aus Potsdam, zahlreiche private Spenden und Spenden der Mitglieder der Gesellschaft-Otto-Modersohn-Museum e.V.